Hagen. Ein Lebenswerk geht für 68.500 Euro weg. Die Gewinner teilen die Beute noch vor Ort auf. Zugehört bei einer Zwangsversteigerung in Hagen.
Einer, der gar nicht mitbietet, drückt seine Schneidezähne die ganze Zeit unter seine Fingernägel, so als sei er nervös. Zwei langhaarige Männer daneben checken emsig etwas auf ihren Smartphones. Einer von ihnen war schon bei Rechtspfleger Martin Roth vorne und war drauf und dran, eine Sicherheitsleistung zu hinterlegen. Auf die Frage, wie viel er bieten wolle, sagt er „nix“. Er wolle nur gucken, ob die Sicherheitsleistung okay wäre. Ein älterer Herr mit etwas, zu dem man wohl Anorak sagt, folgt darauf, zeigt einen Scheck vor, sagt ziemlich laut „58.000 Euro“ und guckt so in die Zuhörerreihen, als wenn er sagen wolle „Kommt doch, wenn ihr könnt.“ Der Regen vor dem Fenster mit Marmorfensterplatte und diesen schrecklichen Lamellen, die auch in Zahnarztpraxen als Gardinen dienen, passt zum Anlass. Hier geht ein Lebenswerk über die Rampe. Für Kleingeld.
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Wir wissen nichts über das Haus in der Dorfstraße in Berchum, außer, dass die Lage bevorzugt ist und es bei dem ganzen Fall um eine Nachlassinsolvenz geht. Ein hagerer Mann, der augenscheinlich sehr angespannt ist, sitzt da, wo im Amtsgericht oft Angeklagte sitzen. Er ist aber nicht angeklagt, sondern ein Bausparkassen-Mensch und Gläubiger-Vertreter. Er will möglichst viel Geld rausholen. Das Haus in Berchum hat 200 Quadratmeter Wohnfläche und zwei eingetragene Grundschulden über insgesamt 128.000 Euro. Rechtspfleger Martin Roth klärt auf: Wer den Zuschlag erhält, übernimmt lastenfrei. Nichts mehr mit Grundschulden. Wie einfach.
Auf keinen Fall verschleudern
Termine wie dieser gehen jeden Monat vonstatten im Amtsgericht Hagen. Zwangsversteigerungen. Wenn es zu so einem Termin kommt, ist das Schuldenkind schon so tief in den Brunnen geplumpst, dass das Haus oder die Wohnung verhökert werden muss, um Gläubiger annähernd zu bedienen. „Verhökern“ wird Rechtspfleger Martin Roth nicht gerne hören. Er hatte vor knapp 20 Minuten noch erklärt, verhindern zu wollen, dass das Objekt verschleudert werden. Der Schuldner könne dann Vollstreckungsschutz beantragen. Als Laie muss man aber feststellen: es ist Verhökern. Und gefühlt kurz vor Verschleudern.
30 Prozent des festgesetzten Verkehrswertes müssten schon auf den Tisch, heißt es. An diesem regnerischen Tag sind das 47.700 Euro. Für ein Haus, für das Menschen vermutlich mal neben Krediten auch schlaflose Nächte, Kraft, Ideen und Herzblut gegeben haben. Traurig wirkt das. Und bizarr. Denn in dieser Stadt, die nun wahrlich nicht zu den schärfsten Wohnpflastern gehört, wo jeder hinziehen will, kosten Eigentumswohnungen schon mal schlappe 200.000 Euro. Den Traum vom Allerweltseigeheim bezahlt man auch schon mal mit einer halben Million. Oder mehr.
Man macht gemeinsame Sache
Warum gehen dann nicht viel mehr Menschen zu Zwangsversteigerungen und schnappen sich auf dem Altar der Ruinierten ein Häuschen? Das ist leicht. Weil sie nicht so abgezockt und rational sind, wie der kernige Mittfünfziger mit Thermojacke und eine Dame, höchstens Ende 30, mit geglättetem Haar, langen pinken Fingernägeln und Designer-Handtasche, die durch ihre großen runden Augen seit Versteigerungsbeginn so teilnahmslos geblickt hat, als würde sie nur auf den Bus warten. Sie, von einer Immobiliengesellschaft, und er, ein Immobilienentwickler, sind die letzten Kontrahenten, die sich nur ganz kurz hochbieten und den Anorak-Mann mit Cowboy-Attitüde zum Aufgeben gezwungen haben.
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Bei 66.000 Euro murmelt er, der hier eine Bietergemeinschaft aus zwei Leuten vertritt, sie plötzlich an: „Wollen wir das Ding nicht zusammen machen?“ Sie hakt nach, er reagiert: „Jeweils 25 Prozent für die beiden aus meiner Bietergemeinschaft und 50 Prozent für deine Firma.“ Sie nickt. Gemeinsam rufen sie ihr Gebot in den Saal. Martin Roth unterbricht die Sitzung, prüft ob der Deal geht. Als er wieder eröffnet, sind alle Mietbietenden abgehängt. Dame und Herr erhalten den Zuschlag für ein Einfamilienhaus mit Sanierungsstau und tiefen Decken in 1A-Lage dieser Stadt für 68.500 Euro.
Nachfrage bei den Gewinnern
Nachfrage bei den Gewinnern. Wie kann man sich so schnell vertrauen und was ist der Plan? „Das Grundbuch sichert uns ab“, sagt sie trocken. „Wir machen die Hütte wieder fit und verkaufen sie“, sagt er. Das Bild vom schnellen Geld wird mehrfach im Dialog bemüht. Das sei ein Top-Preis, finden beide. Sie haben das Haus nie betreten, es nie gefühlt, darin gerochen oder sich umgesehen. Die Geschichte ist egal. Die Schaffung eines Stellplatzes beschließen sie noch hier im Saal.
Hagen gehört in NRW zu den Städten mit dem höheren Anteil an Privatinsolvenzen. Knapp 13 waren es pro 10.000 Einwohner im Jahr 2022 laut Landesamt für Statistik. Knapp 6500 Objekte – die meisten davon Ein- und Zweifamilienhäuser – wurden zwangsversteigert. Teilnehmen kann daran jeder, der geschäftsfähig ist und vor Ort eine Sicherheitsleistung in Form eines Schecks oder einer Bürgschaft zum Beispiel erbringen kann.