Wetter. Das Land will im Sozialen sparen. Viele Hilfsangebote sind gefährdet. Bei den betroffenen Helfern formiert sich Widerstand.
Aylin (8) und Youssef (9) vertreiben sich die Zeit mit einem Kartenspiel. Gleich ist wieder Hausaufgabenhilfe angesagt. Drei Helfer sind in dem Gewusel der zwei Dutzend Jungen und Mädchen auszumachen. „Und auch das will man uns noch nehmen“, sagt mit spürbarer Resignation Cathrin Zeller vom Verein „Wir in Wetter“. Der Verein ist vor wenigen Jahren mit dem Heimatpreis der Stadt Wetter bedacht worden. Der Preis soll ehrenamtliches Engagement fördern. Aktuell fühlen sich die Ehrenamtlichen eher im Stich gelassen. Nicht von der Stadt, aber von der schwarz-grünen Koalition in Düsseldorf. Geplante Einsparungen werden auch in Wetter „dramatisch spürbar“, sagt Cathrin Zeller. Und es trifft längst nicht nur den Verein, der sich für ein gutes Ankommen von Flüchtlingskindern in Wetter stark macht.
Kein Geld mehr für die Miete
Das Land NRW will sparen. Knapp 90 Millionen Euro sollen nächstes Jahr allein im Sozialbereich weniger ausgegeben werden. Im Bereich der Integration und Unterstützung von Geflüchteten im Ennepe-Ruhr-Kreis bedeutet das eine Kürzung von 125.000 Euro, hat die SPD-Landtagsabgeordnete Kirsten Stich aus Wetter ausgerechnet. Für 29 Initiativen im Kreis sei dies „ein herber Schlag.“ Auf den Verein „Wir in Wetter“ bezogen heißt das: Kein Geld mehr für die Miete des ehemaligen Ladenlokals an der Ecke von Bergstraße und Königstraße, keine Mittel mehr für hilfreiche Übersetzungstexte bei der Hausaufgabenhilfe für Kinder wie Aylin und Youssef, die aus der Türkei oder aus Spanien nach Wetter gekommen sind.
Orte der Geborgenheit
Das Ankommen in Deutschland erleichtern will auch das Atelier Schlink in Volmarstein. Zusätzliche Mietkosten müssen nicht beglichen werden. Aber Materialkosten gibt es auch hier. Rund 80 Angebote im Jahr gibt es, von Malkursen über Flüchtlingsbegleitung zu den Behörden bis hin zu Bewerbungstrainings, berichtet Sintija Merzvinska. „Komm an“, heißt das Landesprogramm, das jetzt so radikal zusammengestrichen werden soll. Sintija Merzvinska weiß, wie wichtig die Begegnungen über Pinsel und Malblöcke hinweg für die teils traumatisierten Kinder sind: „Bei uns fühlen sie sich sicher nach teils schrecklichen Erfahrungen in der Heimat. Hier bei uns sehen sie sich geliebt und verstanden.“
„Das ist der Hammer. Getroffen werden die Menschen, die dahinter stecken.“
Beim Verein „Wir in Wetter“ ist der Zulauf ungebrochen. Rund 50 Jungen und Mädchen können hier Schulstoff nacharbeiten oder die für sie noch fremde Sprache ausprobieren. „Man versteht das System Deutschland“, sieht Cathrin Zeller einen tieferen Sinn im Einsatz ihrer Vereinsmitglieder. Umso empörter ist sie über die vorgeschlagene Kürzung: „Das ist der Hammer“, sagt sie, „ein absolutes Drama. Getroffen werden die Menschen, die dahinter stecken.“ Die Helfer hat sie dabei im Blick, deren privates Engagement nun deutlich erschwert werde. Und auch die Integration gerate noch mehr ins Stocken, wenn die Starthilfe fürs Schülerleben so massiv eingeschränkt wird.
ESV muss Angebot streichen
Die Streichliste der Landesministerien sieht statt 1,4 Millionen Euro nur noch 850.000 Euro für die bei der Evangelischen Stiftung Volmarstein (ESV) in Wetter angesiedelte Agentur Barrierefrei NRW vor.
Die über Jahre nachgefragte Hilfsmittelausstellung am Grundschötteler Berg mit Musterwohnung steht vor dem Aus. Auch Beratungsangebote der Agentur beispielsweise für Städte sind auf dem Prüfstand.
Zu den Kürzungen im Bereich der Inklusionsförderung bei der ESV hat die SPD-Landtagsabgeordnete Kirsten Stich aus Wetter eine kleine Anfrage gestellt.
Sie will von der Landesregierung wissen, warum die ESV nicht früher von den „dramatischen Kürzungen“ erfahren habe.
Gefragt wird auch nach den gesellschaftlichen Folgekosten der angekündigten Sparmaßnahmen.
Noch geht es um Vorschläge aus den Ministerien, um den Landeshaushalt zu entlasten. Aber bis Ende des Jahres werden daraus nach dem Zeitplan der Landesregierung Beschlüsse. Viele soziale und kommunale Einrichtungen müssen dann ihre Arbeit deutlich einschränken oder sogar einstellen, fürchtet Kirsten Stich. Betroffen seien Kitas, Pflegeeinrichtungen, Beratungsstellen oder auch Frauenhäuser. In Wetter hat bereits die ESV die Schließung ihrer Musterwohnung für Menschen mit Behinderungen angekündigt. Grund: Die angekündigte Kürzung der Landesmittel. Kirsten Stich mobilisiert gegen den „Kahlschlag“, wie sie sagt: „Dieser Abbau bedroht lebenswichtige Unterstützungsangebote für die Schwächsten unser Gesellschaft.“
+++ Hier gibt es mehr aus Wetter und aus Herdecke +++
Das hat sie auch aus den Gesprächen mit Vertretern von Arbeiterwohlfahrt, Diakonie und Caritas mitgenommen. Gemeinsam wurde eine Resolution für den Kreistag in Schwelm verfasst. Adressat des Widerstandes ist allerdings die Landesregierung in Düsseldorf. Hier soll es am nächsten Mittwoch eine große Kundgebung geben. Dazu aufgerufen hat die Freie Wohlfahrtspflege NRW. Wetteraner werden dabei sein.