Attendorn. Kreiswerke sorgen mit Bigge-Energie und Lister- und Lennekraftwerken für Ausfallsicherheit bei einem Blackout im Kreis Olpe.
Man sieht – nichts. Das, was neu ist, verbirgt sich in zwei Technikschränken, die von außen so aussehen wie Dutzende andere, die sich im Bigge-Kraftwerk unterhalb des gewaltigen Staudamms oberhalb von Attendorn aneinanderreihen. Und doch hat sich hier etwas Großes getan. Etwas, das im Idealfall niemals zum Einsatz kommen wird, aber wenn, lebenswichtig ist. Technokratisch ausgedrückt, wurde das Bigge-Kraftwerk „schwarzstartfähig“ gemacht. Dahinter verbirgt sich die Option, die mit drei großen Turbinen arbeitende Anlage, die das aus dem Biggesee herabstürzende Wasser in Elektrizität umwandelt, auch dann in Betrieb nehmen zu können, wenn sich ein Blackout über das Land geworfen hat.
Fünf besondere Fakten über das Bigge-Kraftwerk
Nachdem 1957 der Bau der Biggetalsperre begonnen hatte, errichtete der damalige Ruhrtalsperrenverein in den Jahren 1964 und 1965 das Bigge-Kraftwerk unterhalb des Staudamms in Attendorn. Der eigentliche Sinn der Biggetalsperre ist die Wasserregulierung der Ruhr, in die die Bigge via die Lenne mündet. Doch ist auch die Nutzung der Wasserkraft ein wichtiger Nutzen.
Die Leitung, die das Wasser auf die Turbinen leitet, hat einen Durchmesser von vier Metern. Außer drei identischen Turbinen mit je 5,5 Megawatt Leistung ist eine weitere, kleine Turbine montiert, die zum Einsatz kommt, wenn die Bigge nur die Mindestabgabemenge vom See in den Fluss leiten darf.
Die drei großen Francis-Turbinen können je 10,5 Kubikmeter Wasser pro Sekunde verarbeiten, die kleine Turbine immer noch 1,5 Kubikmeter – mit anderen Worten: 1500 Liter oder der Inhalt von acht Badewannen in einer Sekunde. Pro Jahr erzeugt das Bigge-Kraftwerk im Schnitt 23 Millionen Kilowattstunden Strom.
Die Typenschilder auf den gigantischen Turbinen verweisen auf eine Firma, die es in dieser Form gar nicht mehr gibt: Sie wurden vom Schweizer Konzern BBC (Brown, Boveri & Cie.) gebaut, die es schon seit 36 Jahren nicht mehr gibt, als BBC und Asea zum neuen ABB-Konzern verschmolzen.
Wenn das Bigge-Kraftwerk stillsteht – das kann passieren, weil gerade kein Strom benötigt wird oder weil Wartungsarbeiten anstehen – wird Wasser durch einen parallelen Auslass am Kraftwerk vorbeigeleitet. Zusätzlich gibt es noch einen großen Notablass, für den ein alter Eisenbahntunnel umgebaut wurde.
Das Kraftwerk gehört den Lister- und Lennekraftwerken, die ihrerseits eine 100-prozentige Tochter des Ruhrverbands sind. Die LLK vermieten es an den heimischen Versorger Bigge-Energie, der die Elektrizität aus dem Bigge-Kraftwerk als Ökostrom vermarkten kann, weil er praktisch emissionsfrei erzeugt wird.
Blackout – längst eingedeutscht, ist das mehr als ein Stromausfall: Er besagt, dass das Stromnetz flächig darniederliegt, was dazu führt, dass die allermeisten Kraftwerke, selbst wenn sie noch arbeitsfähig sind, keinen Strom mehr ins Netz speisen können. Das liegt üblicherweise daran, dass ein Kraftwerk selbst eine gewisse Menge Strom braucht, um hochzufahren.
