Berlin. Zur Loveparade verliebte er sich in Berlin. Nach einem Leben voller Schicksalsschläge will Dirk Habraschewski nun zurück nach Menden. Doch das ist fast unmöglich.

Eine Träne läuft über sein Gesicht. „Ich habe es gewusst, dass es so kommt.“ Dirk Habraschewski sitzt in seiner Wohnung in Berlin-Neukölln. Im Hintergrund hängt ein Bild von weißen Orchideen vor einer grauen Wand. Der 52-Jährige erzählt von seiner Frau Christel, die er Kiki nennt. „Sie war herzensgut, hat gemacht und getan. Kiki war wirklich ein Engel und so eine Frau bekommt man nicht wieder. Jetzt ist sie tot und ich kann nicht wiedergutmachen, was sie für mich getan hat“, sagt er und wischt sich mit einem Taschentuch eine weitere Träne von der Wange.

Innerlich verdrückt er sichtlich eine Träne von der Sehnsucht nach dem Sauerland. Er möchte nach all den Jahren in der pulsierenden Weltstadt wieder zurück in die Heimat, zurück nach Menden, „zurück nach Hause“, wie er selber sagt. Schon vor einiger Zeit habe er mit seiner Ehefrau geplant, spätestens 2026 zurück in die Hönnestadt zu ziehen. Beiden gefiel es nicht mehr in Berlin, es sei nicht mehr so schön wie damals, es ist ihm zu hektisch. „Ich will das Versprechen halten, dass ich da heruntergehe“, sagt Dirk Habraschewski.

Wohnort Berlin, Heimat im Sauerland

Alleine sitzt er in seinem Wohnzimmer in der Wohnung, die er mit Ehefrau Kiki bezogen hat. Der Rollator ist sein ständiger Begleiter.
Alleine sitzt er in seinem Wohnzimmer in der Wohnung, die er mit Ehefrau Kiki bezogen hat. Der Rollator ist sein ständiger Begleiter. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Habraschewski ist Wahl-Berliner. Geboren wurde er in Wickede, aufgewachsen ist er in Menden. 1999 hat er sich bei einem Besuch der Berliner Loveparade in die Metropole an der Spree verliebt. Vier Jahre später lernte er seine Frau Kiki kennen. „Ich zog direkt am ersten Tag bei ihr ein. Natürlich erklärten uns alle für verrückt.“

Seine Frau war es auch, die ihm durch die schwerste Zeit seines Lebens half: den kalten Entzug. Lange Zeit war er abhängig von Heroin und Kokain, erzählt er. Eine Vergewaltigung im Alter von zwölf Jahren sei der Auslöser der Abhängigkeit gewesen. Seit 22 Jahren sei er nun clean. „Der Entzug war der Horror. Du fühlst dich, als würdest du jeden Moment sterben. Man kann es sich vorstellen wie eine Grippe – nur einhundertmal schlimmer!“

Dirk Habraschewski, hält ein Foto von sich und seiner Frau.
Dirk Habraschewski, hält ein Foto von sich und seiner Frau. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Dann, am 23. Oktober 2023 um elf Uhr, kam für Habraschewski die Hiobsbotschaft, dass seine Frau tot auf der Arbeit aufgefunden wurde.

Schock wie im Film

„Ich dachte, das wäre ein falscher Film. Ein Traum“, erinnert sich Habraschewski an den tragischen Montagmorgen, als die Kriminalpolizei bei ihm klingelte. Nur wenige Wochen vor dem Tod seiner Frau hatte er sie bekniet, doch zum Arzt zu gehen, er habe „keine Lust, dass du zur Arbeit gehst und dann die Polizei zu mir kommt, um mir zu sagen, dass du tot bist“, sagt Habraschewski.

Lange Zeit waren die beiden selbstständig im Bereich der Sicherheitsdienstleistungen. Doch irgendwann blieben Zahlungen von Auftraggebern aus, erklärt Habraschewski, sodass sich seine Ehefrau mehr und mehr darüber aufregte. „Sie musste dann notoperiert werden, weil sie ein Loch im Magen hatte“, erinnert sich der Witwer. Sie wollte aber nicht wieder zum Arzt gehen. Habraschewski vermutet, dass die Magenprobleme die Todesursache sind. „Ich hatte nie den Mut, den Obduktionsbericht zu lesen. Ich weiß nicht, woran meine Frau starb.“

Habraschewski hält ein Foto von ihm und seiner verstorbenen Frau Kiki.
Habraschewski hält ein Foto von ihm und seiner verstorbenen Frau Kiki. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Als er sich an seine Kindheit in Lendringsen zurückerinnert, werden die Tränen von einem Lächeln und einem Leuchten in den Augen verdrängt. „Wir waren eine Truppe von etwa zehn Jungs, haben nach der Schule zusammen Fußball oder im Wald Soldaten gespielt.“ Er ging zur Hauptschule in Lendringsen, begann eine Ausbildung bei „Spiel und Freizeit Brönies“ als Einzelhandelskaufmann.

