Schwelm. Auf Facebook unterhalten sich der Beigeordnete Schweinsberg und SPD-Fraktionschef Thorsten Kirschner und nutzen das N-Wort und das Z-Wort.
Waren es harmlose Scherze zwischen zwei Privatleuten oder teilen Ralf Schweinsberg als Technischer Beigeordneter der Stadt Schwelm und Thorsten Kirschner als Schwelmer SPD-Fraktionschef nicht die Werte ihres Arbeitgebers beziehungsweise ihrer Partei? Eine Frage, die im Raum steht, nachdem jemand der Redaktion Screenshots von einer Unterhaltung auf dem privaten Facebook-Profil von Ralf Schweinsberg geschickt hat.
Darauf teilt der Beigeodnete, der seit vielen Jahren auch CDU-Mitglied ist, am Samstag, 2. November, für seine 680 Freunde einen Beitrag der Seite „Patrioten Osthessen“. Es ist ein Spruchbild, das den Apachen-Häuptling Winnetou zeigt. Über dem Bild steht „Auch in Zukunft werde ich nicht gendern“, darunter steht „Indianerehrenwort“. Sichtbar ist das für diejenigen, die mit Schweinsberg auf Facebook befreundet sind, für Außenstehende nicht.
Der Schwelmer SPD-Fraktionschef Kirschner kommentiert online diesen Beitrag schriftlich und startet so eine Unterhaltung. Hier der Originaltext inklusive Interpunktions- und Orthografiefehlern: Kirschner: „Wie schade, kein Zigeuner*innenschnitzel?“ Darauf Schweinsberg: „Wenn das eine Einladung ist würde ich meine Prinzipien zeitweise zurückstellen.“ Kirschner: „Spendierst du als Dessert dann Mohr*innenkopf?“ Wiederum Schweinsberg: „Da mein Nachbar in Iserlohn diesen erfunden hat, bleibe ich nach wie vor bei dem Begriff Negerkuss. Wir können gerne auch über einen Negerinne-Kuss sprechen.“ Kirschner reagiert mit „Daumen hoch“ auf den letzten Beitrag Schweinsbergs.
Seite vorher nicht geprüft
Die Redaktion konfrontiert Ralf Schweinsberg und Thorsten Kirschner mit den Screenshots und gibt ihnen die Gelegenheit, schriftlich dazu Stellung zu beziehen. Dabei geht es um zum einen um das Z- und das N-Wort. Zum anderen um ihre gesellschaftlichen Rollen als Repräsentant und stellvertretender Bürgermeister einer Stadtverwaltung, die von sich sagt, bunt zu sein und für Vielfalt einzustehen, sowie als führender Lokalpolitiker einer Partei, in deren Grundsatzprogramm steht, dass die gleiche Würde aller Menschen Ausgangspunkt und Ziel ihrer Politik sei.
Auch die Seite, deren Beitrag der in Hemer wohnhafte Beigeordnete geteilt hat, wird dabei zum Thema. „Patrioten Osthessen“ hetzt gegen Ausländer, Geschlechtervielfalt, öffentlich-rechtliche Medien, feiert den designierten US-Präsidenten Donald Trump und die AfD.
„Da es sich hier um einen privaten Post handelt, werde ich dazu gegenüber Ihrer Zeitung auch keine Stellung beziehen.“
Sowohl Ralf Schweinsberg als auch Thorsten Kirschner melden sich schnell zurück und räumen beide ein, sich die Seite der „Patrioten Osthessen“ im Vorfeld nicht angeschaut und dies erst durch die Anfrage der Redaktion getan zu haben. Schweinsberg bedankt sich für den Hinweis, dass das Bild von Winnetou von einer Organisation stammt, die vor allem Ausgrenzung und Hetze betreibt. „Dies hätte ich zwingend vermeiden müssen!“, schreibt er und hat den gesamten Eintrag mittlerweile gelöscht.
