Buschey.. Der Tod, das Leben und alles was dazwischen liegen mag. Der Buschey-Friedhof ist ein außergwöhnlicher Ort in Hagen. Wir sind mit Elisabeth May dort spazieren gegangen. Eine beeindruckende Zeitreise.
Machen wir die Augen zu und reisen. In die Tage um den Ostermontag des Jahres 1810. Wir stehen auf einem kleinen Friedhof in der Bauernschaft Wehringhausen.
Das hier ist außerhalb der Stadt.
Es ist weg vom Leben.
Ein Ort des Todes.
Jetzt öffnen wir die Augen. Und stellen fest, dass der Tod und das Leben ganz nah beieinander sind. Das herüber klingende Hupkonzert vom Bergischen Ring zeugt davon und schickt einen dumpfen Gruß an die Wege, an denen Menschen begraben liegen, die dieser Stadt einen Stempel aufgedrückt haben. Aber auch Bürger, die es nicht im gleichen Maße in die Geschichtsbücher geschafft haben. Ein Spaziergang an einem der kulturhistorischsten Orte Hagens. Der Buschey-Friedhof: Tod, Leben und alles, was dazwischen liegen mag.
Orte führen Dasein unter Wert
Es ist wie mit so vielen Orten in dieser Stadt, die etwas ganz Besonderes, etwas Anziehendes haben. Wir wissen, dass es sie gibt, aber wir suchen sie viel zu selten auf. Und so führen diese bezaubernden Plätze ein Dasein unter Wert. Der älteste Friedhof der Stadt gehört dazu. Fast schon schnöde, wie der Bergische Ring, auf dem eigentlich nur wenige spazieren gehen, kaschiert, dass hinter den roten Außenmauern des Friedhofs nicht nur alte Eichen, Linden und Ulmen stehen, sondern Geschichte unfassbar viele Fäden spinnt. Und wie die Großstadt durchzuatmen scheint.
„Kein anderer Ort dieser Stadt vereint so facettenreich geschichtliche Aspekte wie der Buschey-Friedhof“, schreibt die Frau in ihrem Buch, die diesen Friedhof kulturgeschichtlich bis in die letzten Gänge erforscht hat: Elisabeth May. Wir sind mit ihr hier.
Die preußische Regierung hatte 1810 angewiesen, Friedhöfe nur noch außerhalb bewohnter Gebiete anzulegen. Unter napoleonischer Besatzung setzte der Hagener Bürgermeister Carl Ludwig Christian Dahlenkamp diese Anweisung um. Die Stadt wählte ein Gelände auf Wehringhauser Gebiet aus. Damals Bauernschaft außerhalb der Stadt.
May steht vor dem Grabstein von August Kuth. Nicht zu wissen, wer Kuth war, mag unter Hagener Kunst-Kennern ein Naserümpfen hervorrufen. Tatsächlich aber ist sein Grabstein heute fast noch etwas bekannter als Kuth selbst. Weil der niederländische Architekt Johannes Ludovicus Mathieu Lauweriks (gestorben 1932) ihn entworfen hat.
Lauweriks, der von Karl-Ernst Osthaus 1909 nach Hagen geholt wurde, galt mit seiner Art des Entwerfens nach Systemen weltweit als Koryphäe und ist heute als Vorreiter der DIN-Normen anzusehen.
Heimliche Pilgerstätten
Die sichelförmigen Linien auf dem Grabstein, Gestaltung und Anordnung der Schrift sind beeindruckendes Beispiel von Lauweriks Maßsystem. Das Grab gilt deshalb als heimliche Pilgerstätte für Kunst- und Architekturinteressierte.
Die Sonne lächelt durch die noch spärlich mit Blättern behangenen Kronen der Bäume. Manche Gräber leuchten in ihren Strahlen auf, andere verschwinden im Schatten.
