Menden. 2015 kamen sie in Menden an, heute stehen sie hier in Ausbildung und Studium: Vier junge Leute erzählen ihre Geschichte.
Es gibt in Menden ehrenamtliche Treffs, die fast im Verborgenen enorme Beiträge leisten für den Zusammenhalt und die Zukunft der Stadt. Solch ein Treff ist das „Alt Menden“ an der Stadtmauer, das seine Vergangenheit als Innenstadtkneipe bis heute nicht verhehlen kann. Doch wo einst Skat gekloppt wurde, wird heute gebüffelt. Ob für Mathe, Englisch oder Deutsch: Der alte Stammtisch wird zur Schulbank. Seit 2018 helfen Ehrenamtliche hier Kindern und Jugendlichen aus aller Herren Länder in Menden Anschluss zu finden, menschlich wie sprachlich. Was aus mitunter mühevollen und zähen Anfängen werden kann, wenn man nur an junge Leute glaubt, das beweisen Dania (25), Jamila (21) und Jouhaina (16) aus Syrien sowie der 24-jährige Mojtaba aus Afghanistan. Sie sollen berichten, wo sie jetzt stehen und wo sie hinwollen. „Das zu zeigen ist wichtig, gerade jetzt, da Rechtspopulisten immer mehr Zulauf finden“, meint Treff-Organisatorin Gaby Wozniewski.
Wer die Schwestern Jamila und Souhaina nahezu akzentfrei reden hört, kann kaum glauben, dass ihre Ankunft in Menden gerade sieben Jahre her ist. Damals waren Dania und Mojtaba schon zwei Jahre da: Sie zählten als Jugendliche 2015 zu den vielen erschöpften Ankömmlingen, die in Bussen in der alten Bösperder Nikolaus-Groß-Schule eintrafen. Dania hat gerade ein Duales Studium aufgenommen und arbeitet in einer Mendener Steuerkanzlei, die Ausbildung zur Pharmazeutisch-Technischen Assistentin hat sie im Juni erfolgreich abgeschlossen. Mojtaba lernt als Pflegehelfer bei den Katholischen Kliniken im Märkischen Kreis und arbeitet gerade in Iserlohn. Später möchte er gerne ins St.-Vincenz-Krankenhaus wechseln, in seiner Stadt, wo er jetzt mit seinem Bruder eine eigene Wohnung bezogen hat. Denn: „Menden ist schön!“
Alle vier erzählen Fluchtgeschichten, die mit dem Wort abenteuerlich noch vorsichtig umschrieben sind. Etwa, als die Mutter von Jouhaina, die heute Ärztin werden will, und Jamila mit ihren beiden Mädchen im Schlauchboot den Fluss nach Griechenland überqueren will, von der türkischen Polizei erwischt und zurückgeschickt wird. Wie dann der zweite Versuch klappt und es von Griechenland nach Ungarn weitergeht, zu Fuß und in Autos, um endlich über die grüne Grenze von Österreich nach Deutschland zu kommen.
Doch die Zeit unmittelbar vor der Flucht war noch schlimmer, erzählen sie. Von Folter ist die Rede, von blankem Rassismus, den Mojtaba als afghanisches Kind im Iran bis ins Klassenzimmer hinein erleben muss. Und von der Angst junger Mädchen, sich im syrischen Bürgerkrieg überhaupt vor die Tür zu wagen. Deutlich wird: In der Kindheit schreckliche Szenen durchlebt zu haben, um dann in völliger Ungewissheit zu landen, hat mit Abenteuern nichts gemein. Das sind traumatische Erfahrungen. Den jungen Leuten ist anzumerken, dass sie das gern hinter sich lassen würden, es kommen Tränen, sobald es darum geht, was ihnen oder ihren Angehörigen widerfahren ist. Syrien jedenfalls ist für keine drei jungen Frauen eine Heimat, an die sie gerne denken.
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Die Bedeutung einer Unterstützung für Geflüchtete lässt sich nur erahnen
Wer all das hört, kann nur erahnen, welche Bedeutung jeder einzelne Mensch hier für Geflüchtete hat, der ihnen einladend begegnet. „Die Menschen in Menden waren von Anfang an sehr freundlich zu uns, und das ist bis heute so“, berichtet Dania. „Trotzdem hätte ich damals nie geglaubt, dass ich diese Sprache jemals erlernen kann“, lächelt sie. Sechs Monate brauchte die schüchterne junge Frau damals, um ihren allerersten Satz auf Deutsch zu sagen. Damals gab es das „Alt Menden“ noch nicht. „Wenn ich mir Dania heute ansehe, dann ärgert mich zu sehen, wie oft wir solche Potenziale noch immer vergeuden“, sagt Lehrerin Maria Neuhaus.
„Die Menschen in Menden waren von Anfang an sehr freundlich zu uns, und das ist bis heute so.“
Pate für das „Alt Menden“ stand 2015 tatsächlich das Camp in der Grundschule Bösperde, die Keimzelle der heutigen Arbeit. Dort lernten Geflüchtete ihre ehrenamtlichen Helfer kennen, aber auch die Unterstützer einander. Bei der Essensausgabe, in der Kinderbetreuung oder den Hilfen bei Anträgen kam noch im Camp die Idee auf, das „Café Grenzenlos“ ins Leben zu rufen.
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Mit Sonderfonds des Erzbistums die Kneipe in „Treff Alt Menden“ verwandelt
Dort sollten sich Erwachsene austauschen und Kinder miteinander spielen können. 2018 erhielt der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) Gelder aus dem Sonderfonds „Armut“ des Erzbistums Paderborn zur Renovierung des „Alt Menden“. Im selben Jahr begann an der Stadtmauer die Arbeit des Integrationstreffs, die sich seither immer breiter aufgefächert hat.
Heute Frauentreff, Teezeit, Hausaufgaben, Deutschkurs und Offener Treff
Heute gibt‘s den Frauentreff, immer montags von 17 bis 19 Uhr. Eine Viertelstunde später startet der Deutsch-Intensivkursus. Dienstags gibt es von 16 bis 18 Uhr Hausaufgabenhilfe für Schülerinnen und Schüler, um 18.15 Uhr beginnt die „Teezeit“ zum Reden und Lesen. Mittwochs kann man sich hier nach Absprache Unterstützung vor Prüfungen holen, donnerstags wird wieder Deutsch gelernt. An Freitagen lädt das „Alt Menden“ von 10 bis 12 Uhr zum Offenen Treff an. Weitere Beratungen, Behördengänge, Hausaufgaben, Antragshilfen und vieles mehr sind nach persönlicher Absprache zusätzlich möglich.
Problem der Einsamkeit: Viele haben kaum Kontakt zu deutschen Nachbarn
Bedarf und Nachfrage sind weiter groß, sagt Gaby Wozniewski. Auch wenn heute viele der Menschen, die damals als Flüchtlinge nach Menden kamen, eigene Wohnungen haben: Nur wenige von ihnen erlangen auch Kontakte zu deutschen Mitbürgern oder Nachbarn, manche leiden unter Vereinsamung.
Wer die Arbeit im „Alt Menden“ ideell, personell oder finanziell unterstützen will, kann freitags gerne zum „Offenen Treff“ kommen. Oder sich unter der Rufnummer 0175 652 00 36 melden.