Wetter. Hinter dicken Mauern sollen in der Jugendarrestanstalt Wetter Mädchen zur Besinnung kommen. Für bestimmte Angebote aber öffnen sich die Türen.

Sieben neue Trekking-Räder stehen in einem Lagerraum der Mädchenarrestanstalt in Wetter. Für Ausfahrten auf dem Hof sind sie nicht gedacht. Die Spende des Vereins „Sprungbrett“ soll dabei helfen, in der Gemeinschaft mit einer Aufgabe klar zu kommen. Mit dem Rad die Schönheiten an der Ruhr zu erkunden kann eine solche Aufgabe sein.

Freizeitangebote sind keine Gefälligkeit gegenüber den Mädchen im Arrest. „Das ist eine gesetzliche Aufgabe“, erklärt Till Deipenwisch, Direktor des Amtsgerichts in Wetter und zugleich Chef der Anstalt. Der Verein „Sprungbrett“ hilft dabei schon länger. Jetzt hat er fast 7000 Euro investiert für die neuen Räder. ABUS hat die dazugehörigen Helme gestiftet.

Fahrradfahren, sich in einer Gruppe auf eine Radtour begeben, den Freizeitwert der Umgebung begreifen - „Viele kennen das nicht“, fährt Till Deipenwisch fort. „Wir wollen die an sowas heran führen.“ Mit Erfolg. Ohne Räder waren bislang nur Spaziergänge möglich. Wie Urlaub seien diese empfunden worden. Beim Blick auf den Harkortsee gab’s Euphorie: „Ist das schon das Meer?“

Raus zu Natur und Kultur

Sieben Räder reichen natürlich nicht für alle Arrestantinnen. Also dürfen nur ausgesuchte, zuverlässige Mädchen darauf hoffen, zu einer Radtour eingeladen zu werden. „Sonst bestünde vielleicht Fluchtgefahr“, sagt David Mothes, Sozialarbeiter in der Arrestanstalt. Die Erfahrungen mit den Spaziergängen sind gut. Eine kurzfristige Umkehr habe es noch nicht gegeben. Der Druck der Gemeinschaft ist gewollt: Verletzt eine der Teilnehmerinnen die Regeln, müssen alle darunter leiden. Eine Rückbegleitung allein ist nicht denkbar, weil dann der Begleiter für die Gruppe fehlt.

Für die Mädchen in der Jugendarrestanstalt gibt es Fahrräder und Helme. Von links: Die Sozialarbeiter David Mothes und Tobias Sommer sowie Heike Grosch vom Verein Sprungbrett und Anstaltsleiter Till Deipenwisch (von links).
Für die Mädchen in der Jugendarrestanstalt gibt es Fahrräder und Helme. Von links: Die Sozialarbeiter David Mothes und Tobias Sommer sowie Heike Grosch vom Verein Sprungbrett und Anstaltsleiter Till Deipenwisch (von links). © WP | Klaus Görzel

Die Teilnahme an einer Radtour ist Lob und Bestätigung, und sie ermöglicht Lehrstunden für angepasstes Verhalten in der Gruppe. Kultur und Natur werden dabei näher gebracht, Bewegung ist gut für die Psyche, weiß Tobias Sommer, ebenfalls Sozialarbeiter in der Arrestanstalt. Wobei der Horizont jetzt verschoben ist: In der Freiheit oder am Schloss Werdringen muss nicht mehr Schluss sein. Fahrradreifen tragen weiter als Schuhsohlen. Zeche Nachtigall oder die Hohensyburg werden möglich als Ziel.

Erst mal steht aber Velbert auf dem Programm. Hierhin führt eine Sternfahrt der Arrestanstalten in NRW. Vier dieser Einrichtungen gibt es für Jungen, die fünfte in Wetter ist Mädchen und jungen Frauen vorbehalten. Auch bisher schon waren sie am Sternfahrtziel vertreten. Aber nur als Zuschauende. Jetzt ziehen sie gleich mit den Jungs als Teilnehmende.

Wirkungsvolle Wertschätzung

Auch innerhalb der Anstalt greift der Verein „Sprungbrett“ den Mädchen unter die Arme. Bunte Sessel gruppieren sich um einen Tisch im Besprechungszimmer. Der Verein hat sie angeschafft. In der Ecke sind zwei Sonnenschirme angelehnt. Die Zuwendung wird von den Mädchen hinter den Mauern als Wertschätzung verstanden, sagt Tobias Sommer. Er weiß: „Die sind oftmals gerührt.“

Wertschätzung für die Mädchen lässt sich an diesem Morgen in Einkaufstaschen zählen. Im Kofferraum hat Heike Grosch einen Großeinkauf zur Arrestanstalt gebracht. Gemeinsamt mit dem Allgemeinen Vollzugsdienst hat der Förderverein „Sprungbrett“ ein Kochprojekt auf den Weg gebracht. Ohne Abstimmung und ohne Rücksicht geht es nicht am Kochtopf. Kann aber mächtig Spaß machen. Ganz wie bei einer Ausfahrt mit dem Rad.

Vorstufe zum Freiheitsentzug in JVA

Alle Mädchen und jungen Frauen aus NRW, die einen Dauer- oder Kurzarrest verbüßen müssen, werden in die Jugendarrestanstalt Wetter geladen. Auch die meisten Freizeitarreste werden hier vollstreckt. Es gibt 27 Plätze.Der Regelfall ist die Einzelunterbringung in einem Arrestraum. Hier wird einige Zeit des Tages sowie die Nacht verbracht. Zur Vorbereitung für die Arrestierten heißt es: „Es ist sicherlich unangenehm und ge­wöhn­ungs­be­dürftig, dort eingeschlossen zu sein. Aber das ist auch so beabsichtigt, denn Arrest ist die Vorstufe zum wesentlich länger dauernden Freiheitsentzug in Justizvollzugsanstalten.“Es gibt viel Zeit zum Nachdenken.