Elsey. Das Image der „geschützten Akutstation“ ist katastrophal. Ein seltener Blick in einen Ort, der in der Gesellschaft als „Klapse“ gilt.

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Wie sieht es eigentlich auf Station 14 des Zentrums für Seelische Gesundheit in Elsey aus? An jenem Ort, den der Volksmund als „Geschlossene“ beschreibt. © WP | Michael Kleinrensing

Gleich vor der ersten Zimmertür steht eine strohblonde Dame. Vielleicht 70, Richtung 80. Ihr Blick ist wach, die Hände hält sie hinter dem Rücken und lehnt an der Türzarge. Beim Vorbeigehen beugt sie sich vor. Mit diesem Flüsterton, den Großmütter haben, wenn sie dem Enkel - unbemerkt von den Eltern - fünf Euro für Süßigkeiten zustecken, sagt sie: „Wir haben hier immer viel Spaß.“ Es klingt, als sei sie öfter mal hier auf jener Station, für die der Volksmund Begriffe wie „Die Geschlossene“ oder „Klapse“ geprägt hat.

Ein Ort voller Stigmata und größtenteils durch die Filmindustrie geprägten Vorurteilen. Was geschieht denn wirklich auf Station 14 des Zentrums für Seelische Gesundheit an der Iserlohner Straße in Elsey? Was geschieht mit jenen, die hier herkommen? Ein persönlicher Besuch.

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„Wir haben hier immer sehr viel Spaß““

Eine Patientin zum Reporter auf dem Flur von Station 14.

Bleiben wir doch zunächst bei den Bildern der alten Dame. Ihr Zimmer gleicht jenen, die es in modernen Altenpflegeeinrichtungen oder ordentlichen Hotels gibt. Von Licht durchflutet. Helle Böden. Warme Wandfarben. Es sind die ganz kleinen Details, die darauf schließen, dass hier etwas anders ist. Die Fenster sind breite Glasfronten. Nur ein etwa 1,50 Meter hoher Flügel, vielleicht 15 oder 20 Zentimeter breit, kann per Griff geöffnet werden, damit die Bewohner nicht raus können. Im Badezimmer der alten Dame ragt der Duschkopf nur als glatte, kleine Kugel aus den Fliesen. Die Haken, an denen die Handtücher ungefähr auf Kopfhöhe hängen, klappen sofort Richtung Wand herunter, sobald man nur leicht daran zieht. Man soll sich an beidem nicht aufhängen können.

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Aufenthaltsraum für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen. Die Atmosphäre ist hell und freundlich. © WP | Michael Kleinrensing

Dr. Philipp Görtz ist der Klinikdirektor. Wenn er über den Flur von Station 14 geht, sprechen ihn viele Patienten mit Namen an. Die vielen Details, die baulichen Kleinigkeiten - zum Beispiel, dass es vor dieser so wichtigen Station eine Schleuse gibt - stammen von ihm. Dieser Bereich, der ganz offiziell „Geschützte Akutstation“ heißt, soll den Patienten, aber auch den Mitarbeitern, das Höchstmaß an Professionalität und die beste Arbeits- und Genesungs-Atmosphäre bieten. Alles hier ist neu. Die Station ist gerade erst von Boele hierhin umgezogen.

„Die Mitarbeiter wissen haargenau, was zu tun ist, um die akute Krisensituation, die die Menschen hier hergebracht hat, zu stabilisieren und erste Linderung zu verschaffen. Viele der 20 Pflegekräfte auf dieser Station haben eine besondere Zusatzausbildung. Und alle stellen sich ganz bewusst dieser besonderen Herausforderung, die das hier ist.“

Dr. Philipp Görtz, Klinikdirektor.

Man kann sich nicht ganz frei von den Vorurteilen machen, die man im Kopf so mitgebracht hat. Man glaubt unterbewusst, dass Gefahr herrsche, während man hier über den Flur geht. Manches Zimmer ist geöffnet. Keine Spur von Eskalation. Es herrscht so eine betriebliche Stille. Nur ein etwas renitenter Mann, den der Rettungsdienst gerade gebracht hat, spricht etwas lauter. Ein Pfleger lehnt die Tür an. Akut-Phase für den Herrn. Dazu gleich mehr.

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Klinikdirektor Dr. Philipp Görtz in einem Patientenzimmer unter dem Dach der Klinik. Nichts erinnert mehr an eine Krankenhausatmosphäre. © WP | Michael Kleinrensing

Es gebe, so erklärt Philipp Görtz, viele Gründe, hier zu landen. „Es kann mal etwas schief gehen. Da ist niemand frei von. Sie nicht, ich nicht. Wir sehen hier alle gesellschaftlichen Schichten. Ganz oben und ganz unten.“ Zu den „vielen Gründen“ gehören suizidale Krisen, Kognitionsstörungen, Intoxikation (Vergiftung durch bestimmte Stoffe) oder Verhaltensstörungen (darunter Psychosen) zu jenen Krankheitsbildern, die man hier immer wieder sieht.

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Keine Patienten, sondern Menschen

19 „Patienten“, die man hier eigentlich nicht so nennen will, fasst die Station. „Es sind Menschen, die hier zu uns kommen“, sagt Philipp Görtz. „Menschen in einer akut schlechten Situation.“ Erstaunlich sind zwei Dinge. Erstens: Die Verweildauer der Gäste ist durchschnittlich nur drei bis vier Tage lang. Und zweitens: Die meisten kommen auf eigenen Wunsch. „Viele, die zum Beispiel Suizidgedanken haben, fühlen sich hier sicherer“, sagt Philipp Görtz.

