Boelerheide. Viele leben seit 40 Jahren hier. Doch so einen Gestank haben sie noch nie erlebt. Überhaupt: Warum steht die MVA mitten in der Stadt?

Sie sind es ja gewohnt, in direkter Umgebung der Müllverbrennungsanlage zu leben. Was die Anwohner der umliegenden Viertel aktuell wahrnehmen, geht in ihren Augen aber über das erträgliche Maß hinaus. Es soll nämlich ziemlich stinken. Genau genommen schon seit zwei Jahren. Thomas Wojtek, selbst technischer Leiter in einem Pharmaunternehmen, lebt schon sein ganzes Leben an der Boeler Straße. „Aber so wie es zuletzt aus der Müllverbrennungsanlage stinkt, ist das nicht normal.“ Dass die Anlage mitten in der Stadt steht, ist überdies eine Hagener Besonderheit. Das hat Gründe.

„Ich lebe seit 57 Jahren hier. Aber so, wie das zuletzt aus der Müllverbrennungsanlage stinkt, ist es nicht normal““

Thomas Wojtek, Anwohner an der Boeler Straße

„Bei der Müllverbrennungsanlage steht die Bunkeranlage ständig offen. So wie ein Mülleimer ohne Deckel. Dieser Zustand besteht schon seit zwei Jahren. Durch den starken Wind wird der Gestank schön verteilt. Das Lüften der Wohnung oder Sitzen auf dem Balkon oder Garten ist durch den Gestank nicht zu ertragen. Beschwerden werden, glaube ich, nicht ernst genommen oder von der ignoriert. Ich sehe auch keinen Sinn darin, dass die Bunkeranlage offen stehen muss“, sagt Anwohner Thomas Wojtek. Er lebt seit 57 Jahren unweit der MVA. „Und nie war es so schlimm wie jetzt.“

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Blick auf eine Aufnahme, als der Hameckepark noch eine Mülldeponie war. Das Bild stammt aus dem Jahr 1985. Im Hintergrund ist die Müllverbrennungsanlage zu sehen.
Blick auf eine Aufnahme, als der Hameckepark noch eine Mülldeponie war. Das Bild stammt aus dem Jahr 1985. Im Hintergrund ist die Müllverbrennungsanlage zu sehen. © WP | Privat

Gestank auf der Boeler Straße

Das deckt sich mit der Meinung zweier alteingesessener Händler an der Boeler Straße: Angelika Lepak (35 Jahre hier), die das Zweithaar-Atelier an der Boeler Straße betreibt oder der Schneider Russo (44 Jahre) hier. „Es ist seit 1989, als ich mein Geschäft aufgemacht habe, definitiv schlimmer geworden“, sagt Angelika Lepak. „Vor allem in den letzten zehn Jahren. Sobald man einen Schritt nach draußen macht, ist der Geruch da.“ Das bestätigt auch der Schneider Russo, der aus guter Kundenfreundlichkeit gerne seine Tür offen stehen lässt: „So gestunken hat es vor 40 Jahren nicht.“

Die grafische Darstellung zeigt links eine Aufnahme aus den 50er-Jahren. Da war die Ziegelei Rath noch aktiv, die sich am Rande des heutigen Hameckeparks befand.
Die grafische Darstellung zeigt links eine Aufnahme aus den 50er-Jahren. Da war die Ziegelei Rath noch aktiv, die sich am Rande des heutigen Hameckeparks befand. © WP Hagen | Manuela Nossutta/Funkegrafik NRW

Was ist da los? Bei der MVA gibt es Erklärungsversuche. Dies kommuniziert Sprecherin Jacqueline Jagusch in die Öffentlichkeit: „Der Geruch kann aus ganz unterschiedlichen Quellen kommen. Dass es aus dem Bunker kommt, halten unsere Fachleute aber für unwahrscheinlich, denn dort wird mit Unterdruck gearbeitet, sodass die Luft nicht nach draußen strömt.“ Rund 120.000 Tonnen Abfälle werden jährlich in der (MVA) thermisch verwertet. Eine entscheidende Rolle nimmt dabei der Müllbunker ein, in dem die angelieferten Abfälle zwischengelagert werden. Mittels einer Krananlage (diese besteht aus jeweils zwei baugleichen Kranbrücken und dem dazugehörigen Greifer) werden die Abfälle innerhalb des Bunkers umgelagert, durchmischt und als Brennstoff den drei Verbrennungslinien zugeführt.

