Schwelm. Die Grundschüler Carl und Leticia aus Schwelm lieben Bücher, doch viele Kinder tun sich schwer. Woran die schlechte Lesekompetenz liegt.

Die achtjährige Leticia liest gerne die „Lotta-Leben“-Bücher, während sich ihr Mitschüler Carl lieber in die Geschichten von „Die Schule der magischen Tiere“ vertieft. Was die beiden Schüler der Schwelmer Grundschule Engelbertstraße eint: Lesen ist für sie kein Problem und macht ihnen Spaß. Das gilt jedoch nicht für alle Kinder in Deutschland. In Schwelm vermittelt die „BürgerStiftung Lebendiges Schwelm“ daher seit mehreren Jahren Lesepaten an die Grundschulen Engelbertstraße und Ländchenweg. Heiner Kistner ist einer von 28 ehrenamtlichen Lesepaten. Gemeinsam mit Irina Gianfelici, stellvertretende Leiterin der Engelbertschule, und Lehrerin Nadine Priester erklärt Kistner, warum das Engagement so wichtig für die Förderung der Kinder ist.

Das Hauptproblem, das die drei identifizieren, ist, dass viele Eltern heute keine guten Vorbilder mehr in Sachen Lesen für ihre Kinder seien. Vorlesen zum Einschlafen? Gemeinsam Bilderbücher anschauen, um früh einen Zugang zu Geschichten zu vermitteln? Ein Ausflug in eine Bücherei? Das sei in vielen Familien nicht mehr gang und gäbe. Das führt dazu, dass die Kinder schlechter lesen können. „Wenn das Kind die Grundschule verlässt, sollte es eigentlich sinnentnehmend lesen können. Das ist aber leider nicht immer der Fall“, macht Irina Gianfelici die Tragweite deutlich.

Problem ist herkunftsunabhängig

Auch wenn erschwerend hinzukomme, dass einige Eltern der deutschen Sprache nicht so mächtig seien, um ihren Kindern ein deutschsprachiges Buch vorlesen zu können, sei dieses Problem unabhängig von der Herkunft der Familien zu beobachten. Das kann auch Heiner Kistner bestätigen, der als Lesepate die Klasse 3a der Grundschule Engelbertstraße betreut. Dabei nimmt er sich pro Kind 30 Minuten Zeit, um ihm in einer 1-zu-1-Betreuung vorzulesen, sich vorlesen zu lassen oder auch mal ein Wahrnehmungstraining mit den Schülern zu machen.

Heiner Kistner ist seit 2015 als Lesepate an der Grundschule Engelbertstraße tätig. Hier lässt er die Schülerinnen Maja und Emma (links) vorlesen.
Heiner Kistner ist seit 2015 als Lesepate an der Grundschule Engelbertstraße tätig. Hier lässt er die Schülerinnen Maja und Emma (links) vorlesen. © Alisa Schumann | Alisa Schumann

Die Schüler würden die 1-zu-1-Betreuung von ihren Lesepaten sehr genießen, berichtet Lehrerin Nadine Priester: „Für die Kinder ist das etwas ganz Besonderes. Bei einer Klasse mit circa 29 Kindern ist das sonst kaum möglich. Die Kinder lieben das, dass sich jemand mit ihnen hinsetzt und Zeit nur für sie hat.“ Heiner Kistner bestätigt: „Das ist ein intensiver Zuwendungsmoment. Das Vorlesen ist für die Kinder toll und das ist auch Teil des Lesenlernens.“

Kistner erlebt die komplette Bandbreite: Grundschüler, die flüssig vorlesen können und verstehen, was sie dort lesen, die selbst Bücher zu Hause haben oder deren Eltern auch selbst gerne lesen. Bis hin zu den Kindern, die in der Schule erzählen „Mein Papa kann gar nicht lesen“ oder „Mit mir liest niemand zu Hause“. So etwas höre Heiner Kistner „über alle Nationalitäten hinweg“ und er kann klar feststellen: „Die Kinder, die es drauf haben – da wird zu Hause gelesen und vorgelesen. Egal, ob von Mama, Papa oder von älteren Geschwistern.“

Eltern finden Ausreden

Als die Grundschule vor ein paar Jahren feststellte, dass die Lesekompetenz vieler Schüler schlechter wurde, passte die Einrichtung laut Irina Gianfelici das Lesekonzept an. „Außerdem wurden vom Land die Lesezeiten eingeführt. Das sind dreimal 20 Minuten, die im Stundenplan verankert sind, damit regelmäßig gelesen wird.“

Doch das Engagement der Schule oder der Lesepaten allein reiche nicht aus, sodass die Schule regelmäßig an die Eltern appelliert, ihren Kindern nicht nur vorzulesen, sondern auch täglich mit ihnen fünf bis zehn Minuten Leseübungen zu machen. „Das ist so wichtig und das schaffen wir im Vormittagsbereich in der Schule nicht.“ Die meisten Eltern würden nach einer solchen Ansprache immer ihre Bereitschaft signalisieren. „Aber es wird nicht gemacht. Viele finden Ausreden und viele Eltern sehen auch die Wichtigkeit nicht, wenn ich ehrlich bin“, kritisiert Gianfelici. Ihre Kollegin Nadine Priester ergänzt: „Es ist in einigen Familien mit mehreren Kindern und unterschiedlichen Hobbys vielleicht schwierig, das umzusetzen, wenn man nicht strukturiert ist. Man muss es einplanen und man muss es auch wollen. Wenn die Eltern das wollen, dann schaffen die Kinder das auch.“

Die Bürger-Stiftung Lebendiges Schwelm spendete 500 Euro an die Grundschule Engelbertstraße, die die Schule in neue Bücher für die schuleigene Bücherei investierte. Stifter Israfil Erkilic (hinten links) stockte die Summe noch einmal um eine dreistellige Spende auf.
Die „BürgerStiftung Lebendiges Schwelm“ spendete 500 Euro an die Grundschule Engelbertstraße, die in neue Bücher investiert wurden. Stifter Israfil Erkilic (hinten links) stockte die Summe noch einmal auf. Von links: Stiftungsvorstand Gerd Philipp, Irina Gianfelici, stellvertretende Leiterin der Grundschule, Lesepate Heiner Kistner und Lehrerin Nadine Priester. Vorne stehen die Grundschüler Maja, Emma, Leticia und Carl. © Alisa Schumann | Alisa Schumann

An Lesematerial – auch zum Ausleihen – mangele es auch nicht. Denn nach einer Systemumstellung ist die schuleigene Bücherei nun wieder vollständig in Betrieb. Für neuen Lesestoff sorgte die „BürgerStiftung“, die den Schulen Ländchenweg und Engelbertstraße jeweils 500 Euro spendete, die in Material zur Förderung der Lesekompetenz investiert wurden. Stifter Israfil Erkilic stockte die Spende für die Engelbertschule noch einmal mit einer dreistelligen Summe auf, wie Gerd Philipp, Vorstandsmitglied der „BürgerStiftung“, erklärt.

Mehr als 40 neue Bücher bestellte die Grundschule Engelbertstraße. „Wir haben uns mit Jasmin Arnold, der Leiterin der Schwelmer Stadtbücherei, zusammen getan, die erzählte, welche Bücher dort gerade sehr gut ausgeliehen werden“, sagt Nadine Priester. Für jede Altersklasse und beide Geschlechter seien Hardcover-Bücher dabei. Zum Beispiel Geschichten aus der „Lotta-Leben“- oder der „Schule der magischen Tiere“-Buchreihen – genau die Bücher, die auch Leticia und Carl ihren Mitschülern ans Herz legen würden.

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