Gevelsberg/Ennepetal/Schwelm. Nach dem Schwelmer Mord: Wenn man als häusliche Gewalt mitbekommt, ist man oft ratlos und überfordert. Das empfehlen heimische Experten.
Der Femizid in Schwelm, bei dem im Februar 2024 eine Frau mit 34 Messerstichen brutal auf dem Garagenhof ihres Wohnhauses von ihrem Noch-Ehemann getötet wurde, sorgte in der Region für Entsetzen. Auch der langwierige Prozess am Hagener Landgericht, bei dem immer wieder schreckliche Details aus der häuslichen Situation des Ehepaares Thema waren, beschäftigten die Bürgerinnen und Bürger aus Schwelm und den Nachbarstädten monatelang.
Ihr Peiniger und Mörder ist nun zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden und immer wieder stellte sich die Frage: Hätte jemandem auffallen können, dass die Frau um ihr Leben fürchten musste? Hätte die schreckliche Tat verhindert werden können? So äußern sich Experten dazu, wie man sich am besten verhält, wenn man die Vermutung hat, dass jemand Opfer häuslicher Gewalt wird.
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Häusliche Gewalt und Gewalt gegenüber Frauen sind nämlich keine Ausnahme, sondern ein verbreitetes Problem in unserer Gesellschaft – auch hier im Ennepe-Ruhr-Kreis. Nicht nur die betroffenen Personen leiden extrem, auch Angehörige oder Freunde, die etwas mitbekommen oder einen Verdacht haben, fühlen sich oft überfordert dahingehend, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Sven Flügge vom Opferschutz der Kreispolizeibehörde Ennepe-Ruhr und Stephanie Kattenborn von der Gesine-Frauenberatung mit Sitz in Schwelm erklären, auf welche Warnsignale man als Außenstehender achten sollte und wie man sich in unterschiedlichen Szenarien verhalten kann.
Mögliche Warnzeichen erkennen
Anzeichen dafür, dass jemand in einer gewalttätigen Beziehung lebt, kann es für ein aufmerksames Umfeld viele geben. Betroffene würden oft abwesend, oft bedrückt, oft ängstlich wirken. Häufig seien auch starke Gewichtsveränderungen bemerkbar, sagt Stephanie Kattenborn. Das Problem hierbei: „Das kann natürlich auch auf viele andere Dinge hindeuten.“
Ein relativ eindeutiges Warnsignal sei hingegen, wenn sich eine Person im Laufe einer neuen Partnerschaft langsam immer mehr von seinem bisherigen Umfeld zurückziehe. Wenn man beispielsweise mitbekommt, dass eine Freundin immer abklären muss, ob sie etwas darf oder nicht, wenn ständig Kontrollanrufe vom Partner kommen und immer häufiger Ausreden vorgeschoben werden, um Treffen zu vermeiden, sollten laut Stephanie Kattenborn die Alarmglocken angehen. Eine Situation, die auch zahlreiche Zeugen vor Gericht aus der Ehe der Getöteten mit ihrem Ehemann schilderten.
Das Gleiche gelte für äußerliche Verletzungen. Insbesondere, wenn diese häufiger auftreten. Betroffene würden laut Sven Flügge oft Ausreden vorlegen, die beim genaueren Nachdenken unlogisch erscheinen. „Sie haben zum Beispiel kein blaues Auge, wenn sie wirklich vor einen Türrahmen laufen. Dann hat man vielleicht eine Beule an der Stirn.“
Beratung auch für das Umfeld möglich
Die Frauenberatung betreut nicht nur Betroffene, sondern bietet auch eine spezielle Beratung für deren Umfeld an. „Das kann die Mutter sein, die sich Sorgen um die Tochter macht oder die Arbeitskollegin, die etwas mitbekommen hat“, erzählt Stephanie Kattenborn. Mal sei es ein leiser Verdacht, mal eine ganz konkrete Sache. Entsprechend variieren die Anliegen und Sorgen der Menschen, die sie durch so ein Beratungsgespräch unterstützt. Eigentlich immer gehe es dabei aber um die Frage, wie man der Person richtig helfen kann.
Und genau das ist eine sehr komplexe Aufgabe. „Wenn die Person selbst Hilfe sucht und möchte, dann kann man konkret etwas tun“, sagt Stephanie Kattenborn. Ansonsten sei es sehr schwierig. „Für Betroffene ist es oft ein langer Prozess, sich aus so einer Beziehung zu lösen. Das ist mit vielen Überlegungen und Ängsten verbunden.“ Für das Umfeld kann es eine extrem belastende und frustrierende Situation sein, wenn die angebotene Hilfe nicht angenommen wird oder Dinge von Betroffenen geleugnet werden.
