Siedenstein/Neger. Nach einem schrecklichen Unfall stirbt ein junger Mann – am Todestag wird eine Gedenktafel am Unfallort zerschlagen. Die Eltern sind fassungslos.

Der 19. Juli 2020 ist der schwärzeste Tag im Leben von Diana und René Gissinger. An diesem Sonntag prallte ihr Sohn Carl Julius mit seinem Motorrad auf der Verbindungsstraße von Neger nach Siedenstein gegen einen Traktor und erlag kurze Zeit später den schweren Verletzungen, die er sich bei dem für ihn unvermeidlichen Unfall zugezogen hatte. Er wurde gerade einmal 16 Jahre alt. Es vergeht kein Tag, an dem die Gissingers nicht an ihren schweren Verlust denken. Und doch ist der Jahrestag des tödlichen Unfalls noch einmal etwas Besonderes: Da wird das Geschehene wieder deutlich in Erinnerung gerufen, der Schmerz kehrt mit großer Kraft zurück.

Der Gedenkstein erinnert an Carl Julius Gissinger, der im Alter von 16 Jahren bei einem Unfall ums Leben kam. So sah die Gedenkstätte vor dem Anschlag aus.
Der Gedenkstein erinnert an Carl Julius Gissinger, der im Alter von 16 Jahren bei einem Unfall ums Leben kam. So sah die Gedenkstätte vor dem Anschlag aus. © privat | Privat

Kurz nach dem Unfall legten Freunde des Verstorbenen und Familienmitglieder Blumen am Unfallort nieder, später folgten Laternen mit batteriebetriebenen Grableuchten. Marie-Christine Zeppenfeld ist Gemeindereferentin im Pastoralen Raum Olpe/Drolshagen und zertifizierte Trauerbegleiterin. Sie kennt diese Art von Trauerarbeit gut: „Für viele, insbesondere für jüngere Menschen, sind solche Erinnerungsorte ganz wichtig, für manche sind sie ein besserer Ort zum Trauern als das Grab des Verstorbenen. Manchmal ist es wie hier eine Unfallstelle, manchmal auch ein Platz, an dem der Verstorbene gern gewesen ist. Ein Friedhof ist für viele negativ besetzt, ich weiß aus vielen Gesprächen mit trauernden Menschen, dass ihnen ein solcher Erinnerungsort ganz wichtig für die Trauerbewältigung ist.“

„Für viele, insbesondere für jüngere Menschen, sind solche Erinnerungsorte ganz wichtig.“

Marie-Christine Zeppenfeld
Trauerbegleiterin

Umso unbegreiflicher, was hier immer wieder geschah: Ein unbekannter Täter zerstörte die Laternen, in denen die Grablichter standen, und zertrat die Leuchten. Nachdem diese Schändungen des Erinnerungsorts nicht endeten, beschloss die Familie Gissinger, einen massiven Stein aufzustellen, der nicht so einfach zu zerstören ist. Vor knapp zwei Wochen wurde das schlichte, aber eindrucksvolle Denkmal aufgestellt, rechtzeitig zum vierten Todestag ihres Sohnes. Ein Findling trägt eine Steinplatte, auf der metallene Buchstaben und Zahlen den Schriftzug „Carl 2020“ bilden. Doch hatte auch dies keinen Bestand: Mit unvorstellbarer Wucht und Kraft wurde der Schriftzug zerschlagen. Das „C“ ist zerbrochen, das „L“ aus dem Stein gebrochen und verschwunden. Viele weitere Schlagmarken zeugen von roher Gewalt, mit der hier vorgegangen wurde. Gissingers, die derzeit geschäftlich im Ausland sind, erhielten von Freunden die Nachricht; eine Nachbarin versuchte, Diana Gissinger die Nachricht von der Zerstörung des Gedenkorts schonend beizubringen, damit diese bei der Heimkehr nicht unvorbereitet auf diesen Anblick trifft.

Trauerbegleiterin Marie-Christine Zeppenfeld mit dem „Handschmeichler“, der in der Trauerbegleitung der katholischen Kirche in Olpe und Drolshagen eingesetzt wird.
Trauerbegleiterin Marie-Christine Zeppenfeld mit dem „Handschmeichler“, der in der Trauerbegleitung der katholischen Kirche in Olpe und Drolshagen eingesetzt wird. © Jörg Winkel | Jörg Winkel

Die trauernde Mutter ist erschüttert, vor allem, weil sie sich relativ sicher ist, den Täter zu kennen. „Wir haben nie etwas unternommen, aber jetzt reicht es“, so Diana Gissinger, die per Online-Anzeige die Olper Polizei informierte und Anzeige gegen Unbekannt erstattete. Die Ordnungshüter waren schnell vor Ort, versuchten, Beweisspuren zu sichern und haben nun die Ermittlungen aufgenommen. Von Freunden weiß sie, dass der Stein zwischen Freitag, 19. Juli, um 9 Uhr und Sonntag, 21. Juli, um 18 Uhr beschädigt worden sein muss. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurde also der vierte Todestag von Carl Julius Gissinger genutzt, um den Ort des Gedenkens zu zerstören. Trauerbegleiterin Marie-Christine Zeppenfeld macht deutlich, was die Tat für trauernde Angehörige bedeutet: „Das ist praktisch mit einer Grabschändung gleichzusetzen.“

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Das Schaffen von Erinnerungsorten sei ein Weg, den sie vielen trauernden Angehörigen empfehle, und sie kenne viele solcher Orte, wo Freunde der Verstorbenen sich ihren Lieben besonders nahe fühlten. Auch Polizei-Pressesprecher Thorsten Scheen findet kaum Worte für das Geschehene: „Die Sachbeschädigung an sich ist das eine. Da wird etwas Wertvolles zerstört, ohne dass jemand etwas davon hätte. Aber so ein Fall kommt nicht häufig vor, dass jemand so respektlos mit dem Andenken eines Verstorbenen umgeht.“ Konkret erinnert sich der erfahrene Beamte an einen einzigen vergleichbaren Fall, der ihm in seinem langen Berufsleben begegnet ist. Er bittet mögliche Zeugen oder Mitwisser, sich bei der Polizei in Olpe, Tel. (02761) 92690, zu melden, um gegen den oder die Täter vorgehen zu können.