Fröndenberg. Wioletta Wyrwol folgen Millionen Menschen in Sozialen Netzwerken. 86 Operationen hat sie hinter sich und erzählt ihre Geschichte.
Nummer 86. Wieder eine Operation mehr auf der langen Liste von Wioletta Wyrwol. Und wieder zeigt sich die 44-Jährige online unverblümt und echt, um anderen Menschen Mut zu machen. Sie nimmt die Zuschauer ihrer Social-Media-Kanäle mit ins Krankenzimmer, zeigt die Minuten direkt nach dem Aufwachen, den dicken Verband an ihrem Stumpf und die Wunddrainage am Bein. „Ich bin nicht anders“, sagt sie entschlossen. „Mir fehlt nur ein Arm.“ Die einarmige Löwin, wie sie sich selbst nennt, gibt nicht auf und erzählt im WP-Gespräch, was sie aktuell beschäftigt. Denn „nur“ mit der OP ist es nicht getan. Die richtige Arbeit beginnt erst jetzt.
„Die OP hat viereinhalb Stunden gedauert und hat mich ziemlich umgehauen.“
Seit 2019 lebt Wioletta Wyrwol ohne ihren rechten Unterarm. Die Amputation war ihr sehnlichster Wunsch nach einer jahrelangen Leidensgeschichte, die sie mittlerweile im Internet mit ihren Followern teilt. Aber auch nach der Amputation kommt es hin und wieder zu Komplikationen. So war jüngst erneut eine Operation nötig. Nummer 86. „Die OP hat viereinhalb Stunden gedauert und hat mich ziemlich umgehauen“, erinnert sich die Dreifachmama. Das war im Dezember 2023. „Das hat mich viel Kraft und Mut gekostet.“ Drei Knoten wurden aus ihrem Stumpf entfernt und ein Muskel aus ihrem Oberschenkel entnommen, der wiederum im Stumpf eingesetzt wurde. Immer wieder hatte sich ihr Stumpf entzündet und Probleme bereitet. Nun heilen die neuen Wunden ab.
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Prothese muss verändert werden: Steuerung wieder neu lernen und üben
Das Tragen ihrer Prothese war zuletzt nur unter Schmerzen möglich - aktuell funktioniert es allerdings gar nicht. Denn ihre Funktionsprothese ist ein Unikat und ganz genau an ihren Stumpf angepasst. Doch da sich dieser durch die Operation verändert hat, muss auch der Schaft der rund 90.000 Euro teuren Prothese angepasst werden. „Letzte Woche hatte ich einen Gipsabdruck für den neuen Prothesenschaft und ich hoffe, dass ich diesen schon nächste Woche bekomme“, sagt Wioletta Wyrwol. Diese soll dann bunter werden, einen Farbverlauf haben und - natürlich - auch wieder Glitzer. Wenn schon, denn schon. Der neue Schaft wäre für Wioletta Wyrwol ein großer Schritt. Denn ohne Prothese ist der Alltag deutlich komplizierter zu stemmen, als mit dem wertvollen Hilfsmittel.
Gesteuert wird die Prothese über zwei Senoren. Insgesamt gibt es zehn mögliche Griffmuster. Dafür muss die Fröndenbergerin ihre Muskeln im Stumpf entsprechend bewegen. Das sei gar nicht so einfach, erklärt die 44-Jährige. „Wie komme ich klar mit der Muskulatur?“, fragt sie sich oft. Und auch wenn sie bald den neuen Schaft für die gewohnte Roboterhand erhält, muss sie quasi wieder bei Null anfangen und alle Bewegungen üben. Einfach überstülpen und benutzen - so funktioniert es nicht. Um die Prothese eigenständig anlegen zu können, verwendet Wioletta Wyrwol eine Art Strumpf als Anziehhilfe. Grundsätzlich, so erzählt sie, bedarf es viel Übung, um die Prothese nutzen zu können - und Hartnäckigkeit obendrein. Denn auch der Weg zur von der Krankenkasse bezahlten Prothese sei für viele Betroffene ein steiniger.
