Siegen. Der Verein Taubenhilfe baut eine Handicap-Voliere im Tierheim Siegen: Damit auch Tauben mit nur einem Bein oder einem Flügel eine Bleibe haben.

Rudi würde wirklich gerne laufen, aber das ist schwierig mit nur einem Bein. Also hüpft er durch die Handicap-Voliere für behinderte Tauben. „Fliegen kann er super“, sagt Claudia Rommel vom Verein Taubenhilfe Siegen. Zusammen mit weiteren Ehrenamtlichen hat sie diesen „Gnadenhof“ für behinderte Tauben mit etwas Fördergeld gebaut; nicht weit vom jüngst eröffneten Gnadenhof für Hunde und Bauernhoftiere im Tierheim Siegen. Tauben haben es nicht leicht, so schon nicht, und behinderte Tauben schon gar nicht. Ohnehin ist es gerade eine schwere Zeit für Vögel, auch für wilde.

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Für ein gutes Taubenleben braucht es nicht viel. Tauben sind eher faul, laufen ein bisschen herum, picken an frischen Kräutern, fliegen mal ‘ne Runde, brüten, genießen ansonsten die Sonne und gucken in die Gegend. An die Ziegen, die auf dem Gelände herumstreunen, haben sie sich schnell gewöhnt, an die meisten Tierheim-Beschäftigten auch. Aber sie sind nicht unbedingt beliebt, auch wenn ihrem schlechten Ruf die Grundlage fehlt: Stadttauben sind keine Wildtiere, sondern als Nachfahren domestizierter Vögel an Menschen gewöhnt. „Eigentlich ist sie ein Haustier“, erklärt Tierheim-Leiter Tobias Neumann, eher mit einer Katze vergleichbar als einer Krähe oder einer Elster. Und damit wären eigentlich die Kommunen für die Fundtiere zuständig.

Von den behinderten erwachsenen Tauben lernen die Jungen, wie man eine Taube wird

Der Mensch aber will die Tauben oft nicht, sie werden sich selbst überlassen, einige verletzen sich, spießen oder schlitzen sich an den Anti-Tauben-Stacheln auf, werden von Krähen gehackt. Viele schnüren sich die Beine ab, dafür reicht schon ein langes Menschenhaar, so hat Rudi seinen Fuß verloren. Und so werden sie dann von mitfühlenden Menschen gefunden, die sich ans Tierheim oder an die Taubenhilfe wenden.

Claudia Rommel füttert die versehrte Taubengemeinschaft in der Handicap-Voliere regelmäßig.
Claudia Rommel füttert die versehrte Taubengemeinschaft in der Handicap-Voliere regelmäßig. © Unbekannt | Hendrik Schulz

Eine Taube, die nicht richtig fliegen oder laufen kann, kommt auf der Straße nicht zurecht, auch wenn es ihr ansonsten gut geht. Darum die Handicap-Voliere, in der derzeit neun „Schrotttauben“ leben, wie Claudia Rommel sagt. Ansonsten: Küken, die hier prima lernen können, wie man eine große Taube wird – oder überzüchtete Arten wie Hochzeitstauben, die ohnehin kaum fliegen können und auf die ihre Besitzer irgendwann keine Lust mehr hatten.

Schrotti prallte am Siegener ZOB mit einem Bus zusammen – Flügel amputiert

Vogelknochen sind sehr leicht, dazu sehr dünn und hohl – ein Bruch heilt so gut wie nie. Gerade den Belastungen des Fliegens hält ein verheilter Flügel nicht mehr Stand. „Das sieht der Habicht auf einen Kilometer Entfernung“, sagt Tobias Neumann. Taube „Schrotti“ zum Beispiel musste nach dem Zusammenstoß mit einem Bus am ZOB ein Flügel amputiert werden. Inzwischen schreitet er mit Vorliebe die Hühnertreppe auf und ab, die Claudia Rommel gebaut hat. Dass er ein greises Taubenalter von bis zu 15 Jahren erreicht – durchaus nicht ausgeschlossen bei diesem Taubenleben im Gnadenhof. Bislang funktioniert die Gemeinschaft der Versehrten gut.

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Aber sie können nicht alle gefundenen Tauben aufnehmen und hochpäppeln. Zumal nur wenige weitervermittelt werden. Das kostet Geld, und das summiert sich.

