Wetter. Die Musterwohnung war ein Aushängeschild für die Beratung der ESV in Wetter. Nicht nur für sie ist plötzlich kein Geld des Landes mehr da.
Aus ganz Deutschland kommen die Interessenten. Erst kürzlich waren Pflegeschüler aus Bayern zu Gast. Aber auch bei den Bürgern aus Wetter und der näheren Umgebung ist die Musterwohnung der Evangelischen Stiftung Volmarstein (ESV) immer wieder Ziel. Sie zeigt, wie Mobiliar das Leben mit einer Behinderung leichter machen kann. Lifter etwa fürs Treppenhaus sind am Grundschötteler Berg ebenfalls zu sehen. Aber nicht mehr lange: Die dort angesiedelte „Agentur Barrierefrei NRW“ muss im nächsten Jahr mit deutlich weniger Geld auskommen. Beide Ausstellungen werden abgebaut.
Vor knapp 20 Jahren hat sich das Land Nordrhein-Westfalen die Stiftung als Partner für die Agentur Barrierefrei NRW gesucht. Kommunen, Behindertenbeiräte, Politiker und immer wieder Ministerien profitieren seitdem von der Expertise. Im Angebot sind Vorträge, Workshops und Leitfäden, damit es Menschen mit Behinderungen oder Ältere leichter haben. Gefragt ist Wissen zu Barrierefreiheit im Verkehr, im Internet oder in der Sprache, ebenso beim Wohnen.
Konsequenzen auch fürs Personal
Im Sommer hat die ESV erfahren, dass die Landesförderung für die Agentur auf fast die Hälfte gekürzt werden soll. „Wir waren ziemlich geschockt von der Ankündigung, im Jahr 2025 mit 40 Prozent weniger planen zu müssen“, sagt Dirk Domann, Mitglied im Management-Board der ESV. Statt 1,4 Millionen Euro wie im laufenden Jahr werden nur noch 850.000 Euro fließen. Die Musterwohnung sei damit nicht mehr zu betreiben und die Hilfsmittelausstellung auch nicht. „Auch beim Personal wird das Konsequenzen haben“, kündigt Domann an. Welche genau, stehe noch nicht fest.
„Mal eben in der Musterwohnung eine Küchenschublade aufziehen oder einen speziellen WC-Deckel hochdrücken, geht nicht mehr.“
Das Interesse an der Wohnung wie den Hilfsmitteln ist nach wie vor sehr groß, versichert Wolfgang Schmitz. Er ist der Leiter des Kompetenzzentrums Barrierefreiheit, das 2020 aus dem Forschungszentrum Technologie und Behinderung (FTB) der ESV hervorgegangen ist. „Mal eben in der Musterwohnung eine Küchenschublade aufziehen oder einen speziellen WC-Deckel hochdrücken, geht nicht mehr“, weiß Dirk Domann um den Verlust. Die Möglichkeit zur Anschauung war für uns „ein Aushängeschild der Stiftung“, pflichtet ESV-Pressesprecherin Astrid Nonn bei.
Nur in einem ganz kleinen Rahmen wird das erhalten bleiben. An anderer Stelle auf viel kleinerem Raum soll es Informationen über barrierefreies Wohnen und Hilfsmittel geben. Mit Verschiebungen ist aber auch beim Personal zu rechnen. Wolfgang Schmitz bedauert schon jetzt „den großen Verlust für die Agentur und für die Menschen“: Wird im Zuge von Sparmaßnahmen umorganisiert, werden nicht alle Mitarbeitenden in den Bereichen bleiben können, in denen sich ihr besonderer Sachverstand teilweise über zwei Jahrzehnte hinweg ausgebildet hat.
Schmitz erinnert an die Anfangstage der Agentur. Sie habe dazu beitragen sollen, dass es mit der Barrierefreiheit voran geht im Land NRW. Auch heute ist dieser Anspruch in der Politik nicht vergessen. Sowohl im aktuellen Aktionsplan der Landesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention als auch im Koalitionsvertrag zwischen CDU und Grünen nehme die Barrierefreiheit einen wichtigen Raum ein, heißt es in einer Erklärung von zwei Sozialverbänden. Sie fordern eine Finanzierung der Agentur im bisherigen Umfang.
Aus Sicht von Sozialverband Deutschland und Sozialverband VdK leistet die Agentur Barrierefrei NRW seit vielen Jahren hervorragende Arbeit. Wörtlich heißt es: „Die Agentur ist ein unverzichtbarer Baustein auf dem notwendigen Weg hin zu einem barrierefreien Land NRW.“ Die beschlossenen Kürzungen seien von Landesregierung und Landtag zurückzunehmen. Sie treffen längst nicht nur die bei der ESV untergebrachte Agentur und da den besonders stark bezuschussten Bereich der Wohnberatung und Hilfsmittelausstellung.
Protest in Düsseldorf geplant
Der Haushaltsentwurf 2025 der Landesregierung sehe Kürzungen bei zahlreichen sozialen Diensten und Angeboten in Höhe von 83 Millionen Euro vor, beklagen Verbände der Freien Wohlfahrtspflege wie AWO oder Rotes Kreuz und stellen klar: „Das wollen wir nicht hinnehmen!“ NRW, bleib sozial – so lautet die zentrale Forderung einer Kundgebung, die an 13. November vor dem Landtag einen Protestmarsch abschließen soll.
Von der aktuellen Kürzung betroffen sind nicht die individuellen Beratungsangebote für Bürgerinnen und Bürger aus mehreren Städten des Ennepe-Ruhr-Kreises. Hier gibt die ESV individuelle Tipps, damit Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen im Alter in den eigenen vier Wänden wohnen bleiben können. Nur an Anschauung wie in der Vorzeigewohnung wird es künftig fehlen. Und auch die Tage der probeweisen Ausleihe von Hilfsmitteln sind gezählt.