Hagen. Das Fichte-Gymnasium organisiert ein Antisemitismus-Projekt mit seinen Oberstufenschülern und schafft echte Begegnung.
Diese zwei Lehrerinnen und ihre Schülerinnen und Schüler haben gewagt, wofür es bislang keine festgeschriebene Unterrichtsreihe gibt. Tela Zabel und Julia Hönig, die am Fichte-Gymnasium unter anderem Religion unterrichten, haben den Antisemitismus in Zusammenarbeit mit der Stadtredaktion und vor allem mit jenen, die die Zukunft dieser Stadtgesellschaft sind, besprechbar gemacht. Und sie haben dabei die wohl wichtigsten aller Zukunftsfragen mit Blick auf den Antisemitismus ans Ende ihrer Reihe gestellt: Wie sind echte Verständigung und echtes Verständnis möglich?
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Sie hatten sich vor Monaten bereit erklärt, Teil des Projekts der WP „Unter einem guten Stern“ zu werden. Nicht, weil Antisemitismus ein Problem am „Fichte“ wäre, sondern weil sie die gesamtgesellschaftliche Herausforderung gesehen haben. Das hatte auch Schulleiter Christian Fischer so gesehen: „An einer Schule, an der so viele unterschiedliche Kulturen, Nationalitäten und Prägungen zusammenkommen, da ist es auch möglich, dieses Thema anzupacken. Wir finden das wertvoll“ Und Tela Zabel und Julia Hönig packten es an. Sie entwarfen einen Vierklang: „Was ist Antisemitismus?“, „jüdisches Leben heute“, „Nahostkonflikt“ und „Wie begegnen wir Antisemitismus?“
Uralte Stereotype immer noch da
Beim Erstkontakt mit dem Thema gingen die Lehrerinnen mit ihren Kursen unter anderem eine Broschüre mit Memes durch. Memes sind Medieninhalte, die einem vorwiegend im Internet und auf sozialen Medien begegnen. In der Regel humoristisch, manchmal satirisch, meistens gesellschaftskritisch. Das Netz ist voll mit Memes, die Juden verhöhnen und den Nahostkonflikt befeuern. In vielen Memes transportieren sich Stereotype, die so alt sind wie das Judentum selbst. Juden werden beispielsweise optisch mit Kraken gleichgesetzt.
Was leider gut passte. Denn die Schüler hatten die Nachrichten verfolgt und gesehen wie die schwedische, jugendliche Umweltaktivistin Greta Thunberg sich öffentlich in einem Posting mit den Palästinensern solidarisiert hatte. Ohnehin gab es bis dahin schon eine öffentliche Debatte über anti-israelische Strömungen innerhalb der Klimabewegung. Thunberg postete später ein weiteres Bild, in dem zusätzlich ein Plüsch-Krake zu sehen war, was Kritiker als bewusste Symbolik für das Judentum auffassten. Das kleine, geheime Netz an Entscheidern und Verschwörern, das das Weltgeschick bestimmt.
Wie prüfen wir Fakten?
„Was zu diesen Themen in sozialen Netzwerken abgeht, ist unvorstellbar. Die Schüler sind da praktisch jeden Tag mit konfrontiert. Deshalb war es so wichtig, darüber zu sprechen, was wir in der realen Welt tun können. Wie prüfen wir Fakten? Wie checken wir Quellen? Wie ordnen wir das, was wir da sehen, richtig ein?“, sagt Tela Zabel.
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Doch Hönig und Zabel gingen noch einen Schritt weiter. Sie nahmen die Plattform „Stopp Antisemitismus“ hinzu. „Erkennen Sie Antisemitismus im Alltag und wissen Sie, wie Sie reagieren können?“, ist das Projekt überschrieben, das 2018 von der Zeit-Stiftung Bucerius ins Leben gerufen wurde. Lehrer, Psychologen, der Zentralrat der Juden, zivilgesellschaftliche Kräfte – etliche Partner haben an dem Projekt mitgewirkt. Es präsentiert 35 völlig alltägliche Zitate und Formulierungen (auch über den Nahostkonflikt), arbeitet den antisemitischen Kontext heraus und präsentiert Reaktionsempfehlungen.
