Menden. Sprüche und Parolen begegnen den Menschen am Arbeitsplatz, im Internet. Cassandra Speer gab in Menden Tipps, wie sie gekontert werden können.
Christian Rudolphi aus dem Vorstand der Kolpingsfamilie Halingen freute sich, eine überaus qualifizierte Referentin für diesen Abend gewonnen zu haben: „Aber ich weise vorsorglich darauf hin, dass dies keine parteipolitische Veranstaltung ist. Es geht vielmehr darum, aus den Aussagen unseres Gastes soviel Substanz zu gewinnen, dass jeder einzelne die oft gegen die gesellschaftliche Ordnung gerichteten Aussagen, die so genannten Stammtischparolen, kontern kann. Es geht darum, die Demokratie zu stärken, deshalb ist dieses Thema heute zeitnah und wichtig.“
„Es geht darum , die Demokratie zu stärken, deshalb ist dieses Thema heute zeitnah und wichtig.“
Die Organisatoren hatten in das Pfarrheim St. Antonius eingeladen, rund 35 Interessierte fanden sich ein, um den Ausführungen von Referentin Cassandra Speer M.A. zu folgen. Die Lünerin stellte sich als freie Dozentin vor, mit einem Studium in Germanistik und katholischer Theologie: „Ich werde ihnen bestimmte Begrifflichkeiten namens Stammtischparolen vorstellen, die sie wahrscheinlich alle schon einmal gehört haben, und im Anschluss Argumentationshilfen dagegen ans Herz legen.“
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Hinter den Aussagen stünden meist rigide und feindselige Denkweisen, oder es seien stereotype, einfach aus dem „Nichts“ entstandene Behauptungen, die dann allerdings bestimmt oder aggressiv vorgetragen würden. Dabei sei das berühmte „Die da oben machen doch, was sie wollen“ noch ein eher harmloser Spruch, krasser werde es schon bei „Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg“, „Die haben mehr als wir“ oder „Das hätte es früher nicht gegeben“. Eines hätten alle genannten „Argumente“ gemeinsam, stellt die Dozentin heraus: „Sie sind negativ besetzt, zudem ergeben sich oft Widersprüche.“ Etwa bei „Sie nehmen uns die Arbeitsplätze weg“: „Uns fehlen nachweisbar Facharbeiter, in unserem Land nicht vorhanden, also müssen sich die Arbeitgeber im Ausland umsehen.“ Aber auf Wahrheitsgehalt komme es den Lautsprechern auch nicht an, denn auf die Frage nach Belegen komme meist nur: „Das habe ich gehört, war im Internet.“
Stammtischparolen sind überall zu hören
Inzwischen seien die Sprüche nicht nur beim lockeren Treffen („Ein Stammtisch ist an und für sich etwas Sinnvolles“) in der Gaststätte zu hören, sie begegneten den Menschen überall, am Arbeitsplatz, beim Einkaufen, im Nahverkehr, bei sportlichen Tätigkeiten. Viele Stammtischparolen sind ethisch und moralisch bedenklich, dies stört viele Unzufriedene nicht, denn in den letzten Jahren sind Hemmschwellen gefallen. „Die persönliche Meinung in der Geselligkeit zu verbreiten war auch in der Vergangenheit beliebt, doch blieb es dann meist sachlich. Dies ist ein gehöriges Stück weit verloren gegangen.“
„Die persönliche Meinung in der Geselligkeit zu verbreiten war auch in der Vergangenheit beliebt, doch blieb es dann meist sachlich. Dies ist ein gehöriges Stück weit verloren gegangen.“
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
„Wer mit unbewiesenen Argumenten um sich wirft, findet Selbstbestätigung, rechnet selten mit Widerspruch, will seine Duftmarke setzen, pauschalisiert in seiner Aussage, zeigt starres Denken, will lautstark seine Privilegien sichern“, charakterisiert Cassandra Stern die Redner. Um allerdings einzuschränken: „Manchmal stecken Menschen dahinter, die echte Angst um ihre Existenz haben.“ Aber sie warnt: „Der Schritt von der verbalen zur handelnden Aggression ist nur klein, vom Witz über eine bestimmte Gruppe zum Vorurteil und der Diskriminierung bis zu Gewalttaten sowie lebensbedrohlichen Aktionen geht es schnell.“ Es sei beispielsweise bedenklich, wenn Plakatierer der Parteien nicht mehr alleine ihre Werbung anbringen könnten, sondern nur noch in Gruppen unterwegs seien.
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Zu bedenken sei, dass jeder Opfer werden kann. Vorurteile seien schnell in die Welt gesetzt, da treffe es beispielsweise Behinderte, Menschen, die eine andere Lebensart bevorzugen, Linke, Rechte, Türken, Asylbewerber und viele mehr: „Deshalb ist es wichtig, dass nicht alles still hingenommen wird. Wir sind eine demokratische und zivile Gesellschaft und sollen es auch bleiben. Das muss verteidigt werden. Ich zeige einige Strategien auf, die helfen, sich gegen die Parolen zu stellen.“
Einfach mal gezielt nachfragen
Die Referentin mahnt: „Niemals belehrend wirken, es fordert Abwehr heraus, nicht moralisch den Zeigefinger heben, aber klar Grenzen setzen. Sich positionieren, etwa auf Menschenrechte hinweisen, oder die Pauschalisierung (,Diese Ausländer..‘) mal genauer betrachten.“ Einfach mal fragen: „Gehören zu denen, die raus sollen, auch der türkische Kollege in der Firma, der italienische Koch in der Pizzeria, die polnische Pflegerin? Da stutzt der Gegenüber plötzlich und denkt einfach mal nach.“ Gezielt nachfragen („Wen meinst du genau“) ist sinnvoll, nicht in die Defensive gehen, die Luft rausnehmen („zur Entkrampfung beitragen, den Ton nicht zu laut werden lassen“), allerdings sollten die eigenen Ansprüche nicht zu hoch geschraubt werden: „Es kann sein, dass unsere Argumente einfach abprallen. Dann wird es schwierig, das Gegenüber zum Nachdenken zu bringen.“
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„Aber besser, aktiv zu sein, denn auch steter Tropfen höhlt den Stein. Gar nichts tun, wäre absolut verkehrt.“
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Ein Workshop am Ende fragte ab, welche Entgegnungen den Anwesenden zu bestimmten Sprüchen denn einfielen. Cassandra Stern hörte sich die Argumente an, brachte Gegenargumente, etwa bei dem Satz „Wir brauchen wieder die Todesstrafe“: „Sie sagen ich bin Christ, ich darf nicht über das Leben der Menschen bestimmen. Sehr gut, aber was antworten sie, wenn zu hören ist, mir egal, ich bin nicht religiös.“
Mit ihren Einwürfen zeigte die Sprecherin, dass niemand erwarten dürfte, dass ein Gespräch mit den „Schreihälsen“ einfach wird: „Aber besser, aktiv zu sein, denn auch steter Tropfen höhlt den Stein. Gar nichts tun, wäre absolut verkehrt.“ Anschließend bekam die Referentin ein Kaffeegeschenk überreicht, Christian Rudolphi und Britta Spahlholz dankten ihren Sponsoren, den Firmen Contura, Smartmedia und Versino: „Ohne diese finanzielle Unterstützung hätten wir den Abend nicht realisieren können.“