Herdecke. Schule kann beglückend sein. Die Werner-Richard-Schule in Herdecke zeigt das seit 30 Jahren. Darum ist sie mehr denn je ein Vorbild.
Die Frage des Schulrats wurde wohl an alle Lehrerinnen an der damals noch neuen Grundschule im Dorf gestellt: „Wollen Sie sich das wirklich antun?“ Sie wollte, sagt unter anderen Evi Bernhard. Mittlerweile ist sie pensioniert und hat es nie bereut, an eine Schule mit etwas anderen Ansprüchen gewechselt zu sein. Zunächst in Ende konnte sie andere pädagogische Wege gehen, sagt sie dankbar beim 30. Geburtstag der Werner-Richard-Schule. So heißt die Schule nun am neuen Standort am Herdecker Bleichstein.
Jahrgangsübergreifendes Lernen
Wer schon weiter ist, kann weiter sprinten. Wer noch etwas braucht, bekommt Zeit dafür. So beschreibt Lehrerin Sandra Groß die Chancen von jahrgangsübergreifendem Unterricht. Von Beginn an war das differenzierte Lernen Markenzeichen der reformfreudigen Grundschule. Katrin Smukalla lässt die Gäste aus Schulgemeinschaft, von Nachbarschulen und aus der Herdecker Politik an ihren „Zaubermomenten“ teilhaben. Solche Magie sei dabei, wenn Erstklässler erstmals vor der ganzen Klasse vorlesen und aus dem Kreis der Zuhörer Bewunderung und Bestätigung spricht.
Holpriger Anfang
Weil Herdecke ganz so wie heute auf einmal zu viel Kinder im Grundschulalter hatte und nicht genügend Schulen, kam Anfang der neunziger Jahre die Vorgabe, in Ende müsse eine weitere Schule her. Unmittelbar neben der Grundschule in Kirchende entstand sie, Konkurrenzdenken kam ins Spiel - und Skepsis. Axel Effey beschreibt, wie er vom Saulus zum Paulus wurde. Die andere Pädagogik sei ihm ziemlich quer gegangen, berichtet der Vater und kann heute auf viele Jahre als Elternvertreter zurück blicken.
Auch Johanna Lensing-Wolff hat sich eingeladen gefühlt von den besonderen Appellen an die Eltern zur Mitarbeit. Das Engagement hatte auch Schattenseiten: „Es gab harte Zweiten“, erinnert sie an den vergeblichen Kampf, aus der Grundschule eine Primusschule bis einschließlich Klasse zehn zu machen. Am Ende aber reichten die Anmeldezahlen nicht für diesen mutigen pädagogischen Wurf.
Der Zeit voraus
Stolprige Anfänge, eine gescheiterte Ausweitung - entscheidender für die Werner-Richard-Schule aber war das hohe Maß an Anerkennung von außen und die große Zufriedenheit innerhalb des Kollegiums und der ganzen Schulgemeinschaft. Bei der individuellen Förderung war die Schule ebenso Wegbereiter für andere Schulen wie bei der Inklusion. Mathematisch-naturwissenschaftliche Interessen stärkt sie schon lange. Jessica Rausch, Leiterin des Schulamtes, stellt fest: „Sie waren Ihrer Zeit immer einen Schritt voraus.“
Räume für den ganzen Tag
Das scheint auch weiterhin zu gelten. Herdecke hat sich auf den Weg gemacht, die räumliche Trennung von Schule und Betreuung zu überwinden. Räume für den ganzen Tag sollen eingerichtet werden. Das setzt eine stärkere Verzahnung von Lernen und Betreuung voraus und eine Weiterentwicklung pädagogischer Konzepte. Mit zwei Grundschulen wird in Herdecke der Anfang gemacht. Eine davon ist die Werner-Richard-Schule.
Viel Lob von der Fachfrau
Mit einem Motto ist die Schule in ihre Geburtstagswoche gegangen. „Das Lernen leben, das Leben lernen“ steht auf dem Roll Up, während Schulleiter Matthias Wittler die Gäste der Festveranstaltung begrüßt. Darunter ist auch Reformpädagogin Margret Rasfeld. „Ihr macht das hier ja alles schon ganz gut“, gibt sie dem Kollegium immer wieder Auftrieb bei dem Versuch, das Lernen an die Lebenswirklichkeit der Kinder heran zu rücken.
Kein Raum für Kreativität, zu wenig Zeit für Projekte, eine Zerstückelung in Fächer – so zeichnete sie das Bild der allermeisten Schulen in Deutschland. Bei Rasfelds Ansätzen, Artensterben und Armut und der Sinnkrise dieser Zeit in einer fortschrittlichen Schule zu begegnen, dürften aber auch Lehrerinnen und Lehrer der Werner-Richard-Schule noch Luft nach oben verspürt haben.