Der Anblick des Davidsterns
„Wir haben viel darüber gesprochen, warum es im Kopf etwas mit uns macht, wenn wir den Davidstern sehen. Das war sehr erhellend für mich und die Schüler, wie sich diese Bilder und Stereotype über viele, viele Generationen weitervererben. Erstaunlich war, dass der Nahostkonflikt bei den jungen Menschen eigentlich keine Rolle spielt“, sagt Julia Hönig. „Wir wollen ihn trotzdem erklären“, pflichtet ihr Tela Zabel bei: „Wir erkennen das Existenzrecht Israels an und vertreten da eine Position. Vieles ist aber auch überhaupt nicht gut, was im Nahen Osten gerade passiert.“
„Wenn ich etwas über Muslime erfahren möchte, dann brauche ich mich einfach nur in der Schulgemeinschaft umzuhören. Aber wo und wann trifft man Juden“
Überhaupt, so stellten die beiden Lehrerinnen fest, verschwimmen die Bilder. Israel werde mit dem Judentum gleichgesetzt, wobei das nicht zwangsläufig dasselbe ist. Mit dem virtuellen Methodenkoffer „Malmad“ blickten die Lehrerinnen auf 1700 Jahre jüdisches Leben. Es gibt sieben kleine Episoden, in denen sich jeweils zwei bis dahin einander unbekannte jüdische Menschen miteinander austauschen.
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Wo und wann trifft man Juden?
Dass Juden unterschiedlich sind und von den Stereotypen abweichen, ist eines der Ergebnisse dieser Arbeit. Zum Beispiel, dass Juden auch dunkelhäutig sind. „Dass man das als jüngerer Mensch nicht sofort auf dem Schirm hat, zeigt, wie wenig Begegnung es gibt. Wenn ich etwas über Muslime erfahren möchte, dann brauche ich mich einfach nur in der Schulgemeinschaft umzuhören. Aber wo und wann trifft man Juden?“, sagt Julia Hönig.
Die Bezeichnung „Du Jude“ ist in die Jugendsprache eingekehrt und oft zu hören auf deutschen Schulhöfen. Das ist also nichts, was das Fichte exklusiv hat, sondern was bundesweit verbreitet ist. Die Jugendsprache – und damit haben sich viel größere Sprachinstitutionen als lokale Gymnasien beschäftigt - hat in ihrer Verunglimpfung nicht immer nur Randgruppen, sondern auch Benachteiligte, Menschen mit Behinderungen oder Kranke verletzt. „Wenn man mal nachfragt, wieso aktuell ,Du Jude‘ gesagt wird, ist die Antwort meistens ,Nur so‘“, beschreibt Julia Hönig die Lage.
Verletzende Aussagen
Aber die Aussagen hätten natürlich etwas Unterschwelliges, etwas Verletzendes, im Prinzip etwas Antisemitisches. Es spielt keine Rolle, ob Juden wirklich vor einem stehen. Die Nutzung der Anrede sorgt aber dafür, dass negative Juden-Narrative auf der unterschwelligsten Ebene verbreiten. In sozialen Gruppen.
„Genau deshalb finde ich es so wichtig, dass wir am Ende der Unterrichtsreihe fragen: Was gibt es für Möglichkeiten zur Verständigung? Wie sind Juden? Wie wollen wir sie als Menschen erkennen?“, sagt Tela Zabel. Das sei so schwierig, weil sie eine Minderheit sind. „Die Schwierigkeit ist aber genau das“, sagt Zabels Kollegin Hönig, „,dass sie nämlich eine Minderheit sind, nicht dass sie Juden sind“