Menden. Von Hochwasser über Gasknappheit vom Bombenfund bis zum Amoklauf: Neues Handbuch von Feuerwehr und Ordnungsamt soll Abläufe festhalten.
Viele Menschen empfinden unsere Zeit als unsicher. Der Klimawandel und die Folgen, dazu die kriegerischen Konflikte bereiten Sorge. In Menden gibt es indes auch Menschen, die sich von Berufs wegen ausdenken müssen, was der Hönnestadt noch alles an schlimmen Ereignissen passieren kann. Denn Feuerwehr und Ordnungsamt müssen vor Ort immer als allererste auf neue Lagen reagieren. Dafür erstellen sie gerade gemeinsam ein „Krisen-Handbuch“. Es ist ein Werk, das wirkt wie ein Stelldichein der Katastrophen. Denn hier dreht sich alles um Hochwasser, Waldbrände, Pandemie, Gasknappheit, Dürre, Bombenfunde, Tornados, Amokläufe oder Cyber-Attacken.
Den größten Respekt haben sie im Rathaus, auch im dortigen „Stab für außergewöhnliche Ereignisse“ (SAE) übrigens vor großflächigen Ausfällen beim Strom, sagt Manuela Schmidt, Leiterin des Ordnungsamtes. Was ist am Stromausfall denn so schlimm? „Bei einem Blackout hast du höchstens 72 Stunden, bis die ersten Menschen ihr Leben verlieren.“ Dann können die ersten Notstromaggregate den Geist aufgeben, dann haben Menschen in feststeckenden Aufzügen zu lange kein Wasser.
„Bei einem Blackout hast du höchstens 72 Stunden, bis die ersten Menschen ihr Leben verlieren.“
Ein solcher Blackout ist Menden bislang erspart geblieben. Doch das neue Handbuch zeigt auch, was die Hönnestadt allein seit dem letzten Jahr alles auszuhalten hatte. Die jüngsten Hochwasser datieren vom Mai 2023 in Lendringsen und von Weihnachten in Menden. Die Kommunikation im Stadtgebiet war nach dem Kabel-Fiasko auf der Ex-Dieler-Baustelle am Nordwall im April ´23 wochenlang empfindlich gestört. Noch folgenreicher war ein halbes Jahr später die Cyber-Attacke auf den EDV-Anbieter des Mendener Rathauses im Oktober: Es gab viele Totalausfälle im Bürgerservice, monatelang keine Pässe und Ausweise, keine Nummernschilder, und Nachwirkungen sind vereinzelt noch bis heute zu spüren.
Gleich zwei Mal mussten Feuerwehr und Ordnungsamt in Menden außerdem sämtliche Vorkehrungen treffen, um bis zu 4500 Menschen rund um den Papenbusch vor vermeintlichen Weltkriegs-Blindgängern in Sicherheit zu bringen. Im Sommer `23 geschah das rund um das evangelische Kinderheim an der Hedwig-Dransfeld-Straße, im Januar darauf dann am Papenbusch, rund um den Platz vor der Stadtwerke-Einfahrt. Zur selben Zeit treibt in Lendringsen eine später gefasste Brandstifterin ihr Unwesen, die auch Waldbrände zu legen versucht.
„Gerade bei den Evakuierungen haben wir viel gelernt“, sagen Manuela Schmidt und Christian Boike, der neue Leiter der Feuer- und Rettungswache. Zum Beispiel, wie viele Menschen in ihren Wohnungen heutzutage tatsächlich bettlägerig sind und in Rettungswagen zu ihren Evakuierungsräumen gebracht werden müssen. Wie man so etwas vorher rausfindet, damit genügend Fahrzeuge da sind. Welche Gebäude in Menden überhaupt geeignet sind zur Aufnahme vieler Menschen, auch von den sanitären Anlagen her. Wie sehr sich Menschen um ihre Haustiere sorgen, sodass auch dafür eigene Räume zu schaffen sind. Und wie viele Menschen sich wider alle Vernunft weigern ihre Wohnung zu verlassen, um dann von der Polizei notfalls mit Gewalt herausgebracht zu werden.