Aufnahme von 1956: Zu sehen ist links die ehemalige Ziegelei Rath aus weiten teile der Fläche, wo heute der Hameckepark ist. Schräg darüber die alexanderstraße. Über die Gleise führt noch die Vorgängerin der Fuhrparkbrücke. Unterhalb der Gleisanlagen führt die Brinkstraße her. Rechts wird sie zur heutigen Freiligrathstraße.
Aufnahme von 1956: Zu sehen ist links die ehemalige Ziegelei Rath aus weiten teile der Fläche, wo heute der Hameckepark ist. Schräg darüber die alexanderstraße. Über die Gleise führt noch die Vorgängerin der Fuhrparkbrücke. Unterhalb der Gleisanlagen führt die Brinkstraße her. Rechts wird sie zur heutigen Freiligrathstraße. © Stadtarchiv Hagen | Stadtarchiv Hagen

Krananlage nach 57 Jahren ausgetauscht

Das Originalteil jener Krananlage lief zuletzt 57 Jahre 24 Stunden am Tag, ehe es ausgetauscht werden müsste. Für den Austausch der ersten Kranbrücke musste beispielsweise ein großes Tor an der Seite des Müllbunkers geöffnet und die alte Brücke mit einem Autokran, der außerhalb der MVA aufgestellt wurde, aus der Anlage gehoben werden. Anschließend wurde die neue Kranbrücke auf die Kranbahn gehoben und in der Parkposition außerhalb des Bunkers weiter montiert. „Während dieser Arbeiten hatten wir das Rolltor des Bunkers geöffnet“, sagt Jacqueline Jagusch. „Das erklärt aber nicht, warum die Anwohner das Gefühl haben, es würde quasi dauerhaft schlecht duften.“

Austausch der Kranbrücken an der MVA Hagen im Februar 2024
Austausch der Kranbrücken an der MVA Hagen im Februar 2024 © HEB | Niklas Steneberg

Auch die Gullis duften mies

„Es gibt natürlich auch Anlieferungsunternehmen, die regelmäßig Dinge bringen, die nicht angenehm duften. Dazu kommt, dass wir einen Aschebunker haben, der auch nicht lecker riecht. Und: Im Bereich der Kanalisation an der Alexanderstraße leitet eine größere Firma Abwässer ein, was aus unserer Sicht ebenfalls für die Gerüche sorgen kann“, sagt Jagusch. Das zumindest deckt sich mit der Vorort-Wahrnehmung an der Boeler Straße und Am Loxbaum, wo es aus den Gullis zuletzt faulig roch. Roland Kapust, Kanalnetz-Chef beim Wirtschaftsbetrieb Hagen, erklärte auf Anfrage, dass es dafür eigentlich keine speziellen Gründe geben könnte.

Die Position der MVA in Hagen ist außergewöhnlich. Sie steht mitten in der Stadt. Als die Müllmengen nach dem Krieg immer größer wurden, erwarb die Stadt das Gelände der alten Ziegelei Rath, die auf weiten Teilen des Hameckeparks stand (siehe Grafik) und machte daraus eine Lagerkippe für Müll. Das war ab 1963. Schon damals litten die Eckeseyer und Boelerheider unter „Gärungsausdünstungen“. Der Mülldruck wurde immer größer und der Rat beschloss 1964 den Bau einer MVA am Pfannenofen, direkt neben der Kippe. Kosten damals: 11,5 Millionen D-Mark. Bei Einweihung 1967 sagte der verstorbene Ex-OB Lothar Wrede: „Das ist der Rettungsanker gegen die Müll-Lawine“.