Kreis Olpe. Die Ottfingerin Jutta Ortolf möchte ihrem Mann Rudi eigentlich nur helfen. Die Schockdiagnose Frontotemporale Demenz verändert ihr Leben für immer.
Die Ottfingerin Jutta Ortolf erlebt, wie sich die Persönlichkeit ihres geliebten Mannes Rudi immer weiter verändert, auf der Suche nach dem Auslöser der Verhaltensänderung tappt sie neun Jahre im Dunkeln. Erst die Diagnose Frontotemporale Demenz schafft dringend benötigte Klarheit und stellt gleichzeitig ihr Leben endgültig auf den Kopf. Im recht jungen Alter schreitet die Krankheit im Kopf über die Jahre immer weiter voran. Ohne wirkliche Behandlungsmöglichkeiten und zusätzliche finanzielle Unterstützung, steht die heute 71-Jährige kurz vor dem finanziellen Ruin. Acht Jahre nach dem Tod ihres Mannes möchte sie über die gefährliche Krankheit aufklären und anderen Betroffenen eine Stimme geben.
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Schwerwiegende Veränderungen
„Rudi war sehr leistungsfähig und ein munterer Geselle. Wir hatten immer einen großen Freundeskreis und viel Spaß zusammen“, erinnert sich Jutta Ortolf an die guten alten Zeiten mit ihrem Mann zurück. Acht Jahre nach dem Tod ihres Mannes geht ihr die gemeinsame Geschichte weiterhin sehr nah. Bereits 1999 bemerkt sie, dass irgendetwas in ihrer Beziehung nicht stimmt. Erste Veränderungen im sozialen Umgang werden deutlicher. Rudi zieht sich immer mehr von Freunden, Bekannten und Verwandten zurück, die Isolation nimmt zu. Sogar die geliebte Skatrunde im örtlichen Skatclub weicht aus dem Wochenprogramm. Nach einer Herz-OP mit mehreren Bypässen verändern sich auch die gemeinsamen Unterhaltungen immer mehr – Gespräche verflachen und seine Lebensfreude weicht aus dem Gesicht. Vor allem in Gesprächen fällt es Rudi schwieriger, die richtigen Worte zu finden. Wortfindungs- und Verständnisstörungen häufen sich. „Es gab eine Veränderung. Dass er die Dinge nicht mehr normal umsetzen konnte, ist mir aber erst aufgefallen, als er ein Glas Marmelade holen sollte, aber die Dinge nicht mehr richtig zuordnen konnte. Der Prozess ist so schleichend und dann fällt es einem plötzlich wie Schuppen von den Augen “, erzählt Ortolf.
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Die Ursachenforschung für die persönliche Veränderung gestaltet sich schwierig. Die 71-Jährige muss mit ansehen, wie sich der Zustand ihres Mannes verschlechtert. Ärzte können keine zufriedenstellende Diagnose stellen und schließen eine Demenz lange aus. „Unser Hausarzt tat die Veränderung mit dem Satz ‚Man wird ja auch älter ab‘ “, berichtet Ortolf. Erst 2008 erhält das Paar nach einem Besuch bei einem weiteren Neurologen im Klinikum Aachen die Diagnose, dass es sich beim Krankheitsbild um Frontotemporale Demenz (FTD) handelt. Schnell wird der Ottfingerin klar, dass es für die Erkrankung keine Behandlungsmöglichkeiten gibt. Die gelernte Friseurin unterstützt ihrem Mann, wo sie nur kann, doch selbst Kleinigkeiten werden mit der Zeit zur Zerreißprobe. „Irgendwann klappte das Autofahren nicht mehr, deshalb habe ich den Autoschlüssel heimlich entfernt. Mein Mann war aber der Ansicht, dass er noch zum Führen eines Pkw in der Lage war. Entsprechend groß war das Drama“, berichtet sie.
Alles wird zur großen Herausforderung: „Der ganze Mensch veränderte sich über einen langen Zeitraum. Man verliert den alten Partner und Lebensgefährten. Im Endeffekt funktioniert man einfach nur, weil man funktionieren muss. Ich hatte irgendwann keine Hoffnung mehr“, beschreibt Ortolf den herausfordernden Alltag. Und auch auf der finanziellen Ebene reicht die kleine Rente ihres Mannes auf Dauer nicht aus. Nachdem sich die Situation noch mehr verschlimmert und sie ihren Partner in die Tagespflegebetreuung abgibt, muss sie einen weitreichenden Entschluss fassen: „Ich musste wegen der Krankheit unser Haus verkaufen. Ich hatte in einem Jahr nur ein schlechtes paar Schuhe, weil ich kein Geld mehr hatte. Das werde ich niemals im Leben vergessen“, verdeutlicht Ortolf.
Echte Herzensangelegenheit
Der offene Umgang mit der Krankheit und den späteren Folgen ist der Ottfingerin eine echte Herzensangelegenheit. In den schwersten Stunden hat vor allem der Besuch und Austausch in einer Selbsthilfegruppe für Angehörige und Freunde von Menschen mit Frontotemporaler Demenz Halt gegeben. „Es war so wichtig, dass mich endlich jemand verstanden hat“, kommt sie über eine Mitarbeiterin des DRK-Mehrgenerationenhauses zur Selbsthilfegruppe. Einer ihrer heutigen ersten Ansprechpartner ist Anke Maikranz-Boenig, Fachberaterin für Geronto-Psychiatrie und Mitleiterin der Selbsthilfegruppe.
Aus der Sicht der DRK-Mitarbeiterin wird über die Krankheit bis heute viel zu wenig aufgeklärt. Die Frontotemporale Demenz sei eine besondere Erkrankung, die auch eine besondere Behandlung erfordere. Oft werde die Krankheit falsch als Burnout oder Depression diagnostiziert. Schon im relativ jungen Alter könne die Erkrankung bei Betroffenen auftreten. Im Vergleich zur gewöhlichen Demenz zeige sich eine starke Verhaltensänderung. „Die Frontotemporale Demenz entsteht meistens zwischen 40 und 60 Jahren. Es gibt hier eine große Dunkelziffer. Die Krankheit entsteht im Frontalstirnlappen. Wenn der linke Frontalstirnlappen betroffen ist, treten in der Regel Sprachstörungen auf, ist der rechte Frontalstirnlappen betroffen, kommt es zu Verhaltensänderungen. “, erklärt Maikranz-Boenig. Eines der großen Probleme der Erkrankung sei die Medikation: „Die Medikamente wirken einfach nicht“, betont die DRK-Mitarbeiterin. Viele Betroffene wüssten nicht, an wen sie sich im Ernstfall wenden könnten, umso wichtiger sei es daher, über die Selbsthilfegruppe ein Angebot zu schaffen. Die FTD-Selbsthilfegruppe sei keine typische Gruppe, sondern ein geschützter Raum, in denen alle Mitglieder vertraut miteinander umgehen, ihre Erfahrungen offen miteinander austauschen und mögliche Lösungen gemeinsam umsetzen können. Im gesamten Einzugsgebiet gibt es laut Maikranz-Boenig keine Alternativangebote. „Das ist ein wirklich einmaliges Angebot“, betont die DRK-Mitarbeiterin.
Wer noch mehr über die Krankheit erfahren möchte oder eine Anlaufstelle benötigt, findet bei der DRK-Beratungsstelle Demenz Ansprechpartner und nähere Informationen.