„Teilnahme am sozialen Leben so gut wie unmöglich“

Die Suche nach einer adäquaten Wohnung in Menden unterdessen stellt sich für Habraschewski als schwierig heraus. Er könne nicht einfach jede x-beliebige Wohnung nehmen, erklärt er. Grund dafür sind mehrere Schicksalsschläge: Hüftkopfnekrose, Thrombosen, Taubheitsgefühl in den Beinen. Er beichtet, dass er vieles nicht mehr alleine machen könne. Daher habe er sich einen Untermieter in Berlin gesucht, der sich um Habraschewski, den Haushalt und die Einkäufe kümmert. „Ich habe eine Schwerbehinderung und einen Pflegegrad.“

Seine derzeitige Wohnung liegt im sechsten Stock ohne einen Aufzug. „Eine Teilnahme am sozialen Leben ist so gut wie unmöglich. Ich bin draußen nur mit dem Rollstuhl mobil und schaffe es nur mit Hängen und Würgen die Treppe runter.“ Sogar Arzttermine müssen von langer Hand geplant werden, erklärt er.

Wohnung finden ist nicht leicht

Auch in Menden bräuchte er eine Unterstützung. Ideal wäre eine WG. „Die meisten bestehenden Wohngruppen haben aber entweder ein zu hohes Durchschnittsalter von etwa 75 Jahren oder eine jahrelange Warteliste“, sagt Habraschewski. Alternativ könne er es sich vorstellen, eine kleine Wohnung zu beziehen und Hilfe über einen ambulanten Pflegedienst zu erhalten.

Eine kleine Wohnung habe er sogar schon in Aussicht, die Gespräche verliefen positiv, sagt er. Aber es müsse zu einhundert Prozent passen, „denn sonst bringt das alles nichts“, weshalb er immer noch nach weiteren Möglichkeiten Ausschau hält. Er will in seiner Heimat Menden wieder zur Ruhe finden. Dirk Habraschewski will wieder sagen können: „Ich bin zu Hause!“

Heimweh in der Hauptstadt: Ein Mendener kämpft um Rückkehr

Marie-Ellen Krause, 1. Vorsitzende des Vorstands des VKM e. V. (Verein für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e. V.) bestätigt Habraschewskis Aussagen hinsichtlich der Wohngruppen auf Anfrage dieser Zeitung. Man habe in den eigenen Wohngruppen eine Warteliste im niedrigen zweistelligen Bereich. Jedoch seien die Wohngruppen des VKM e. V. nur für geistig und psychisch behinderte Menschen. „Natürlich sind da auch Menschen mit zusätzlichen körperlichen Behinderungen dabei, doch finanziert werden vom LWL (Landschaftsverband Westfalen-Lippe) nur die Plätze für Menschen mit einer geistigen oder psychischen Behinderung“, so die erste Vorsitzende des VKM.

Zudem gebe es ohnehin nicht viele Wohn-Einrichtungen für behinderte Menschen in Menden. Mit seinen körperlichen Beeinträchtigungen falle Habraschewski eher unter die Pflegeversicherung, sprich sei ein Fall für das Seniorenwohnheim – mit dem bekannten Problem der Altersdifferenz. „Andererseits wäre er in unseren Einrichtungen unter geistig behinderten Menschen, mit denen er sich nicht mal unterhalten könnte“, so Krause.

Auch bei der Behindertenhilfe Menden gGmbH sieht es nicht anders aus: Wohngruppen alle voll, eine Warteliste ähnlich der Dimensionen derer des VKM und auch keine Wohngruppen für ausschließlich körperlich behinderte Menschen, weiß Sandra Kulzer-Menke von der Behindertenhilfe. Sie ergänzt, dass das Maximum an Wohngruppen für Menden erreicht ist und somit keine neuen Wohngruppen entstehen dürfen seitens des LWL.