Lennestadt. Ein Beziehungsstreit endete mit einem Polizeieinsatz. Wegen Freiheitsberaubung und Nötigung stand ein Mann vor Gericht. Ein eindeutiger Fall?

Völlig aus dem Ruder lief der Streit eines Paares in Lennestadt. Der Mann hatte seine angetrunkene Freundin auf der Straße aufgegriffen, in sein Auto verfrachtet, gegen ihren Willen in seine Wohnung gebracht und dort mit voller Bekleidung unter die kalte Dusche gestellt. Ein klarer Fall? Nicht so ganz. Gut zweieinhalb Stunden lang versuchte das Gericht unter Vorsitz von Amtsrichter Edgar Tiggemann die Hintergründe aufzuklären.

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Die Tat selbst ist unstrittig, der Angeklagte räumte die Vorwürfe ein, aber beim Wie und Warum gingen die Darstellungen des Lennestädters und seiner Ex-Freundin aus Schmallenberg weit auseinander. In der Nacht vom 27. auf den 28. Januar, wollte sich der Mann mit der 45-Jährigen treffen. Diese hatte andere Pläne. „Es gab Meinungsverschiedenheiten. Ich wollte ihn an dem Tag nicht sehen“, sagte die Frau im Zeugenstand aus. Sie ging stattdessen mit einer Freundin auf Kneipentour in Schmallenberg. „Waren Sie darüber sauer?“, fragte der Richter den Mann. „Sauer nicht, ich war enttäuscht und habe mir Sorgen gemacht“, so der Angeklagte. Denn seit dem Beginn der Beziehung im Frühjahr 2023 habe seine Freundin „öfter einen über den Durst getrunken“. Deshalb sei er nach Mitternacht zu der Kneipe nach Schmallenberg gefahren, nachdem er mehrere Anrufe von ihr erhalten habe. „Ich habe sie dort torkelnd auf dem Gehweg angetroffen, sie hat sich an einer Laterne festgehalten. Ich habe sie dann in mein Auto gesetzt.“ Die Fahrt ging aber nicht zur Wohnung der Frau, sondern zu seiner Wohnung in Lennestadt. „Warum?“, fragte der Richter. Er habe nicht gewollt, dass ihr neunjähriger Sohn sie in diesem Zustand sehe. „Ich habe es gut gemeint. Sie war volltrunken, sie hätte bei mir ihren Rausch ausschlafen können und alles wäre gut gewesen“, so der Angeklagte.

Die Geschädigte schilderte den Vorfall völlig anders. „Er kam mit dem Auto angefahren, er hat mich angebrüllt und festgehalten. „Sofort einsteigen“ waren seine Worte. Ich hatte keine Chance, ich kam nicht aus dem Auto raus.“ Sie habe im Auto jemand anrufen wollen, aber er habe ihr sofort das Handy weggenommen.“ Und: Immer wieder habe sie gesagt, dass sie nach Hause wolle. Der Angeklagte will dies aber nur ein- oder zweimal gehört haben.

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In Lennestadt eskalierte die Situation. Der Mann stellte die Frau in seiner Wohnung mit voller Kleidung unter die Dusche. Sie sei unzurechnungsfähig gewesen und habe ihn ausgelacht. „Ich habe ihr gesagt, wenn du nicht aufhörst zu lachen, stelle ich dich unter die Dusche. Dann hat sie gesagt, das machst du sowieso nicht“, so der Erklärungsversuch des Mannes. Danach sei ihr Zustand „besser gewesen“, so der Mann. Dann habe er ihr Anziehsachen von sich gegeben, ihr einen Kaffee zubereitet und sei dann mit dem Auto weggefahren, um selber erstmal herunterzukommen.

„Er hat mich die Treppe raufgeschubst und in die Dusche reingeschmissen, ich habe immer nur geschrien: „Aufhören, aufhören. Er hat mir die Brause ins Gesicht halten und ich dachte, ich bekomme keine Luft mehr, ich wollte nur noch nach Hause“, schilderte die Geschädigte die Szene in der Dusche völlig anders. An den Kaffee konnte sie sich nicht erinnern, die Kleidung habe sie von den Eltern des Angeklagten im Nachbarhaus bekommen. Zu diesen war sie geflüchtet und hatte von dort später auch die Polizei gerufen, die gegen 2.30 Uhr eintraf.

Bei der Zeugenvernehmung ging es im Kern um die Frage, wie betrunken bzw. zurechnungsfähig die Geschädigte in jener Nacht war. „Ja, ich hatte Alkohol getrunken, aber ich wusste genau, was passiert und abgelaufen ist“, so die Frau. Die beiden Polizisten bestätigten dies: „Sie war ziemlich aufgelöst, konnte aber alles genau wiedergeben“, so einer der Beamten: „Das war ehrlich, sie hatte keinen Filmriss.“ Der Alkoholpegel zur Tatzeit wurde anhand des späteren Alkoholtests auf „nur“ 1,4 Promille geschätzt.

Für die Verteidigung war der gesamte Vorfall ein „Missverständnis und Irrtum“. Der Angeklagte habe allein aus Sorge um die Frau so gehandelt, weil es „immer mal wieder Alkoholexzesse“ gegeben habe. „Er wollte sie schützen und ist durchgängig davon ausgegangen, dass er im Sinne der Geschädigten handele.“ Auch die Dusche sei „nicht im Vorsatz handelnd“ gewesen, sie sollte der Frau helfen, schneller wieder nüchtern zu werden. Der Tatvorwurf sei deshalb nicht berechtigt. Die Verteidigerin forderte Freispruch für ihren Mandanten.

Staatsanwältin Nagel und auch der Amtsrichter sahen das anders. Der Angeklagte habe die Lage möglicherweise falsch eingeschätzt, „aber Irrtum ist keine Rechtfertigung“, so Richter Tiggemann. Die Geschädigte habe mehrmals ganz klar gesagt: „Ich will nach Hause“. Das Kind zu schützen sei legitim gewesen, aber er habe sich über den Willen der Frau hinweggesetzt. „Die Tat unter der Dusche war eine Bestrafung, weil sie sich nicht verhielt, wie er sich das vorstellte“, so Tiggemann.  Die Staatsanwältin nannte die Zwangsdusche „verwerflich“, sie forderte sechs Monate Freiheitsstrafe - ausgesetzt zur Bewährung für den bisher nicht vorbestraften, aber uneinsichtigen Angeklagten, zudem 1000 Euro Geldstrafe. Der Richter schloss sich dem Strafmaß an, setzte die Geldstrafe mit 1440 Euro noch höher. Außerdem muss der Mann die Kosten des Verfahrens tragen. Ob die Verteidigung in Revision geht, ist noch unklar.