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Ein Notarztfahrzeug und ein Rettungswagen vor dem Zentrum für Seelische Gesundheit in Elsey. © WP | Michael Kleinrensing

Man sieht so manchem, der kurz über den Flur läuft, an, dass er aktuell nicht ist, wie viele andere Menschen vor den Toren des Gebäudes. Das seelische Leid, sofern man sich diese Beurteilung als laienhafter Besucher erlauben darf, ist den Menschen anzusehen. Und dennoch, ist das hier der Anfang vom Besserwerden. Denn das erfahrene und speziell ausgebildete Team der Station wisse, so beschreibt es Chef Philipp Görtz, „haargenau, was zu tun ist, um die akute Krisensituation, die die Menschen hier hergebracht hat, zu stabilisieren und erste Linderung zu verschaffen.“

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„Der Ort wird mehr als Drohung verwendet. Sein Image ist eine Katastrophe. Dabei ist die andere Perspektive genau richtig: Wir haben Glück, dass wir diesen Ort in Hagen haben. Hier wird vielen Menschen geholfen.“

Dr. Philipp Görtz

Neben den Menschen, die hier herkommen, sind es eben auch Menschen, die hier arbeiten. Solche, die einen „ganz besonderen intrinsischen Antrieb haben“, wie Görtz es beschreibt. „Viele der 20 Pflegekräfte auf dieser Station haben eine besondere Zusatzausbildung. Und alle stellen sich ganz bewusst dieser besonderen Herausforderung, die das hier ist. In der Akut-Situation“, so beschreibt es der Klinikdirektor, „haben diese Kollegen Algorithmen im Kopf. Sie wissen genau, was man tun, sagen oder lassen muss.“

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Helles Entrée. An diesem Empfangstisch kommen Patienten und Besucher vorbei. © WP | Michael Kleinrensing

Für den Laien kaum vorstellbar, wie sich zeigt, als wir jenen Raum betreten, in dem die Betroffenen auf der Station erstmals einem Arzt und den Pflegekräften begegnen. Immer wieder ein Moment mit einem Rest Ungewissheit - durch die Augen von Fachfremden. Es gibt zwei Türen. Durch die eine geht es raus auf andere Stationen zur Weiterbehandlung im Haus. Durch die andere in die geschützte Station. Das Team ist im Durchschnitt übrigens sehr jung. Ein Kollege aber ist seit 30 Jahren dabei.

Ein Ort, den die Gesellschaft ausblendet

Dies ist ein Ort, den die breite Gesellschaft ausblendet. „Der Ort wird mehr als Drohung verwendet. Sein Image ist eine Katastrophe. Dabei ist die andere Perspektive genau richtig: Wir haben Glück, dass wir diesen Ort in Hagen haben. Hier wird vielen Menschen geholfen.“ Die verzerrte Betrachtung beginne schon mit der Vokabel „Unterbringung“, sagt Philipp Görtz. „Wenn überhaupt, dann können das in Akut-Situationen nur gesetzliche Betreuer oder das Ordnungsamt. Und selbst dann werden die Einzelfälle so gründlich abgeklopft, dass die Selbstbestimmtheit der Person so schnell wie möglich hergestellt wird.“

Das ehemalige Krankenhaus Elsey ist nun das Zentrum für Seelische Gesundheit.
Das ehemalige Krankenhaus Elsey ist nun das Zentrum für Seelische Gesundheit. © www.blossey.eu / FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Das Zerrbild trifft auch auf das in Filmen viel verwendete Motiv der Fixierung zu, vor der in der Realität große Hürden stehen würden, sagt Philipp Görtz. Also die Fesselung von Patienten zu deren eigener Sicherheit oder der anderer. Niemand werde hier - wenn überhaupt - einfach so fixiert. Da das eigentlich einen Straftatbestand erfüllt, muss in dem Moment ein Richter, der sich sofort auf den Weg machen würde, darüber entscheiden. Zumal vor einer Fixierung erst noch eine Isolierung käme. Aber das führt zu weit in die Tiefen der rechtlichen Rahmenbedingungen solcher Stationen.

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Menschen stabilisieren sich wieder

Ein etwas zerzauster, älterer Mann kommt uns entgegen. Er spricht sehr laut und wendet sich direkt an Dr. Görtz. Seine Erzählung wirkt zusammenhangslos. Er wehklagt, dass er nicht so schlimm sei, wie ihn alle darstellen und kein Schmarotzer, kein Bettler. „Wir sprechen in Ruhe darüber“, beruhigt Görtz den Mann, der wiederholt hier ist. Womit er zwar kein Einzelfall, aber nicht die Regel ist.

Denn wenn die drei bis vier durchschnittlichen Verweiltage vorüber sind, geht es für nahezu jeden unter anderen Rahmenbedingungen der Behandlung weiter. „Wenn die Akutphase vorüber ist, dann wird auf unseren anderen Stationen weiterbehandelt. Beispielsweise in der Suchtbehandlung. In der Regel stabilisieren sich die Menschen wieder und können wieder gut selbstbestimmt leben.“

Die Stigmatisierung von Akutstationen hat teilweise Auswirkungen auf das ganze Haus. „Das ist einer der Gründe, warum wir uns hier nicht psychiatrisches Krankenhaus nennen, sondern Zentrum für Seelische Gesundheit. Das hier ist kein fürchterlicher Ort. Wer hier herkommt, für den ist das der erste Schritt zur Besserung. Es ist gut, dass es diesen Ort gibt“, sagt Phillip Görtz.