Herdecke. Behördengänge, Anträge, Schulanmeldungen: Mehdi Kassem hilft Flüchtlingen, in Herdecke anzukommen. Jetzt geht es um die Finanzierung seiner Stelle.

Wenn man zeigen möchte, wie Integration gelingen kann, ist die Geschichte von Mehdi Kassem ein gutes Beispiel. Der 43-Jährige kommt 2008 von Syrien nach Deutschland. Der Mann, der in seinem Heimatland einen Friseursalon geführt hat, engagiert sich schnell ehrenamtlich, lernt die deutsche Sprache. Heute hat er in Herdecke eine neue Heimat und eine neue Aufgabe gefunden: Als sogenannter Flüchtlingscoach der Stadt hilft er seit 2016 Menschen, in einem für sie fremden Land mit einer fremden Sprache anzukommen. Ein Job, den er auch in Zukunft ausüben kann. Die Werner Richard-Dr. Carl Dörken Stiftung hat die Finanzierung der geförderten Stelle verlängert.

Die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten ist für Städte und Kommunen ein Kraftakt. „Alles ist am Rande der Überforderung“, weiß Sonja Leidemann vom Vorstand der Herdecker Stiftung. Die ehemalige Wittener Bürgermeisterin kennt die Sorgen und Nöte der oftmals „komplett unterfinanzierten Städte“ nur zu gut. Umso wichtiger sei es, bei der Aufgabe der Integration zu unterstützen: „Und das möchten wir übernehmen“, so Leidemann weiter.

„Ein Glücksfall“

Für die Stadt Herdecke sei die Förderung der Stelle von Mehdi Kassem „ein Glücksfall“, freut sich Bürgermeisterin Katja Strauss-Köster. Sie macht deutlich: Die Stadt selbst hätte die finanziellen Mittel nicht, um diesen „besonderen Service“ zu ermöglichen. 40.000 Euro stellt die Herdecker Dörken-Stiftung dafür seit 2016 Jahr für Jahr zur Verfügung. Damit finanziert sie die volle Stelle von Mehdi Kassem, der sich „seine Aufgabe quasi selbst gesucht hat“, wie Katja Strauss-Köster mit einem Lächeln erzählt.

2015 habe er angefangen, im Herdecker Brotkorb zu arbeiten. „Ehrenamtlich“, wie die Bürgermeisterin betont. „Zu der Zeit waren wir ganz besonders für jede Hilfe dankbar“, blickt Kerstin Jakob, Leiterin des Sozialamts, auf einen Höhepunkt der Flüchtlingskrise zurück. Mehdi Kassem sei jemand gewesen, „der immer angepackt und sich engagiert hat.“ Gerade als es im Brotkorb zu Schwierigkeiten mit jungen, männlichen Flüchtlingen gekommen sei, habe Mehdi Kassem eingegriffen, ermahnt, erklärt. Er möchte helfen, kulturelle Herausforderungen zu meistern, sprachliche Barrieren abzubauen.

Im Brotkorb Herdecke hat Mehdi Kassem (rechts) schon 2015 ehrenamtlich gearbeitet. Archivbild mit der damaligen Vorsitzenden Irmingard Schewe-Gerigk (rote Jacke) und Bürgermeisterin Katja Strauss-Köster (Mitte).
Im Brotkorb Herdecke hat Mehdi Kassem (rechts) schon 2015 ehrenamtlich gearbeitet. Archivbild mit der damaligen Vorsitzenden Irmingard Schewe-Gerigk (rote Jacke) und Bürgermeisterin Katja Strauss-Köster (Mitte). © WP

Als „Flüchtlingscoach“ begleitet und unterstützt er Flüchtlinge, die sich in Deutschland zurechtfinden müssen. „Im schlimmsten Fall kommen die Menschen direkt vom Flugplatz hierher, ohne die Sprache und die Kultur zu kennen. Und dann heißt es: Stell einen Antrag“, sagt Kerstin Jakob. In solchen Fällen ist Mehdi Kassem eine wichtige Stütze. Der Syrer, der insgesamt vier Sprachen – Kurdisch, Arabisch, Türkisch und Deutsch – spricht, übersetzt, begleitet Flüchtlinge beim Gang zum Amt, unterstützt Familien beim Elternsprechtag oder bei der Schulanmeldung.

Vom Arztbesuch bis zum Termin beim Amt

Am ersten Tag der zweiten Herbstferienwoche war er im Einsatz bei „Fit in Deutsch“, einem Ferien-Bildungsprogramm für zugewanderte Schüler. „Ich habe mit Eltern gesprochen, Fragen beantwortet, erklärt, wann die Kinder wieder abgeholt werden müssen“, nennt Mehdi Kassem ein Beispiel. „Es macht mir Spaß, zu helfen“, sagt er. Ob Arztbesuch, der Gang zur Bank oder der Termin beim Ausländeramt: Das Aufgabengebiet des 43-Jährigen ist vielseitig, die Zahl der Menschen, denen er hilft, ist groß.

Allein in den letzten drei Jahren haben sich in seinem Telefonbuch zahlreiche Kontakte angesammelt: „Ich habe rund 500 Telefonnummern von Menschen, die ich betreut habe und weiterhin betreue.“ Genaue Zahlen dazu, wie viele Flüchtlinge insgesamt zurzeit in Herdecke leben, kann Kerstin Jakobs nicht ermitteln. „Zurzeit befinden sich 120 Personen im Leistungsbezug des Asylbereichs und 169 in den Unterkünften der Stadt. Diese sind relativ gut belegt“, gibt sie einen aktuellen Stand.

Gute Nachricht

Wenn Mehdi Kassem mal nicht unterwegs ist, ist er im Flüchtlingsheim am Weg zum Poethen. In der Unterkunft, in der junge, unbegleitete Männer untergebracht sind. Der Ort ist nicht ohne Grund gewählt: Als männliche Autoritätsperson sorgt Mehdi Kassem dort gemeinsam mit einem Team aus Sozialarbeitern und Hausmeistern auch mal für Ruhe. „Dort geht es manchmal schon laut zu“, so Kassem. „Und das stört die Menschen, die arbeiten gehen.“

Zur Arbeit geht Mehdi Kassem selbst immer wieder gerne. Er mag die deutsche Sprache, mag den Austausch mit Menschen und die Möglichkeit, ihnen helfen zu können. Auch für die Stadt Herdecke ist Mehdi Kassem in all der Zeit zu einer wichtigen Säule bei der Integration von Flüchtlingen geworden. Darum sei die Fortsetzung der Förderung auch eine gute Nachricht, betont Katja Strauss-Köster: „Wenn wir Mehdi Kassem nicht mehr hätten, wäre das ein sehr großer Verlust, auch für das Team.“