Hagen. Auch in Hagen fehlen Antibiotika, Augensalben oder wichtige Diabetes-Medikamente. Die Apotheker fürchten, die Lage könnte noch schlimmer werden:
„Die Lieferengpässe sind gravierend. Und wir haben eher Angst, dass es noch schlimmer werden könnte“, sagt Anja Beier. Sie ist Sprecherin der Hagener Apotheken, die aktuell immer wieder vor dem gleichen Problem stehen: Es fehlen Medikamente. Betroffen sind Antibiotika, Augensalben, Diabetes-Medikamente, „aber beispielsweise auch wichtige Substitutions-, ADHS- oder Asthmasprays - und das nicht nur in Hagen“, sagt der Hagener Apotheker Christian Fehske. „Seit mittlerweile einem Jahr müssen wir nun schon Asthmasprays rationieren.“
„Die Lieferengpässe sind gravierend. Und wir haben eher Angst, dass es noch schlimmer werden könnte.“
Die Lage sei dramatisch, die Apotheken am Limit, betonen beide. Letztlich sei es auch für viele Patienten, die mit Rezepten an der Bedientheke stehen, eine deprimierende Situation. „Wir müssen dann schauen, was da ist - und sie im Zweifel zurück zum Arzt schicken, der ein neues Rezept ausstellen muss“, so Fehske, der die Verantwortung dafür teils auch in der Politik sieht: „Wir hatten letztes Jahr eine ähnliche Situation. Dennoch hat man es nicht geschafft, sich so vorzubereiten, dass eine solche Lage nicht wieder entstehen kann“, macht er seinem Unverständnis Luft.
Das NRW-Gesundheitsministerium erklärt dazu: „Zuständige Behörde für die Thematik ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). In der dort verankerten öffentlichen Lieferengpassdatenbank sind derzeit 479 Engpässe gelistet (Stand 19.09.2024). Hierbei ist zu beachten, dass in der Regel Alternativen existieren und daher ein Lieferengpass nur in den wenigsten Fällen mit einem Versorgungsmangel gleichzusetzen ist.“ Auch dort rechne man damit, dass Engpässe zum Winter zunehmen könnten.
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Gefährliche Trends und fehlende Kapazitäten
Die Gründe für die Lieferengpässe seien unterschiedlich. Um das Diabetes-Medikament Ozempic hatte sich beispielsweise ein regelrechter Abnehmtrend entwickelt, da das Medikament den Appetit zügelt. Ein nicht ganz ungefährlicher Trend, da das Medikament beträchtliche Nebenwirkungen haben kann, „man muss das durchaus kritisch sehen“, betont auch Apotheker Fehske. Der regelrechte „Run“ auf das Medikament führe außerdem dazu, dass Hersteller mit der Produktion nicht hinterherkämen - dadurch komme es zu Engpässen.
Anders sieht es bei Antibiotika, Augensalben oder Substitutionsmedikamenten aus. „Viele Medikamente werden im Ausland hergestellt. Wenn es dort Probleme in der Lieferkette gibt, oder die Bedarfe ganz plötzlich steigen, entstehen Engpässe“, so Anja Beier. Ein weiterer Grund sei, so Fehske, dass sich die Zahl der Anbieter für die meisten Wirkstoffe in den letzten Jahren deutlich reduziert habe - sie säßen meist im Ausland, unter anderem in China. Dadurch, dass viel weniger Hersteller produzieren, seien auch die Reaktionsmöglichkeiten bei gestiegener Nachfrage deutlich geringer.
Das NRW-Ministerium erklärt dazu: „Die inzwischen seit mehreren Jahren bestehenden Lieferengpässe zeigen, dass die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung in Deutschland keine Selbstverständlichkeit ist, sondern wir aktiv daran arbeiten müssen, diese zu erhalten. Die bisher durch die Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen reichen jedenfalls nicht aus, um Lieferengpässe wirkungsvoll zu verhindern.“ Die Bundesregierung müsse ihre Maßnahmen dringend nachbessern. Über die Gesundheitsministerkonferenz und den Bundesrat seien Vorschläge zur Stärkung des Pharmastandortes Europa und Deutschland gemacht worden. „Dies wäre eine wichtige Maßnahme für eine ursächliche Verbesserung der Situation mit einer konkreten Zeitperspektive. Leider wurden diese Vorschläge bislang nicht aufgenommen. Eine Möglichkeit wäre etwa die Kopplung von Rabattverträgen der Gesetzlichen Krankenversicherung an europäische Produktionsstandorte oder die Schaffung langfristiger finanzieller Planungssicherheit für die Unternehmen durch z. B. langfristige Verträge und entsprechende Standortsicherungen.“ Aus Sicht des MAGS sei ein solcher komplexer Prozess nur gemeinsam mit allen Akteuren gestaltbar.
„So ist die Situation für alle nicht zufriedenstellend - für Ärzte, Patienten und Apotheken.“
Apotheken müssen teilweise einspringen
Für die Apotheker vor Ort jedoch bleibt zunächst der tägliche Ärger. Denn teilweise seien bei Ausfällen die Apotheken gefragt, die Medikamente zu beschaffen. „Letztes Jahr gab es Patienten, die plötzlich Medikamente aus Portugal mit portugiesischem Beipackzettel hatten, die wir übersetzen mussten“, so Fehske. Immer wieder würden Apotheken auch selbst beim Anmischen von antibiotischen Säften einspringen - aber nur nach Bedarf, nicht auf Vorrat. Dafür bedürfe es einer gesonderten Genehmigung.
Die Patienten, so Fehske, hätten natürlich kein Verständnis, wenn sie in der Apotheke stehen würden, mit einem Rezept, das überhaupt nicht eingelöst werden kann, weil entsprechende Medikamente nicht vorrätig sind. „Es ist eine Misere“, sagt auch Anja Beier.
Fest steht nur: Es braucht Lösungen. „Denn so ist die Situation für alle nicht zufriedenstellend - für Ärzte, Patienten und Apotheken“, so Fehske.
Tausende Unterschriften gesammelt
Die Hagener Apotheken hatten zuletzt in Hagen Unterschriften gegen die geplante Apothekenreform gesammelt, in der u.a. vorgesehen ist, dass Apotheken künftig ohne die jetzt noch vorgeschriebene Anwesenheit eines Apothekers betrieben werden dürfen. Nach Veröffentlichung einer gemeinsamen Bürgerinformation zu möglichen Reformfolgen kamen bis Ende August 11.197 Unterschriften (davon 7.690 Hagener) zusammen. Die Apotheken fordern darin die Hagener Bundestagesabgeordneten auf, sich für eine Überarbeitung der Reform einzusetzen.
„Viele befürchten, dass Lauterbachs Reform die angespannte Lage vollversorgender Apotheken in Großstädten sogar verschärfen könnte, weil von dort Mittel für die Einrichtung von Behelfs-Abgabestellen auf dem Land umverteilt werden sollen. Dabei erleben viele Hagener Bürger schon heute Leistungskürzungen im Bereich ihrer Arzneimittelversorgung durch längere Wartezeiten auf Medikamente sowie weitere Wege zu Apotheken mit immer kürzeren Öffnungszeiten“, so Fehske in einer Erklärung. Der Initiator der Unterschriftenaktion zeigt sich froh über den Rückhalt aus der Bevölkerung: „Mein Eindruck beim Sammeln der Unterschriften war, dass eine Mehrheit der Menschen das nicht als gute sozialdemokratische Gesundheitspolitik empfindet - zumindest nicht in Hagen.“