Die Sonne scheint an diesem Tag aber zum Beispiel nicht auf das Grab von Liselotte Funcke. Es ist so klein, so auffällig unauffällig, dass man nicht vermutet, dass hier eine große Liberale der deutschen Nachkriegsgeschichte ruht, sondern ein ganz normaler Bürger. Was gut sein könnte, denn auch weniger bekannte Hagener als Funcke, die Eltern von Karl-Ernst-Osthaus, die Familie Elbers, die Familie Moll oder der einstige Bürgermeister Dahlenkamp liegen hier begraben. Die Familiengruft der Dahlenkamps liegt heute übrigens wenige Meter von der Feuerwache Mitte entfernt. Wenn dort die Sirenen heulen, heult die kleine Gedenkhalle mit.
Die Großstadt pumpt unentwegt Autos vorbei entlang der alten Friedhofsmauern. Der Schall prallt gegen die alten Ziegeln und verrauscht dann in der Luft. Auf der anderen Seite der Mauern hingegen herrscht weitgehend Ruhe. Das hier ist ein Ort der Entschleunigung inmitten einer lauten Welt, die viel zu wenig Raum dafür lässt, den Fuß vom Gas zu nehmen.
„Im ausgehenden 19. Jahrhundert entsteht im Zuge der Industrialisierung der Geldadel“, sagt Elisabeth May und richtet ihren Blick auf die unterschiedlichen Trauerkulturen am Buschey. Jener Geldadel will noch an den Hochmutsalleen – wie man die Reihen nennen kann, an denen er begraben liegt – zeigen, wie vermögend er war. „Die Grabstätte Eduard Elbers gehört dazu“, sagt May. Prunkvoll und hochtrabend.
Nach dem ersten Weltkrieg hält die Ernüchterung Einzug auf Hagens ältestem Friedhof. Angesichts zahlreicher grauenhafter Massentode entsteht eine private und intime Trauerart. Das Grab von Wilhelm Funcke – im damaligen Volksmund Schruwen-Wilhelm genannt – , dem Gründer der einstigen Schraubenfabrik Funcke und Hueck, zeugt davon. An der Dahlenkamp-Gruft (eingeweiht 1881) lassen sich Einflüsse der napoleonischen Herrschaft erkennen. An der Elbers-Gruft sind es Einflüsse der griechischen Architektur. An der ehemaligen Elbers-Grabstätte, unter der heute keine Mitglieder der Familie Elbers mehr ruhen, sondern Hagener Bürger in Urnen beigesetzt sind, spürt man am deutlichsten, wie nah sich Friedhof und Stadtleben heute sind. Die Gruft und die Balkone an einer Wohnhauszeile an der Lange Straße stehen keine zehn Meter auseinander.
Spuren frühester Ökumene
Der einstige Gottesacker spiegelt den sozialgeschichtlichen Wandel von einer vom Adel und Klerus dominierten Welt hin zu einer bürgerlichen Gesellschaft wider. Und noch dazu ist er sowas wie die Keimzelle frühester Ökumene in Hagen. Als das Areal am Ostermontag 1810 eingeweiht wurde, wurde es nämlich nicht zum Eigentum der Stadt, sondern der lutherischen, der katholischen und der reformierten Kirchengemeinden. Bis heute fasst die Friedhofskommission einstimmige Beschlüsse – sonst überhaupt nicht.
Ein Windstoß fegt über den Friedhof und rauscht gegen die alten Außenmauern, die direkt an die Wohnbebauung der Lange Straße und der Christian-Rohlfs-Straße grenzen. Das Denkmal Buschey-Friedhof stößt hier an die Gegenwart. Die Sonne blinzelt jetzt wieder durch die Wolken, wirft ihre Strahlen nun auf andere Gräber. Die historische Atmosphäre macht Lust darauf, weiter durch die Gänge zu spazieren. Entlang der weniger bekannten Hagener, entlang der Hochmutsalleen mit den großen Industriellen ihrer Zeit.
Eine Erkenntnis reift: Man müsste öfter herkommen. Viel öfter.