Henkhausen. Ein letzter Rundgang durch ein Freibad, das 100 Jahre bestand. Über Liebe, Emotionen, Schweiß und das Heimatgefühl.
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Du bist das letzte Überbleibsel einer Art, für die die Menschen einst Begriffe wie Badeanstalt oder Strandbad schufen. Fast 100 Jahre hast du es geschafft. Nun prusten schwer bepackte Männer durch deine Hallen und Räume, durch dein Becken und deine Umkleiden und löschen dich von der Ortskarte. Was bleiben wird, sind Erinnerungen und Stolz. Ein letzter Brief an dich, liebes Freibad Henkhausen.
Man hat dir schon so oft diese Schwimmbadfarbe aufgetragen, dass du an einen dieser 100-mal überlackierten Krabbenkutter erinnerst, die immer noch halten und sich jede Nacht auf die Nordsee raus wuchten. Die Oberfläche in deinem leeren Becken sieht aus wie die Haut einer Mumie. Rissig, gespannt, alt. Der Beton an den Außenwänden ist spröde. Es hört sich an, als wenn ein Specht gegen einen Baum klopft, wenn man mit den Fingern dagegen tippt. Vermutlich ist dein Becken an keiner Stelle so tief wie an einer anderen. Das hier ist schließlich Handarbeit.
40.000 Liter mussten sie in der Badesaison täglich in dich hineinkippen, weil du sie verloren hast. Irgendwo hingesickert unter die Rasenflächen am Rand der Henkhauser Wälder, wo man so schön sitzt, wenn die Juni- oder Juli-Sonne sticht. Eine Pommes von Kikis Schlemmerimbiss auf der Hand, vielleicht eine Cola, wer möchte, auch ein Bier. Nebenan dieses grelle Prallen, wenn junge Hände gegen Beachvolleybälle schlagen. Und das Gekreische im Kinderbecken, das so hell nach neuem Leben klingt.
Alles hier ist selbstgemacht
Alles hier ist selbstgemacht an dir. Vor 100 Jahren. 1925 bis 1927 hat man dich erschaffen. Hineingebaut in die enge Schlucht des Hasselbachtales. Das idyllische Gewässer plätschert so friedlich neben dir her. Die alte Krananlage auf einem Podest aus Bordsteinplatten erinnert an die großen Wasserballzeiten in Hohenlimburg. Die Athleten mit Badekappe haben dich geschätzt. Du warst ihre Trainingsstätte, ihr Heimspiel, ihr Rahmen. Jede in die Holzbalken der Gasthaus-Terrasse gedrillte Schraube ist ein Stück Leidenschaft von jemandem, der für diesen Ort gebrannt hat, der helfen wollte.
Ein ewiges Fotoalbum
Nicht nur für sie, sondern den gesamten Hohenlimburger Schwimmverein, ist dein Ende schlimm. Wir sprechen oft mit denen. Immer wieder geht es um die Tradition, die Freundschaften, die langen Abende in der Sonne, das Zuhause-Gefühl, das du den Mitgliedern, den Familien und Freunden vermittelt hast. Schwimmen, feiern, knutschen, leben - echte puristische Freibäder wie du sind wie ein ewiges Fotoalbum, das all jene in Herz und Hirn mit sich tragen, die immer gern gekommen sind. Das Freibad ist die große gemeinsame Erinnerung aller Generationen.
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Sie haben Pipi in den Augen, wenn sie an das Ende denken. Gestandene, mitunter auch sehr betagte Männer, die jetzt traurig am Beckenrand stehen und zusehen, wie ein Abbruchunternehmen aus Bielefeld dir den Garaus macht. Es gibt fast 80-Jährige unter ihnen, die bis zuletzt hier gekloppt, malocht und ihren Mann und ihre Frau gestanden haben, damit du leben kannst. Damit Frühschwimmer frühschwimmen können. Damit Kinder hier Kinder-Dinge tun können. Damit du bist, was du immer warst: ein Freibad für alle. Das hat ihnen weh getan. Aber dein Fortbestehen war wie Wundsalbe. Wenn sie abends nach Badeschluss das Feierabendbier tranken, schloss sich immer wieder der ewige Kreis aus Arbeit und Genuss.
Zwischendurch ein Politikum
Dass man deinen großen steinernen Cousin, das Lennebad, nicht mehr sanieren kann, weil das viel zu teuer wäre, hat dich in die weite Hagener Öffentlichkeit katapultiert. Du warst plötzlich nicht mehr nur Erinnerungs-Schatzkiste, sondern auch Politikum. Du gegen das Lennebad, das war, was blieb. Dabei seid ihr beide so ortsbildprägend und ein Stück jener Infrastruktur, die die einstige Stadt Hohenlimburg ausmachte. Wenn ihr geht - und das tut ihr -, geht auch das. Für immer.
Aber sieh es so. Ohne dein Ende gäbe es keinen Anfang. Hätte die kleine und so tüchtige Armee an Ehrenamtlichen dich nicht 100 Jahre am Leben gehalten bis zum heutigen Tag, dann hätte es die Chance, hier ein Ganzjahresbad nach modernen Maßstäben zu bauen, nie geben können. Ja sicher, man hätte vielleicht das Lennebad saniert oder dort neu gebaut. Aber darum geht es jetzt nicht mehr. Der Neubau am Hasselbach wird dein Vermächtnis sein. Und wenn sie klug sind, die Stadtoberen und die Menschen vom Schwimmverein, dann würdigen sie deine Geschichte am neuen Ort. Mit Bildern, Relikten und Erinnerungen.
Freibad wird Mythos
Die Zeit verklärt ja alles. In zehn oder 20 Jahren wird das ganze Gezerre um Bau- und Sanierungskosten, das Für und Wider von Abrissen und Neubauten für niemandem mehr präsent sein. Es wird dann so sein, wie in Haspe mit dem alten Stadtbad. Oder wie in Boele, wo es ebenfalls ein so schönes Stadtbad gegeben hat. Oder am Ischeland. Die Menschen werden ihren Mythos stricken und um dich wird sich teilweise eine so wehmütige Weißt-du-noch-Erzählung winden. Henkhausen, ja, das war noch ein Freibad. Ohne Schnickschnack, ohne Extras - einfach Henkhausen.
„Wohlan denn Herz, nimm Abschied und gesunde“, heißt es in Hermann Hesses Gedicht „Stufen“. Und ebenda: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“