Menden.

Wie kann eine Puppe, die „Mama“ schreit, so kurz vor Weihnachten für ein Donnerwetter sorgen? Und was macht ein Motorrad unterm Weihnachtsbaum? Diese und andere Geschichten aus der Nachkriegszeit gibt es zu Hauf bei unseren Lesern. Und was während der Kriegsjahre geschah, ist nicht minder spannend. Einige Erinnerungen aus jenen Jahren habe ich schon gesammelt, aber es gibt noch viel mehr davon. Ich warte auf Ihre Anrufe. Am liebsten noch heute, vor dem Weihnachtsfest.

Die Sache mit der Puppe passierte meiner Frau Helga geb. Berends. Es war Anfang der 50er Jahre, als sie und ihr Bruder Willy nachts feststellten, dass die Tür zum Weihnachtszimmer nicht abgeschlossen war. Kinder sind nun mal so: Sie können die Spannung kaum aushalten, fassen immer an eine Klinke, zumal dann, wenn sie glauben, dass die Eltern schlafen. Die Tür gab nach, und siehe da: Im Wohnzimmer war alles vorbereitet für die Bescherung. Klein-Helga entdeckte die Puppe, seufzte überglücklich und nahm sie in den Arm … Das Ergebnis: der laute „Mama“-Ruf. Die Eltern wurden wach. Tiefe Enttäuschung bei ihnen, ihre Überraschung war dahin. Das Donnerwetter war zwar heftig, aber zum Glück nur von kurzer Dauer.

Bei Semer und Bröniesschönste Schaufenster

Weihnachten ist Kinderzeit, schöner geht’s eigentlich nicht. Damals war die Zeit, als noch Wunschzettel auf der Fensterbank lagen und dem Christkind mitteilten, was man sich so sehnlich wünschte. Die Schaufenster bei Spielwaren Brönies und bei Semer waren wunderschön dekoriert. Die Kinder drückten sich die Nasen platt, die Phantasie ob der vielen Stofftiere, Eisenbahnen und Schneelandschaften schoss ins Uferlose.

In den Kriegs- und Nachkriegsjahren war es in Menden durchaus uneinheitlich, was den Zeitpunkt der Bescherung anging. Die einen an Heiligabend, die anderen am 1. Weihnachtstag. Jochen Köster (74) marschierte am 1. Weihnachtstag mit Eltern und Geschwistern erst einmal in die Uchte, Bescherung war danach. Elektrische Kerzen gab es noch nicht, am Baum steckten Wachskerzen. Abbrennen durfte man sie nur, wenn jemand dabei war, falls die Nadeln Feuer fangen sollten. Der Tannenbaum stand in der guten Stube, die zu jener Zeit nur an Wochenenden geheizt wurde. Es gab ja nichts oder nur wenig zum Feuern. Geheizt wurde mit Schlammkohle. Das nur am Rande.

Mit Kerzenstummelndie Skier gewachst

„Wir haben alle in der Küche gewartet, bis wir ins Weihnachtzimmer durften. Dann haben wir gesungen, die Kerzen brannten. Das große Staunen brach an.“ Jeder hatte einen Teller mit Plätzchen. Die hatte die Familie vorher selbst gebacken. Geschenke hielten sich im Rahmen. Viel selbst Gemachtes. Dazu gehörten Strickwaren wie Fausthandschuhe. Jochen Köster: „Oma und Mama konnten stricken.“ Tags zuvor hatten die Kinder beim Bäcker Schlange gestanden, um Brot für die Festtage zu bekommen. Für das Festessen sorgte Opa, der in Haushalte ging und schlachtete. Von diesen eher blutigen Ereignissen brachte er einiges mit nach Hause. Opa sorgte auch für den Tannenbaum, den er – wie viele in jener Zeit – aus dem Wald klaute.

Geheizt wurde viel mit Holz. Jochen Köster erinnert sich: „Die Polen vom Rauherfeld hauten am Hexenteich die dicken Bäume um, für uns blieb das Kleinholz. Aber wir waren zufrieden mit Weihnachten. Es gab nichts Vergleichbares, was uns hätte unzufrieden machen können.“ Ach ja, die Kerzenstummel vom Baum hatten auch noch Wert. „Mit ihnen wurden unsere Skier gewachst.“

Freude auf Weihnachtensobald Ruprecht weg war

Elmar Dederich (72) weiß noch von seiner Angst vor dem Nikolaus. Wegen Knecht Ruprecht. Ruprecht war der Organist von St. Josef, Heidemeier, „ein riesengroßer Kerl und ich erst vier Jahre alt“. Nikolaus brachte einen Stutenkerl, den wollte Elmar zum Nikolausteller legen, doch der war weg. Den kriegte er erst später wieder. Auch deshalb weiß Elmar Dederich noch, dass er sich auf Weihnachten erst gefreut hat, wenn dieser Nikolaustag vorbei war.

