Menden/Fröndenberg. Um seine Frau zu schützen, will der demenzkranke Senior nachts den vermeintlichen Einbrecher aus dem Schlafzimmer vertreiben.
Schon länger hatte Cornelia Büse den Eindruck, dass mit ihrer Mutter etwas nicht stimmte. Irgendwann wurde aus dem Bauchgefühl Gewissheit. Und dann kam die Diagnose: Ihre Mutter hatte Demenz. Seither ist das Thema Cornelia Büses Steckenpferd. Die 65-jährige Fröndenbergerin unterstützt betroffene Familien - und verrät, warum Spiegel für Demenzkranke schlimm sein können.
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Angefangen hat alles mit persönlichen Demenz-Sprechstunden, die Cornelia Büse anbot. Daraus hat sich dann die Selbsthilfegruppe „Leben mit Demenz in Fröndenberg“ entwickelt. Nicht alle, die Interesse an der Gruppe haben, können jedes Mal teilnehmen, erklärt Cornelia Büse. „Manche haben Schwierigkeiten, jemanden zu finden, der sich um die Demenzkranken in der Zeit kümmert, wenn sie nicht zu Hause sind“, weiß Cornelia Büse.
„Demenzkranke sind Weltmeister im Vertuschen.“
Cornelia Büse entdeckte beim Einkaufen mit ihrer Mutter, dass diese Wörter auf dem Einkaufszettel falsch geschrieben hatte: „Aier“ statt „Eier“ zum Beispiel. „Oder sie hat Butter und Milch verwechselt.“ Irgendwann bat die Mutter darum, dass die Tochter den Einkaufszettel schreiben solle: Sie habe Schmerzen in der Hand und könne deshalb nicht schreiben. Später dann wollte die Mutter gar nicht mehr mitkommen. „Wir sind sonst immer zusammen in den Supermarkt gegangen“, erinnert sich Cornelia Büse. Im Rückblick erkennt sie viele Situationen, die auf Demenz hindeuteten. „Aber Demenzkranke sind Weltmeister im Vertuschen“, sagt die Fröndenbergerin. „Sie wollte nicht mit zum Einkaufen, weil sie Angst hatte, jemandem zu begegnen, den sie eigentlich kannte, aber nicht mehr erkannte.“
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Auch die Waschmaschine der Mutter sei angeblich immer defekt gewesen, erzählt Cornelia Büse. Tatsächlich allerdings wusste die Mutter schlichtweg nicht mehr, wie sie die Waschmaschine bedienen sollte. Stattdessen entdeckte Cornelia Büse, dass ihre Mutter damals Unterwäsche im Kochtopf auswusch: „Und das ist mehrmals vorgekommen.“
Bei der Beerdigung ihrer Mutter hörte Cornelia Büse, dass die Seniorin zur Chorprobe bisweilen schon am frühen Nachmittag parat stand: „Das fing aber erst abends um 19 Uhr an.“
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Versteckspiel beginnt, bis die Krankheit nicht mehr vertuscht werden kann
Demenziell Erkrankte spüren relativ früh, dass „irgendetwas nicht stimmt“, beschreibt Cornelia Büse. „Sie können Buchstaben nicht auseinander halten. Lesen, schreiben und rechnen fällt schwer.“ Und dann beginnt oft das Versteckspiel – „so lange, bis sie es nicht mehr vertuschen können“. Werden die Erkrankten darauf angesprochen, „wird alles geleugnet, bagatellisiert, die Schuld bei anderen gesucht“. Irgendwann könne das Ganze dann in Aggression umschlagen, „weil sie sich bloßgestellt fühlen“.
Scham ist oft groß
Die Scham sei oft groß – erst bei den Betroffenen selbst, später dann bei den Angehörigen. Der Demenzkranke entwickele sich zurück zum Kleinkind: „Manche schämen sich dann, mit dem Kranken rauszugehen, weil er sich ja zum Beispiel auf der Straße ausziehen könnte, wenn es ihm zu warm ist“, erläutert Cornelia Büse. „Oder sie pupsen am Tisch, bohren in der Nase, essen mit Fingern.“
„Ein Ehemann sucht verzweifelt nach der Pille, die seine Frau zurückbringt. Aber die gibt es leider nicht. Es ist ein Abschied auf Raten.“
Besonders schmerzhaft sei für Angehörige oft das Verschwinden der Persönlichkeit des geliebten Menschen. „Ein Ehemann sucht verzweifelt nach der Pille, die seine Frau zurückbringt“, erzählt Cornelia Büse aus ihrer Beratungsarbeit. „Aber die gibt es leider nicht. Es ist ein Abschied auf Raten.“
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Struktur im Alltag ist wichtig
Die gelernte Industriekauffrau Cornelia Büse möchte Betroffene und Angehörige mit ihrer Beratung und ihren Tipps unterstützen. Die 65-Jährige hätte sich in ihrer eigenen Situation als Tochter einer an Demenz erkrankten Mutter jemanden gewünscht, der sie beraten hätte. „Zum Beispiel wusste ich nicht, dass man – wenn eine Demenz diagnostiziert wird – einen Schwerbehindertenausweis beantragen kann“, erläutert Cornelia Büse. Auch eine Vorsorgevollmacht sei immens wichtig. Struktur im Alltag könne Demenzkranken helfen. Und es sei wenig hilfreich, Vorwürfe zu machen, bei Fehlern immer wieder nachzufragen.
Mann schlägt mit der Krücke auf sein eigenes Spiegelbild ein
Angehörige sollen sich in der Selbsthilfegruppe austauschen können. Manchmal helfe es, wenn andere erzählen, dass sie vergleichbare Erlebnisse hatten. Oder sie profitieren von Hinweisen – zum Beispiel der Warnung vor Spiegeln: Als ein demenzkranker Ehemann nachts zur Toilette gehen wollte, erblickte er im Spiegel des Kleiderschranks einen Mann. Er suche seine Krücke, schlug damit immer wieder auf sein eigenes Spiegelbild ein – „um seine Frau vor dem Einbrecher zu schützen“, wie Cornelia Büse erzählt. Demenzkranke erkennen sich dann nicht mehr selbst, vermuten einen Fremden im Haus, im Badezimmer, im Schlafzimmer. „Wenn man das weiß, kann man die Spiegel abnehmen“, erklärt Cornelia Büse.
Mutter starb sechs Monate nach der Demenz-Diagnose
Cornelia Büses Mutter lebte nur rund sechs Monate, nachdem sie die Diagnose Alzheimer bekommen hatte. Cornelia Büse vermutet, dass ihre Mutter tatsächlich allerdings an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit litt: „Sie hat immer sehr viel Rindfleisch gegessen und Jahrzehnte in einer Fleischerei gearbeitet.“
Cornelia Büses Selbsthilfegruppe trifft sich im Allee-Café in Fröndenberg. Darüber hinaus hat sie eine weitere Gruppe in Unna ins Leben gerufen. Eine dritte Gruppe soll zeitnah in Menden gegründet werden. Außerdem hält Cornelia Büse am 4. September einen Vortrag zum Thema „Demenz erkennen, verstehen, reagieren“ (18 Uhr, Paul-Gerhardt-Haus, Menden). Die Fröndenbergerin hat kürzlich den gemeinnützigen Verein „Bürgerhilfe Demenz“ aus der Taufe gehoben. Kontakt und weitere Infos: www.buergerhilfe-demenz.de, Telefon 02373-6887919, buese-cornelia@outlook.de