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Ein dickes Paket von Akkumulatoren und ausgeklügelte Steuerungstechnik machen nun möglich, das Bigge-Kraftwerk in einem solchen Fall, in dem es sich zunächst selbsttätig ausschalten würde, in kurzer Zeit wieder anzufahren. Dann allerdings in einem speziellen Modus: Denn sollte ein Blackout auftreten, besteht nun die Möglichkeit, einen sogenannten Inselbetrieb einzurichten. Mitarbeiter von Bigge-Energie und Lister- und Lennekraftwerken würden in einem solchen Fall vom Katastrophenstab des Kreises in Marsch gesetzt und zu 67 Schalt- und Trafostationen ausrücken. Dort schalten sie dann das Leitungsnetz so um, dass der Strom des Bigge-Kraftwerks alle wichtigen Pumpstationen erreicht und so zum einen die Trink- und Löschwasserversorgung, zum anderen die Abwasserentsorgung im Kreis am Laufen hält.
Landrat Theo Melcher zeigte sich beim Pressegespräch im frisch umgerüsteten Bigge-Kraftwerk stolz und zufrieden. Gemeinsam mit Prof. Dr.-Ing. Norbert Jardin, Vorstandsvorsitzender des Ruhrverbands, dem Geschäftsführer der Lister- und Lennekraftwerke, Peter Klein, Ingo Ehrhardt von Bigge-Energie und Benedikt Hilchenbach von den Kreiswerken präsentierte er die nun geschaffene Lösung, die im Fall eines Blackouts die wohl wichtigste Infrastruktur, nämlich die Wasserver- und -entsorgung, auf dem Laufen hält.
Der Kreis Olpe ist diesbezüglich ohnehin gut aufgestellt. Wie Benedikt Hilchenbach erklärt, ist durch die Tatsache, dass die Trinkwasserleitungen weit überwiegend aus Hochbehältern versorgt werden, die allein durch die Schwerkraft funktionieren, ohnehin Frischwasser für 24 Stunden auch ganz ohne Strom garantiert. Es würde zwei bis drei Stunden dauern, so die Berechungen und Tests, bis das Bigge-Kraftwerk wieder in Gang wäre und den Inselbetrieb aufgenommen hätte. 72 Stunden muss ein solcher Betrieb laufen, doch durch das gigantische Fassungsvermögen der Biggetalsperre wäre dies im Kreis Olpe weit länger möglich.
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2022 fanden erste Gespräche zwischen den Lister- und Lennekraftwerken als Eigentümerin des Kraftwerks, Bigge-Energie als Pächter und Ruhrverband als Abwasserentsorger und den Kreiswerken statt, die die Trinkwasserversorgung für fast den gesamten Kreis Olpe sichern. Um den Inselbetrieb zu ermöglichen, müsste nur eine der drei Turbinen mit halber Kraft laufen, um alle Pumpwerke in Gang zu halten, damit weiterhin Listerwasser auf den Erbscheidberg bei Sondern zu pumpen, damit dies zu Trinkwasser aufbereitet wird, und den Hauptbehälter Imberg in Olpe als zentralen Versorgungspunkt zu füllen.
Alternativ zum Umbau des Wasserkraftwerks hätten die Kreiswerke zehn Notstromaggregate mit bis zu 500 Kilovolt-Ampere Leistung kaufen müssen, und dies hätte, so Benedikt Hilchenbach, auch nur kurzfristig für Abhilfe gesorgt, weil im Falle eines Falles der Dieseltreibstoff rasch ausgehen würde und durch den Stromausfall auch nicht mehr an Tankstellen bezogen werden könnte. Die 460.000 Euro, die der Umbau verschlungen hat, seien somit ökologisch wie aus Effizienzgründen die weit bessere Lösung. Das gewaltige Kraftwerk kann damit quasi selbst als riesiges Notstromaggregat genutzt werden. Landrat Melcher zeigte sich höchst zufrieden mit der Kooperation der unterschiedlichen Partner, die an einem Strang gezogen hätten, um eine so wichtige Sicherheitsreserve zu schaffen. Getestet wurde sie bereits: Am Montag des Olper Schützenfests wurden die Teile des 2100 Kilometer langen Bigge-Energie-Netzes so geschaltet, dass das Bigge-Kraftwerk direkt Strom an die Pumpwerke lieferte, und alles lief wie gewünscht. „Und niemand hat etwas bemerkt“, so Ingo Ehrhardt im Rückblick.