„Die nächste Chance kommt, und die kommt so sicher wie das Amen in der Kirche.“
Eine Frustration, die auch Sven Flügge vom Opferschutz gut kennt. „Das muss man dann als Polizist auch aushalten können“, sagt er über Betroffene, die immer wieder zu ihrem Partner zurückkehren. Man könne die Dinge nur so akzeptieren, wie sie sind, und am Ball bleiben. Denn die traurige Wahrheit: „Die nächste Chance zur Gewalt kommt, und die kommt so sicher wie das Amen in der Kirche.“ Gewalttätige Partner würden sich nicht ohne Weiteres ändern.
Trennung fällt Betroffenen oft schwer
Für Außenstehende ist es oft unbegreiflich, warum Frauen jahrelang Leid ertragen und es trotzdem nicht schaffen, sich zu trennen. Gründe dafür kann Sven Flügge viele nennen: Emotionale Abhängigkeit, wirtschaftliche Abhängigkeit, ein falsches Verantwortungsgefühl gegenüber dem Partner, Angst vor Ansehensverlust in der Öffentlichkeit, erlerntes Verhalten aus der Kindheit, und bei vielen Frauen ginge es auch darum, den eigenen Kindern den Vater nicht nehmen zu wollen.
„Irgendwann wachen die Frauen auf und denken: ‚Ich bin eine Gefangene hier!‘“
Es sei ein langwieriger und schwieriger Prozess. Gewalttätige Partner würden sukzessive immer mehr Druck aufbauen, sodass ihre Opfer zu Beginn nicht merken, wie gefährlich die Beziehung für sie werden kann. „Und irgendwann wachen die Frauen auf und denken: ‚Ich bin eine Gefangene hier!‘, aber zu dem Zeitpunkt kommen sie nicht mehr raus aus der Situation.“
„Viele Frauen haben zu Recht Angst vor einer Trennung.“
Physische Gewalt gehe immer auch mit psychischer Gewalt einher. Bedrohungen, Schuldzuweisungen und Erniedrigungen durch den Partner würden Angst und Scham noch einmal besonders schüren. Stephanie Kattenborn sagt ganz deutlich: „Viele Frauen haben zu Recht Angst vor einer Trennung.“ Die Trennung und die Zeit danach sei der gefährlichste Zeitpunkt für Betroffene. Im Schwelmer Fall hatte der 48-Jährige seine Frau etwas mehr als ein Jahr nach der Trennung umgebracht. Wichtig sei es daher auch, der Frau die Selbstbestimmung bei der Entscheidung zu lassen und sie nicht unter Druck zu setzen. „Man muss Geduld haben und die Tür immer offen halten.“
Bei akuter Gefahr immer die Polizei rufen
Anders sieht das allerdings aus, wenn von einer akuten Gefahrenlage auszugehen ist. Zum Beispiel, wenn man eine konkrete Gewaltsituation in der Nachbarwohnung mitanhört. „Dann rufen Sie bitte immer sofort die Polizei. Wir schreiben auch nicht direkt Ihren Namen mit in die Anzeige, aber wir müssen wissen, wo jemand verprügelt wird“, appelliert Sven Flügge.
Und auch wenn man sich nicht sicher ist, ob körperliche Gewalt im Spiel ist, oder es sich um einen rein verbalen Streit handelt, solle man auf sein Gefühl vertrauen und im Zweifelsfall lieber einmal zu viel die Polizei rufen. „Es passiert ja nichts, wenn wir einfach mal gucken.“ Handelt es sich lediglich um eine Schreierei, werden beide zur Ruhe ermahnt. „Das ist auch nicht so verkehrt, dass die dann mal gespiegelt bekommen: Wie ihr euch streitet, ist nicht gesellschaftskonform.“
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Sind allerdings deutliche Verletzungen erkennbar beim Eintreffen der Polizei, muss und wird sie handeln und eine Anzeige schreiben. Die Zustimmung des Opfers brauchen die Beamten in solchen Fällen nicht. Das Gewaltschutzgesetz regelt in Deutschland zum Schutz Opfer häuslicher Gewalt, dass in solchen eindeutigen Fällen der oder die Betroffene nicht selbst entscheiden kann, ob eine Anzeige gestellt werden soll oder nicht. Beim Vorliegen einer Straftat muss die Polizei handeln. Das ist auch der Unterschied zur Frauenberatung, die auch bei Schilderungen konkreter Straftatbestände nicht der gleichen Pflicht unterliegt.