Von einem erbärmlichen Gabentisch weiß Elmar Dederich im letzten Kriegsjahr. Der Baum wurde in der Dunkelheit aus dem Wald gemopst unter durchaus gespenstischen Umständen, wenn die Kinder (immer abwechselnd durfte eines mit) auf Grund von Geräuschen glaubten, es käme jemand, der sie erwischen könnte. Elmars schönster Augenblick war, als er eines Jahres tief enttäuscht über seine Weihnachtsgeschenke war und Vater dann sagte: „Schau mal unters Sofa.“ Und da lagen die heiß ersehnten Skier.

Das Essen bei Dederichs an den Festtagen hatte Tradition: Kartoffelsalat mit Würstchen und wenn es hoch kam, noch selbst gemachte Sülze.

Baum nicht akkurat? Ast wurde versetzt

Ich bin durchaus jemand, der einen gerade gewachsenen Weihnachtsbaum in seiner Stube stehen haben möchte. Damals wie heute. Regi Steffens (83) geb. Bussmann erzählte, dass ihr Vater sogar einen Schritt weiter ging und ganz besonderen Wert auf das Aussehen des Baumes legte. Wenn ein Zweig nicht an der Stelle gewachsen war, wo er eigentlich hin gehört hätte, bohrte ihr Vater ein Loch in den Stamm und setzte den Zweig dort ein. Lametta hatte gerade zu hängen.

Es war auch bei Bussmanns eine Zeit der Geheimnisse. Mutter häkelte abends für Töchterchens Puppen, wenn die Kinder im Bett lagen. „Das Christkind arbeitet“, hieß es dann. Das Wohnzimmer war abgeschlossen, die Spannung groß, kaum auszuhalten. Da musste Vater sich schon mal drängen lassen, voran zu machen, wenn er am 1. Weihnachtstag nach Messe und Frühstück erst noch eine Zigarette rauchte. „Papa, mach doch mal schneller.“ Als dann Puppenstube für Regi und selbst gegossene Bleisoldaten für Bruder Werner auf dem Gabentisch standen, waren die Kinder selig.

Einzelne Kaffeebohneerinnerte an bessere Zeit

Kaum zu glauben, aber Gerd Kemper sieht das noch vor seinem geistigen Auge: „An der Küchenlampe hing eine einsame Kaffeebohne im Gedenken an bessere Zeiten.“ Er weiß auch noch, wie er seine erste Apfelsine essen durfte. „Ich sagte Appeltrone dazu“. Das war 1946. Mutter hatte Spekulatius gebacken. Vater hatte für die Kinder ein altes Dreirad aufgetrieben und mit Silberbronze angestrichen.

Statt Weihnachtspredigt ab in die Hölle nebenan

Gisela Kopetzki geb. Leusmann (90) hat noch Weihnachten im Krieg vor Augen. Der Tisch war im Wohnzimmer gedeckt. Treue Schüler hatten ihrem Vater Robert Leusmann, dem späteren Chef des Walram-Gymnasiums, nach den unseligen Jahren unter den Nazis, in denen er und seine Familie so arg zu leiden hatten, auch schon mal ein Huhn und eine Wurst zugesteckt. Bescherung war Heiligabend, der Baum war geschmückt, Vater spielte Klavier und erzählte Weihnachtsgeschichten. „Ich musste ein Gedicht aufsagen“. Schmunzeln muss sie heute noch über ihre Brüder. Die waren nicht besonders fromm, auch wenn sie Messdiener waren. Während der Predigt an Weihnachten, hauten sie auch schon mal ab und gingen in die „Hölle“ gleich neben der Vincenz-Kirche. Aber das war nach dem Krieg.

Die beste Sauce gab esvom Pferdefleisch

Man darf festhalten, dass in jenen Jahren die meisten Weihnachtsbäume geklaut bzw. selbst geschlagen waren, dass es als Festessen überwiegend Kartoffelsalat mit Würstchen gab. Zu essen gab es damals in Menden auch viel Pferdefleisch. Metzgerei Bartolain in der Pastorat­straße war Lieferant. Ich habe es gern gegessen und behaupte heute noch, dass es keine bessere Bratensauce und keinen besseren Gullasch gibt als vom Pferd.