Spenden für Tierheim und Taubenhilfe Siegen brechen ein – „katastrophal“

Die Situation wird ohnehin schwieriger, berichtet Tobias Neumann, auch ohne Corona und nicht nur bei den Tauben. Aber auch da: „Immer mehr werden gefunden und abgegeben“, sagt er, die Vögel müssen irgendwohin. Es gibt mehrere Taubenschläge in der Stadt, aber in der Voliere im Tierheim leben trotzdem um die 300 Tauben. Gleichzeitig gibt es gerade in diesem Bereich immer weniger Ehrenamtliche – das Engagement von Claudia Rommel und der Taubenhilfe ist da viel wert. Denn die Finanzierung des Tierheims ist ziemlich dürftig, sie sind dringend auf Spenden angewiesen.

Die Hühnertreppe schreitet Schrotti gern herunter – laufen ist für die einflügelige Taube kein Problem.
Die Hühnertreppe schreitet Schrotti gern herunter – laufen ist für die einflügelige Taube kein Problem. © Unbekannt | Hendrik Schulz

Allein die Futterkosten für die Stadttauben belaufen sich auf mehr als 6000 Euro, sagt Claudia Rommel, es gibt aber nur 3000 Euro Zuschuss. Die Spritkosten für die Arbeitseinsätze könne man den Ehrenamtlichen nicht auch noch aufbürden, auch die Behandlung beim Tierarzt oder auch die fachkundige Tötung, Euthanasierung genannt, kostet Geld. Der junge Verein bekommt ohnehin nur wenig Spenden für seine Arbeit, aktuell ist das nochmal eingebrochen. „Für uns ist das gerade katastrophal.“

In der Ukraine-Krise richtet sich die Aufmerksamkeit der Menschen eher weg vom Tierschutz vor der eigenen Haustür, das merken beide gerade ganz deutlich, Tierheim und Taubenhilfe. „Der Auslandstierschutz bekommt viel Geld, das ist sehr präsent“, sagt Tobias Neumann – tausende Hunde, viele mit Welpen, warten in riesigen Auffanglagern etwa in Rumänien. Wenn der lange, harte, schneereiche Winter kommt, überleben das die meisten Junghunde nicht. „Hier vor Ort da mitzuhalten, ist nicht ganz so einfach“, sagt Neumann. Erst recht nicht für die Tauben.

Aktuell ist der Mensch eine große Gefahr für junge Wildvögel – nicht sammeln!

Gleichzeitig sei jetzt die Zeit, wo ein anderes Vogel-Problem dem Tierheim zu schaffen macht: Mitfühlende Menschen können aus Unwissenheit eine echte Gefahr für die Tiere werden. Zur Zeit verlassen die Küken vieler Arten das Nest, werden zu „Ästlingen“, erklärt Tobias Neumann: Flügge sind sie noch nicht, hin und wieder füttern die Alttiere sie noch. Aber sie lassen sie auch hungern. So wird ihnen beigebracht, sich selbst zu ernähren. Das passt ihnen nicht, also sitzen sie neben dem Nest auf einem Ast und schreien. Das löst bei vielen Menschen einen Hilfereflex aus – sie sammeln die Vögelchen ein. „Würden sie noch fünf Tage einfach in Ruhe gelassen, wäre alles gut“, sagt Neumann.

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Am schlimmsten für die Tiere wäre, wenn Laien selbst versuchen, sie zu füttern. Wasser mit einer Spritze einflößen zum Beispiel ertränkt sie, so wie Fress- und Atmungsapparat gebaut sind. „Was manchen Singvögelküken für ein Müll eingeflößt wird...“, sagt Claudia Rommel, sogar Hackfleisch oder Milch. Die Experten im Tierheim sind geschult, „wer es auf eigene Faust übt, übt auf Kosten des Tiers“, betont Tobias Neumann. Aber auch die Experten haben große Probleme, die halbwüchsigen Vögel zu ernähren. Denn die haben nicht nur große Scheu vorm Menschen, sie sind auch zu alt zum „Sperren“, den Schnabel in Erwartung von Futter aufreißen. „Es ist fast unmöglich, ihnen Nahrung reinzuzwängen.“ Und wenn es klappt, verursacht es oft große Schäden.

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Der Appell: Bitte keine jungen Vögel in der Natur einsammeln, auch wenn es gut gemeint ist.

>>>INFOS UND KONTAKT FÜR SPENDEN

Taubenhilfe Siegen: Vereinskonto bei der Sparkasse Siegen, IBAN: DE58 4605 0001 0001 2895 45. E-Mail: kontakt@taubenhilfe-siegen.de.

Tierheim Siegen: Konto bei der Sparkasse Siegen, IBAN: DE54 4605 0001 0001 1315 07. Kontakt per E-Mail an info@tierheim-siegen.de oder telefonisch unter 0271/313770.