Herdecke. Die letzten Tage des Spinnenbaggers brechen an, bald kommt am Boden ein Baugerät mit langem Ausleger zum Einsatz. An dem baumelt eine Abrissbirne.

Wiedersehen macht Freude: Wer den großen Seilbagger neben dem schrumpfenden Cuno-Schornstein in Herdecke übersieht, muss dringend zum Augenarzt. Satte 90 Meter schießt der Ausleger von diesem besonderen Baugerät in die Höhe. Knapp 20 Jahre ist die Spezialkonstruktion alt, einer der ersten Einsätze datiert aus 2005: Damals stand beim Versorger Mark-E ein paar Meter unterhalb der derzeitigen Arbeiten der Abriss des Kohlekraftwerks inklusive der Kesselhäuser an der Wetterstraße auf dem Programm.

Bagger im XXL-Format

Nun befindet sich der 270-Tonnen-Bagger des Abbruchunternehmens Landwehr seit wenigen Tagen wieder auf einem Gelände der Mark-E. Ging es damals um niedrigere Gebäude, rückt bald die letzte Etappe des Cuno-Schornsteins ins Blickfeld der Verantwortlichen. Voraussichtlich rund um den Monatswechsel September/Oktober endet nach vielen Monaten die Zeit des sogenannten Spinnenbaggers. Dieses Spezialgerät kennen mittlerweile viele in Herdecke und Umgebung aufgrund der markanten Geräusche. Es befindet sich oben an der Spitze der Landmarke, wobei das einst 248 Meter hohe Bauwerk derzeit nur noch rund 80 Meter misst. „Ungefähr zehn Meter fehlen noch, ehe wir die Abrissweise ändern“, sagt Projektleiter Oliver Rabe. „Wobei das Vorankommen weiterhin von der Witterung abhängt, bekanntlich sorgen Wind oder auch Blitzgefahr für Probleme und Verzögerungen.“

Landmarke Turm Cuno-Schornstein Herdecke
Auf dem Gelände von Mark-E (im Bild Unternehmenssprecher Andreas Köster) steht neben dem schwindenden Schornstein ein Seilbagger mit einem sehr langen Ausleger.  © WP | Steffen Gerber

Derzeit stemmen Fachleute ohne Höhenangst das Material der Außenhülle ab. Das sorgt für das weithin hörbare Tackern. Im Stakkato-Takt lässt sich auch in der Ferne der Cuno-Krach wahrnehmen. „Die Geräuschkulisse ändert sich bald“, kündigt der Verantwortliche von der Mark-E an. Aus dem gewohnten Tak-tak-tak mit Verlängerungen wird ein Bumm oder Rumms. Die Erklärung: „An dem Seilbagger hängt dann oben am Ausleger eine Kugel“, so Rabe. „Die ist fünf Tonnen schwer, baumelt an einem Seil in rhythmischen Bewegungen und schwingt dann in Richtung Kamin.“ Mit anderen Worten: Das Abbruchunternehmen Landwehr setzt auf eine Abrissbirne, mit der der Beton nach unten in den Schaft fallen soll.

Cuno Landmarke Abriss
Beim Abbruch der Kesselhäuser vom Cuno-Kohlekraftwerk der Mark-E im Jahr 2005 ist jener Seilbagger mit einer Abrissbirne zum Einsatz gekommen, der jetzt final den Schornstein in Herdecke abreißt. © WP | Mark-E

„Das wollen die so versuchen, auch wenn es unklar ist, ob das angesichts der Härte des Materials funktioniert“, heißt es weiter. Es habe auch Diskussionen mit dem zuständigen Unternehmen gegeben, ob sich die Kugel verkleiden und sich so das Aufprall-Geräusch dämpfen lässt. Aber eine Art Überzug lindere laut Rabe auch die Schlagintensität, also soll die bereits bereit stehende Kugel ohne Zusatz die verbliebene Außenhülle einreißen.

Landmarke Turm Cuno-Schornstein Herdecke
Abrissbirne für den Cuno: Diese fünf Tonnen schwere Kugel knallt bald in den Schornstein, um Material der Außenhülle abzureißen. © WP | Steffen Gerber

Kein einfaches Unterfangen. „Für den Baggerfahrer bedeutet das Höchstleistung, denn dabei geht es um das richtige Schwingen“, erklärt der Projektverantwortliche der Mark-E. Bei der Firma Landwehr könne auch nur eine Person dieses Gerät bedienen, die ist 71 Jahre alt und entsprechend erfahren. Der Fachmann müsse beispielsweise darauf achten, dass die Kugel an einem robusten Eisenseil nicht auf den langen Ausleger in luftiger Höhe kracht. Im Idealfall lasse sich aber mit diesem lauten Bumm-Verfahren der Rest des Cuno-Schornsteins in rund zwei Wochen abreißen.

Cuno Landmarke Herdecke Turm
Die letzten Arbeitstage für die Fachleute in luftiger Höhe: Noch fahren die polnischen Spezialisten von der Firma Hope Constructio täglich mit dem Aufzug hoch zum Cuno. © WP | Steffen Gerber

Sollten die ersten Abrissbirnen-Versuche ohne Erfolg enden, komme eine Hydraulik-Zange zum Einsatz. Das dauere länger, verursache aber auch weniger Lärm. So oder so steht die letzte Etappe der Turm-Demontage unter besonderen Vorzeichen. Das zeigte sich schon beim Aufbau des spektakulären Seilbaggers. Dafür brauchten Firmenmitarbeiter ganze zwei Tage, jedes einzelne Element des Auslegers ist neun Meter lang und wiegt rund drei Tonnen. Die Anlieferung nach Herdecke zur schwer erreichbaren Baustelle in der Straße Scheerholz erfolgte mit einzelnen Tiefladern und gestaltete sich in mehrfacher Hinsicht aufwendig. Beim Zusammensetzen der Teile brauchte es eine große Fläche, lagen die Elemente doch der Reihe nach auf dem Boden, ehe eine Seilwinde die Konstruktion langsam nach oben zog und sich mit Bolzen befestigen ließ.

Landmarke Turm Cuno-Schornstein Herdecke
Projektleiter Oliver Rabe an der Baustelle, die noch bis in den Herbst hinein für Krach und Lärm sorgen wird. © WP | Steffen Gerber

Das soll sich aber auszahlen, denn dieses Gerät soll in einigen Tagen auch den Spinnenbagger von der Spitze der schwindenden Landmarke herunterholen. Dieser wiederum, so berichtet es Andreas Köster von der Mark-E, schaffe derzeit pro Tag nur eine Umdrehung beim Abtragen der betonierten Außenhülle. „Die wird, je weiter es nach unten geht, logischerweise dicker und beinhaltet mehr Material“, erklärt der Unternehmenssprecher. Dennoch dürfte es nur noch wenige Arbeitstage dauern, ehe der Gerätewechsel vonstatten geht. Wobei der lange Lulatsch alias Seilbagger nach seiner Tätigkeit in Herdecke dann im Anschluss für Mark-E Teile vom Werdohler Kraftwerk niederstrecken soll.

>>> hier gibt es weitere Artikel aus Wetter und Herdecke

Oberhalb der hiesigen Wetterstraße geht der Blick der Verantwortlichen ebenfalls in Richtung Zukunft. Denn auf dem Schornstein-Gelände müssen demnächst noch einige Örtlichkeiten wie die frühere Kohlenentladestelle oder ein Bunker im Hang mit dem abgebrochenen und danach aufbereiteten Material verfüllt werden. Ehe dort eine große Photovoltaik-Anlage stehen kann, fließt noch viel Wasser durch den benachbarten Harkortsee.