Die Weihnachtsbäume waren meist mit Silber-Lametta behangen, mit silbernen Kugeln, silbernen Vögeln und Glöckchen. Und nahezu alle trugen eine silberne Spitze.

Wer konnte, hatte eine Krippe. Meine Frau Helga spricht heute noch von einem Krippenhaus, das aus einem simplen Aufnehmer entstand: Kurzerhand zum Steifen in eine Gipsbrühe getunkt und dann geformt und angestrichen. Das Türchen mit kleinen Tannenästchen verstärkt. Lakonisch würde man heute feststellen: „Geht doch.“

Förster schimpfte: „Baumnehmen wie er kommt“

In einer Familie wie meiner, wo der Vater 1944 an einer tückischen Krankheit gestorben ist, ist Schmalhans oft Küchenmeister gewesen. Aber zufrieden waren wir dennoch und einen Baum hatten wir immer. Dafür sorgte Vaters Bruder, Onkel Jupp, Förster vom Bimberg. Von ihm handelte sich mein Bruder Johannes mal derbe Schelte ein. Johannes war wie ich für einen geraden Baum mit akkurat ausgerichteten Zweigen. Onkel Jupp aber schimpfte, „Du musst einen Baum nehmen wie er kommt.“ Er liebte seinen Wald.

Christkind wird wohlalles wieder abholen

Gebacken haben wir selbst. Spritzgebäck. Das Gerät zum Durchdrehen des Teigs war am Küchentisch festgeschraubt. Schöne Macken gab das. Wir Kinder linsten natürlich durchs Schlüsselloch. Eines Abends lagen wir noch wach im Bett, aber Mutter war bei der Nachbarin eine Etage tiefer. Die Wohnzimmertür war ausnahmsweise nicht verschlossen. Das war dumm, denn da stand schon alles. Aufgeregt lief ich nach unten: „Mutter, das Christkind war schon da“! Große Enttäuschung, die in dem Ausspruch gipfelte: „Jetzt wird das Christkind wohl alles wieder abholen.“ Hat es nicht getan. Ich selbst weiß das nicht mehr, mein Bruder hat mir es erzählt.

Weihnachtslieder sangen Mutter und mein Bruder. Ich war vor Hemmungen so zusammengebacken, dass ich den Mund nicht aufmachte.

Gesungen, aber immerauf Geschenke geschielt

Für Jochen Hülsenbeck begann Weihnachten an Heiligabend mit der Bescherung, Fortsetzung am nächsten Morgen in der 5 Uhr-Uchte in Antonius Einsiedel in Halingen. „Gesungen hab ich am Bescherungsabend auch, aber dabei immer auf die Geschenke geschielt. Krippe mit Maria und Josef, alles schön, aber der Traum war ein Roller. Einer mit Pedalen und Sattel. Das war so was Besonderes! Ich war um die 5 Jahre alt und stolz wie Oskar. Ich war der einzige im Dorf, der so etwas Schönes hatte.“

Den Roller hatte sein Stiefvater in Menden erworben. Weil die Iserlohner Kreisbahn für den Transport nach Halingen Extrageld haben wollte, Geld aber Mangelware war, hat der Stiefvater den Roller auf die Schulter genommen und ist zu Fuß nach Halingen marschiert. „Das war mein schönstes Weihnachtsgeschenk, so weit ich mich erinnere,“ sagt Jochen Hülsenbeck.

Kommt selten vor: BMW unter dem Lichterbaum

Höchst ungewöhnlich unterm Weihnachtsbaum machte sich 1950 eine 750er BMW bei Masslings an der Unnaer Str. 109. Die Brüder Hubert (Jahrg. 1920), Walter (1924) und Werner (1930) hatten sie zusammengebastelt und den Motor einer alten Wehrmachtsmaschine, einer R 75, eingebaut. Grobarbeit passierte im Keller, Feinarbeit wie Elektrik im Wohnzimmer, weil es im Winter im Keller zu kalt war. Brummen durfte das Gemeinschaftswerk auch, aber das passierte im Schlafzimmer vor Mutters Bett, wenn die mal nicht da war. Hubert war als Lehrer der Theoretiker und Geldgeber, Walter angehender Ingenieur und Werner Lehrling im Autohaus Buse. Da werden sich sogar die Wachskerzen im Baum gefreut haben.