„Ich würde mich nicht Influencer nennen, eher Sinnfluencer.“
Hindernisse im Alltag mit Tricks überwinden, so gut wie möglich
Anders als bei einer Schmuck-Prothese kann die Funktionsprothese bewegt werden. Einzelne Finger kann Wioletta Wyrwol mit ihrem Modell aber nicht ansteuern. Und auch sonst kommt ihre liebevoll gestaltete Prothese manchmal an ihre Grenzen. So ist ihr derzeitiges Modell beispielsweise nicht wasserdicht. Einfachste Tätigkeiten, wie das Abwaschen eines Apfels im Küchenwaschbecken, sind also nicht möglich. Deshalb wünscht sie sich ein neueres, wasserdichtes Modell. „Die Krankenkasse bezahlt alle fünf Jahre eine Prothese“, sagt sie. Knapp ein Jahr muss sie noch warten, bis es für sie wieder soweit ist. Für viele alltägliche Herausforderungen hat sich die Fröndenbergerin Hilfsmittel besorgt. So nutzt sie in der Küche beispielsweise ein spezielles Brettchen, auf dem sie Lebensmittel befestigen kann, um sie dann leichter schneiden zu können.
Doch es gibt auch Dinge, auf die die 44-Jährige verzichten muss. So kann sie nicht mehr als Erzieherin arbeiten, fährt sie kein Auto mehr und auch ihrem früheren Hobby, dem Malen, kann sie nicht mehr nachgehen. Durch ihre Erkrankung hat sie einige Freunde und Bekannte verloren. Ihr Mann und ihre drei Söhne stehen jedoch immer an ihrer Seite und helfen ihr im Alltag, zum Beispiel beim Rasieren. „Und mein Sohn macht mir jeden Morgen die Haare“, sagt Wioletta Wyrwol und lächelt. Sohn Samuel (16) zuckt nur mit den Schultern. „Das ist selbstverständlich für mich.“
Selbstbewusstsein durch Social Media gestärkt
Wioletta Wyrwol hat zwar ihren Arm und damit verbundene Freiheiten verloren, doch ihr Selbstbewusstsein mittlerweile zurückgewonnen. „Schuld“ daran ist ebenfalls Sohn Samuel. Er postete ein Video von seiner Mama in ihrer schwersten Zeit auf Tiktok und zeigte sie so, wie sie sich in dem Moment selbst nicht sehen konnte: als einarmige Löwin. Eine starke Frau. Das kurze Video ging viral. Millionen Menschen sahen es. In der Onlinewelt ist die Dreifachmama aus Fröndenberg mittlerweile ein Star: 3,2 Millionen Likes auf TikTok, 564.000 Abonennten innerhalb weniger Monate auf Youtube und 99.300 Follower auf Instagram. Täglich füttert sie ihre Kanäle mit Inhalten und zeigt, wie sie alltägliche Hürden überwindet, welche Themen sie bewegen oder wie sie sich stylt. „Ich würde mich nicht Influencer nennen, eher Sinnfluencer.“ Auch ein eigenes Buch, ihre Biografie, hat sie vor wenigen Monaten veröffentlicht und mithilfe ihrer Reichweite, gemeinsam mit einer anderen Influcencerin, Spenden für den Bau mehrerer Brunnen in Afrika organisiert.
„Bei einem YouTube-Event wurden wir erst belächelt“, erzählt die 44-Jährige. Was will die einarmige Mutter denn hier? Doch beim Blick auf ihre Zahlen änderte sich die Wahrnehmung. Sie erhält sogar eine silberne Auszeichnung von YouTube für eine halbe Million Follower. Ihr nächstes Ziel ist es jetzt, auch die goldene Auszeichnung für eine Million Abonennten zu bekommen, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Hinter den meisten Influencern stehe ein komplettes Team. Bei ihr sei es ausschließlich ihr Sohn Samuel, der ihre Videos bearbeite und sie manage. „Ich mache mir da keinen Kopf und sehe das als Hobby.“ Ein Hobby, das auch Geld in die Familienkasse spült. Aber vor allem helfe es ihr, mit ihrem Schicksal klarzukommen. „Es tut mir gut. Ich fühle mich dadurch gut.“
„Es tut mir gut. Ich fühle mich dadurch gut.“