Wetter. In der Seniorenresidenz in Wetter wird nachhaltig gekocht. Warum dabei nicht nur die Überzeugung eine Rolle spielt.

Rund 200 Mahlzeiten dreimal am Tag. Wie punktgenau kann Küchenchef Mohammed Kamal kochen, damit in der Seniorenresidenz in Wetter möglichst wenig weggeschmissen werden muss, wenn Tische und Tabletts wieder abgeräumt sind? Nicht nur Vertretern der Kriegsgeneration tut es in der Seele weh, wenn Berge von Essensresten in den Müll wandern müssen.

Ja, solche Herrschaften kennt Kamar auch. In der Kindheit haben sie Hunger gelitten und das bis heute nicht vergessen. Andere Senioren aber haben diese Erlebnisse hinter sich gelassen und machen kein Aufhebens, wenn mal wieder ein Stück Fleisch auf dem Teller oder der Kuchen ungegessen auf dem Servierwagen liegen bleiben. Allerdings: So richtig viel zum Mitleiden gibt es in der Seniorenresidenz auch gar nicht. Der Küchenchef: „Wir haben gelernt, Wegwerfen zu vermeiden.“

Fast alle Bewohner in der Residenz können Zimmer oder Bett für die Mahlzeiten verlassen. Auf Wagen werden Brötchen und Marmelade, Braten und Kartoffeln, Brote und Joghurts zu ihnen in die Wohngemeinschaften oder ins Restaurant herangerollt. Auf den Teller kommt, was im Moment gewünscht wird. Der erste Rutsch fällt eher mal knapp aus. Dafür ist Nachschlag jederzeit möglich. Und im Speisesaal geht’s zu wie in einem Restaurant. Es wird aufgegeben und nachgeschenkt.

Nudelreste werden zu Auflauf

Damit kommt ein überlegter Küchenchef wie Mohammed Kamar recht weit. Fertig bestückte Tabletts wie vielfach in Krankenhäusern sind zu ungenau, ein Büffet würde nicht zur teilweise eingeschränkten Mobilität der meisten Bewohnerinnen und Bewohner passen: Rolli mit der einen Hand schieben, Teller in der anderen Hand – das scheidet in der Residenz an der Friedrichstraße aus. Immer mal wieder bleibt was auf dem Teller liegen. Was aber noch in Schüsseln dampft oder Schälchen wartet, ist für den Speisezettel anderer Tage nicht verloren.

Mohammed Kamar und seine Mitstreiter in der Küche recyclen im großen Stil. Übrig gebliebene Kartoffeln oder Nudeln finden sich als Auflauf auf dem Teller wieder, Gemüse wandert vom Essenswagen in die Suppe, und ganz besonders ausgeklügelt ist das System bei den Kuchenstücken, die auf dem Blech geblieben sind. Mehrmals in der Woche gibt es selbst gebackenen Kuchen. Die Reste lässt Kamal eintrocknen, mahlt sie und rührt sie wieder unter in den Teig für einen Boden. Das spart sogar Arbeit, denn in den Bröseln stecken ja schon die nötigen Zutaten.

Lutz-Peter Lührmann gefällt diese Art der Sparsamkeit. Lührmann betreibt unter anderem in Wetter die zwei Seniorenresidenzen. Bei Joghurtbechern schaut er schon mal aufs Verfallsdatum und freut sich, wenn das noch ein wenig entfernt liegt. Sonst muss Mohammed Kamar ein bisschen auf die Tube drücken, damit nichts verfällt. Das Lob von Lührmann ist ihm sicher, sieht der doch zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Neben die Wirtschaftlichkeit gesellt sich ja noch der Gedanke der Nachhaltigkeit.

Bereits zu seinen Zeiten als Hotelkoch hat Kamar gelernt, wie möglichst wenig beim Küchenbetrieb übrig bleibt. „Wir haben nichts weggeschmissen“, sagt er über die alte Schule, nach der er ausgebildet wurde. Aus nicht aufgetragenen Fleischportionen wurde Sülze. Von Aspik umhüllt ging das Geschnittene als Gruß aus der Küche an die Gäste. Und einmal im Monat, erinnert sich Mohammed Kamar, gab’s an einem Sonntag konsequente Resteküche – für fünf Euro die Mahlzeit.

Kaum Reste, kaum Abfall. Die Seniorenresidenz scheint sich in puncto Nachhaltigkeit sehen lassen zu können und von einer Wegwerfmentalität weit entfernt. Und doch bekommt der Besucher zum angebotenen Kaffee die Milch in einer Plastikkapsel. Das sei nur im Besucherbereich so, versichert Lutz-Peter Lührmann und da auch ganz angebracht. Für die Bewohner fließt die Kaffeesahne aus Kännchen in den Kaffee und verschwindet danach wieder im Kühlregal.

Bei so genauer Planung und Möglichkeiten der Wiederverwendung bleibt in der Seniorenresidenz nichts übrig, was von der Küche an den Brotkorb gehen könnte. In der Biotonne verschwindet, was einmal an Fleisch oder Salat auf dem Teller gelegen hat. Früher einmal durften Bauern Reste für die Tiere abholen. Aber diese Zeiten liegen fast so lange zurück wie die Tage, an denen der Hunger zum sorgsamen Umgang mit Lebensmitteln antrieb.

Mitreden beim Essen

Bewohnerinnen und Bewohner der Seniorenresidenz werden an der Zusammenstellung des Speisezettels beteiligt.Neben dem Heimbeirat gibt es extra einen Kreis, der Vorschläge für ein Essen macht, das ankommt bei den Bewohnern.