Rede von satirischem Beitrag
Thorsten Kirschner erklärt dazu, dass ihm der hier betroffene Inhalt von Facebook ausdrücklich — per Benachrichtigung — als neuer Beitrag Ralf Schweinsbergs angezeigt worden sei, auf den er an Ralf Schweinsberg gerichtet auf dessen privater Seite geantwortet habe. „Dass der betroffene Inhalt ursprünglich offenbar von einer ,rechtslastigen‘ Seite stammt, habe ich erst infolge Ihrer Anfrage erfahren“, so Kirschner weiter. „Dies war mir so nicht angezeigt worden und war mir auch zu keiner Zeit bewusst. Ich bedauere das zutiefst und werde dies zum Anlass nehmen, künftig auch Beiträge von bekannten Personen noch gründlicher auf ihre ursprüngliche Herkunft hin zu überprüfen.“
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Was den Inhalt des geteilten Spruchbildes und seines verwendeten Vokabulars in der Kommentarspalte angeht, erklärt Ralf Schweinsberg, dazu keine Stellung zu beziehen, da es sich aus seiner Sicht hier um einen privaten Post handele. Auch gibt es nach seiner Auffassung keinen Bezug zu seiner dienstlichen Tätigkeit in Schwelm.
„Nach meiner Erfahrung wirkt gesellschaftlicher Druck zur Verwendung einer als ,moralisch anständig‘ empfundenen Sprache auch auf viele weltoffene Menschen polarisierend und kann sogar das Gegenteil bewirken.“
Thorsten Kirschner hingegen bezieht Stellung und holt dafür etwas weiter aus. Zu dem Spruchbild, das Schweinsberg geteilt hat, erklärt er: „Allein der Inhalt des satirischen Beitrags lässt keinen Verdacht auf eine entsprechende Herkunft (Anm. d. Red.: Patrioten Osthessen) aufkommen, da die sogenannte Wokeness auch im linken beziehungsweise progressiven Spektrum teilweise sehr kritisch bewertet wird.“ Zur Erklärung: Der Duden definiert den Begriff Wokeness als „hohe (gelegentlich engstirnige oder mit militantem Aktivismus verbundene) Sensibilität [...] für insbesondere rassistische, sexistische Diskriminierung, soziale Ungleichheit.“
Verweis auf Einsatz für Vielfalt
Darüber hinaus macht Thorsten Kirschner deutlich, dass er sich beruflich, politisch und privat seit vielen Jahren für Vielfalt und Toleranz einsetze. „Einer Ausgrenzung aufgrund von Herkunft, Abstammung, Identität oder sonstiger äußerer Merkmale trat und trete ich weiterhin entschieden entgegen“, schreibt der Sozialdemokrat. „Davon streng zu trennen ist für mich die Frage, ob Sprache aufgrund ,moralischer Haltung‘ gezielt umgeformt und gängige Begriffe tabuisiert werden sollten, zum Beispiel die traditionell und auch in der Wikipedia als ,Zigeunerschnitzel‘ oder ,Mohrenkopf‘ bezeichneten Speisen.“
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Bei aller guten Absicht stelle dies seines Erachtens die äußere Form über Inhalte und werde von vielen Menschen als übergriffig, moralisierend und belehrend empfunden. „Das gilt auch und besonders für die Gendersprache, die bestimmte Minderheiten — nach gängiger Lesart auch mich (Anm. d. Red.: Thorsten Kirschner bezieht sich dabei auf seine Homosexualität) — einschließen soll, die Verständlichkeit der Sprache aber oft erschwert und teilweise gegen geltende Sprachregeln verstößt“, erklärt der Politiker. „Nach meiner Erfahrung wirkt gesellschaftlicher Druck zur Verwendung einer als ,moralisch anständig‘ empfundenen Sprache auch auf viele weltoffene Menschen polarisierend und kann sogar das Gegenteil bewirken.“
Deshalb vertrete er seit mehr als 20 Jahren die klare Haltung, dass man jeder Form der Ausgrenzung inhaltlich entgegentreten müsse, die Umbenennung von Speisen oder Straßen sowie die rückwirkende Bearbeitung künstlerischer Werke dagegen ein kontraproduktiver Irrweg seien. „Abschließend möchte ich noch anmerken, dass ich Herrn Schweinsberg in der Vergangenheit immer als einen Menschen erlebt habe, der sich deutlich gegen Ausgrenzung und klar für ein vielfältiges und tolerantes Deutschland ausspricht“, sagt Kirschner. „Seinen auf seiner privaten Facebook-Seite veröffentlichten Beitrag habe ich insofern als satirischen Hinweis verstanden, sich nicht an Begrifflichkeiten abzuarbeiten beziehungsweise diese moralisch aufzuladen.“