All die Kräfte, alle Gebäude standen in Menden beide Male bereit, bis die Kampfmittelräumer statt scharfer Weltkriegs-Bomben nur harmloses Altmetall aus der Erde buddelten. Die großangelegten Evakuierungen blieben jeweils aus, sonst wäre das Krisen-Handbuch der Verantwortlichen in Menden wohl noch dicker ausgefallen. Ganz wichtig ist laut Christian Boike hier die Krisen-Kommunikation: „Wir müssen die Bevölkerung informieren, ohne die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen, wir dürfen die aktuelle Lage dabei aber auch nicht verharmlosen.“
Sicherheit geht vor: Fertiges Handbuch bleibt geheime Verschlusssache
Das fertige Handbuch selbst bleibt Verschlusssache. Es wird, anders als die neuen Hochwasserkarten der Stadt Menden und des Märkischen Kreises, nicht etwa ins Internet gestellt. Boike nennt den Grund: „Weder wir noch die Polizei wollen verraten, wie wir zum Beispiel bei einem Amoklauf reagieren würden.“ Immerhin: Die letzten drei Amok-Alarme am Hönne-Berufskolleg in Menden sind schon ein paar Jahre her. Sie stellten sich samt und sonders als falsch heraus, zu Großeinsätzen in Menden führten sie trotzdem.
„Weder wir noch die Polizei wollen verraten, wie wir zum Beispiel bei einem Amoklauf reagieren würden.“
Das neue Handbuch beschreibt auch den Job seiner Autoren im Katastrophenfall selbst. Die Zusammensetzung des SAE natürlich, aber auch seine Zusammenarbeit mit städtischen und übergeordneten Behörden, mit Hilfsorganisationen oder dem Krisenstab des Märkischen Kreises, zu dem es immer Vermittlungsbeamte geben soll. Konkret: Ab welchem Pegelstand bei Hochwasser tritt der SAE unter Leitung von Manuela Schmidt zusammen? Wann beginnen die Kontrollfahrten für die Gullys, wann schiebt der Mendener Baubetrieb die Spundwände entlang der Hönne in ihre Halterungen?
Auch Rechtssicherheit und Notfall-Finanzen sind wichtige Themen
Behandelt werden außerdem Fragen, an die man im Zusammenhang mit Katastrophen nicht gleich denkt: Welche Handlungen der Stadt sind rechtssicher? Was ist finanziell machbar, wenn ganz schnell zigtausende Sandsäcke oder teure Doppelkammerschläuche zur Absicherung von Häusern oder Industrieanlagen her müssen? Denn manchmal ist ein Unwetter schneller und unberechenbarer, als Menschen überhaupt reagieren können. Etwa, als Ende Mai über der heimischen Region kurzfristig Starkregen mit Tornadogefahr angesagt wurde. Der Wirbelsturm fegte dann über Hagen hinweg und richtete dort Millionenschäden an, kurz zuvor hatte sich über Medebach eine Tornado-Vorstufe ereignet. An Menden ging dieser Kelch vorbei, „aber das hätte uns ebensogut treffen können“, sagt Manuela Schmidt.
Online-Handbuch soll immer wieder aktualisiert werden
Kein Zweifel: Dieses Handbuch ist besonders. Es soll der Politik nach der Sommerpause in nichtöffentlicher Sitzung vorgestellt werden. Und es soll dynamisch bleiben: „Keine Krise ist wie die vorherige. Wir wollen es immer wieder ergänzen, auch wenn wir etwa technische Neuerungen einbauen, neue Schutzmaßnahmen wie am Hönne-Gymnasium da sind oder wir selbst neue Erfahrungen mit Gefahrenlagen machen“, sagt die Ordnungsamtschefin. Dann setzt sie leise hinzu: „Wer weiß schon, was uns noch ereilt.“