Herdecke. Ein Mann aus den Niederlanden stürzt im Klettergebiet Avalonia in Herdecke ab. 2020 gab es dort zwei Schwerverletzte. Das hat erste Konsequenzen.
Über den Unfall am Sonntag im Herdecker Boulder-Gebiet Avalonia, als ein Freikletterer in den Ruhrsandsteinfelsen im Zillertal abstürzte und danach ein ungefähr 500 Kilogramm schwerer Stein auf seine Beine fiel, haben zahlreiche Medien berichtet. Nun stellen sich, auch aufgrund der Vorgeschichte, viele Fragen. Diese hat die Lokalredaktion dem Eigentümer des Geländes und mehreren Institutionen vorgelegt. Hier erste Antworten.
Bei der verletzten Person soll es sich um einen 41-Jährigen handeln, der ins Herdecker Gemeinschaftskrankenhaus kam und nicht in Lebensgefahr schwebt(e). Dem Vernehmen nach gehört er zu einem Auto mit einem gelben Nummernschild, reiste also wohl aus den Niederlanden an. Ortskundige wissen: An der Landesstraße 675 parken oft auswärtige Fahrzeuge. Bekannt ist: Immer mehr Kletterer aus nah und fern wollen sich im einstigen Geheimtipp Avalonia ausprobieren.
Im vergangenen Jahr mussten der Rettungsdienst und die Feuerwehr Herdecke beispielsweise zwei verunglückte Kletterer aus dem unwegsamen Gelände bergen, im April und November 2020 hatten sich eine Frau und ein Mann schwer verletzt. „Wir haben für solche Einsatzorte eine Trage mit einem speziellen Fahrgestell und nur einem Rad besorgt“, sagt Feuerwehrsprecher Michael Tillmanns. „Gerade bei sensiblen Patienten nach Stürzen, möglicherweise mit Verletzungen der Wirbelsäule, ist der schonende Transport in unwegsamem Gelände sehr kräftezehrend und erfordert einen größeren Personalansatz.“
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Das führt zur Frage: Welche Konsequenzen haben die Unfälle im Avalonia-Areal? Vertreter des in Wetter beheimateten Boulderclubs Ruhrtal, der 2016 das Gelände gemeinsam mit dem Deutschen Alpenverein kaufte, antworteten der Redaktion am Montag weder telefonisch noch schriftlich nach erfolgten Anrufen und abgesendeter Mail. Daher vorerst nur ein Verweis auf die Statuten des Clubs, in diesen steht: „Das Betreten des Gebiets geschieht auf eigene Gefahr, insbesondere im Hinblick auf Natur-, Fels- und Wald-typische Gefahren.“
Was sagen die Behörden?
Die Polizei ermittelte nur kurz: Da kein Fremdverschulden vorlag, sei sie nicht weiter zuständig. Eine Sprecherin des Ennepe-Ruhr-Kreises bestätigte derweil, dass die Untere Naturschutzbehörde EN den Kletterern 2018 die Genehmigung im Hinblick auf Flora und Fauna erteilte. Im April 2021 habe es einen Ortstermin mit einzelnen Beanstandungen auf dem Areal gegeben, wonach der Boulderclub etwa gebaute und nicht genehmigte Hütten bis zum Herbst wieder entfernen muss. Nach Kenntnis des Kreises habe auch der Landesbetrieb Straßen NRW (zuständiger Sprecher am Montag nicht erreichbar) im Zuge der benachbarten Hangsicherung oberhalb der L675 den Kletterverein wegen Steinschlag-Gefahren informiert. Bauordnungsrechtliche Themen fallen demnach in die Zuständigkeit der Stadt Herdecke.
Aus dem Rathaus heißt es am Montagnachmittag, dass das Klettergebiet bis auf Weiteres gesperrt bleibe. Fachbereichsleiter Dr. Lars Heismann: „Nach bisherigen Erkenntnissen handelt es sich um einen Unfall auf einem Privatgrundstück, demnach wäre der Verein für die Verkehrssicherungspflicht zuständig.“ Im Jahr 2017 habe die Stadt für besagtes Areal einen Bauantrag („Geländegestaltung mit Stützmauern für Bouldermöglichkeiten“) erhalten, den die Verwaltung im April 2019 genehmigte. Das betraf die dort stehenden Trockenmauern inklusive Geländeveränderungen. Die Kletterwände, da naturbelassen, seien nicht Bestandteil dieser Genehmigung gewesen.
Die Bauaufsicht der Stadt schicke nun einen Kontrolleur in das Avalonia-Gelände, „einfach um sicherzugehen, dass das Unglück nichts mit den genehmigten Stützmauern zu tun hat“.
>>> Ein Kommentar von Steffen Gerber
In dieser schnelllebigen Zeit wäre es einfach, die Schuldigen an den Pranger zu stellen. Das Klettergebiet Avalonia gehört dem Boulderclub Ruhrtal, also sollte der sich verstärkt um Sicherheitsthemen und eine bessere Infrastruktur kümmern. Das ist richtig. Und doch etwas zu kurz gegriffen.
Das Klettergebiet galt lange als Geheimtipp. Das ist es längst nicht mehr, immer mehr Auswärtige kommen zur Stadtgrenze von Herdecke und Wetter. Die Voraussetzungen zum Freizeitspaß sind aber nicht mitgewachsen (es fehlen zum Beispiel sanitäre Anlagen). Und als Straßen NRW nebenan nach den Steinschlagvorfällen über Monate den Hang sicherte, hätte auch jemand an die Avalonia-Felsen in direkter Nachbarschaft denken können, ja müssen.
Klar ist: Es müssen Änderungen her. Der Boulderclub mit den Ehrenamtlern meidet möglichst die Öffentlichkeit, um nicht noch mehr Kletterer anzulocken. Nachvollziehbar. Niemand wünscht dem Verein etwas Schlechtes. Doch nun ist es an der Zeit, verantwortlich zu handeln und tragfähige Strukturen mit mehr Sicherheit zu schaffen. Auch die Behörden sollten das konkreter in Angriff nehmen.