Finnentrop. Der Streit um die Zukunft der kriselnden Stahlsparte von Thyssenkrupp ist eskaliert. Der Finnentroper Betriebsrat macht sich große Sorgen.
Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist Volker Funke im Betriebsrat von Thyssenkrupp Steel in Finnentrop. In all den Jahren sei sein Arbeitsplatz niemals in Frage gestellt worden, wenn es konzernweit um mögliche Werksschließungen ging, weiß der Frettertaler. „Wir arbeiten hier seit jeher gut und flexibel“, ist Funke vollends überzeugt. Mit den feueraluminierten Feinblechen, die die rund 230 Mitarbeiter in Finnentrop vor allem für die Automobilindustrie produzieren, verfügt das Werk im großen Stahl-Universum von Thyssenkrupp über eine Sonderstellung. Hier entsteht täglich ein „Produkt mit guten Erlösen“, ergänzt Bernd Sasse, der seit 2020 Betriebsratsvorsitzender und ebenso im Frettertal zuhause ist.
Doch seit den jüngsten Ereignissen rund um Konzernchef Miguel Lopez fühlen sich Betriebsrat und Mitarbeiter in Finnentrop nicht mehr sicher. Die Angst, dass möglicherweise Außenstandorte wie Finnentrop und das Siegerland in Frage gestellt werden könnten, geht um. Es herrscht eine quälende Ungewissheit bei den Beschäftigten, nicht nur im Finnentroper Werk. „Die Existenzängste gehen uns bis ins Mark“, macht Sasse aus seinem Herzen keine Mördergrube. Wie es weitergeht? Sie wissen es nicht.
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Zum 1. Oktober soll die kriselnde Stahlsparte von Thyssenkrupp aus dem Mutterkonzern herausgelöst und somit eigenständig werden. Dadurch entsteht der Stahlsparte, die mit dem 20-prozentigen Einstieg eines tschechischen Investors künftig nicht mehr elf, sondern nur noch rund neun Millionen Tonnen Stahl produzieren soll, ein milliardenschwerer Finanzierungsbedarf. Es wird viel Geld für Restrukturierungen und die grüne Transformation benötigt. Geld, das der Konzernchef offenbar nicht bereitstellen will. Der Streit um die Ausrichtung der modernisierungsbedürftigen Sparte eskalierte und führte zu einer „öffentlichen Demontage der Stahl-Vorstände“, wie beispielsweise die IG Metall schreibt. Die Konsequenz: Neben dem Aufsichtsratsvorsitzenden Sigmar Gabriel traten drei weitere Aufsichtsratsmitglieder zurück und drei hochrangige Vorstandsmitglieder wurden durch Aufhebungsverträge von ihren Ämtern entbunden.
Baradari zählt Lopez an
Nicht nur die IG Metall befürchtet, dass die Konzernspitze um den äußerst umstrittenen Miguel Lopez den Rücktritt wichtiger Köpfe von Aufsichtsrat und Stahlvorstand gezielt herbeigeführt habe, um diese Positionen nun mit „Gefolgsleuten“ zu besetzen. Diese Sorge treibt auch Bernd Sasse und Volker Funke um, die nun auf Rückendeckung der Politik hoffen. Immerhin investieren Bund und Land rund 2 Milliarden Euro in die „grüne Transformation“ von Thyssenkrupp.
„Die Existenzängste gehen uns bis ins Mark.“
Nezahat Baradari, SPD-Bundestagsabgeordnete aus Attendorn, stellt sich gegen die Konzernspitze. Angesichts des drohenden Stellenabbaus und der möglichen Zerschlagung des Traditionsunternehmens übt sie in einer Pressemitteilung scharfe Kritik: „Die Eskalation, die Miguel Lopez durch seine jüngsten Entscheidungen und sein kompromissloses Verhalten herbeigeführt hat, zeigt deutlich, dass es ihm nicht um die Rettung von Thyssenkrupp oder den Erhalt vieler Arbeitsplätze geht. Herrn Lopez geht es nur um seine eigenen Interessen und nicht um die Zukunft eines der traditionsreichsten Industriekonzerne Deutschlands.” Die „beispiellose Kampagne“ gegen den Stahlvorstand sei „nicht nur ein schwerer Vertrauensbruch, sondern auch ein Angriff auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Zukunft der Stahlproduktion in Deutschland”, so Baradari weiter.
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Der Betriebsrat, der vor wenigen Tagen gemeinsam mit der IG Metall noch einen Infotag für alle Beschäftigten vor dem Werkstor an der B 236 durchführte, wird indes nicht aufgeben und für den Bestand „seines“ Werkes kämpfen – trotz aller Graben- und Machtkämpfe, die auf ihren Schultern ausgetragen werden. Bernd Sasse: „Wir fordern eine Standortzusage und werden betriebsbedingte Kündigungen nicht hinnehmen.“ Immerhin garantiere der Zukunftspakt „Stahl“ den Mitarbeitern bis März 2026 Kündigungsschutz und Standortsicherungen. Doch das ist nur die kurzfristige Perspektive. Wie es langfristig mit der Stahlsparte von Thyssenkrupp und somit auch mit dem Finnentroper Werk weitergeht, steht wohl in den Sternen. Die quälende Ungewissheit nach den jüngsten Skandalen nagt an dem Gemütszustand der rund 230 Beschäftigten in Finnentrop.