Ennepe-Ruhr-Kreis. Rechte Chatgruppen bei der Polizei haben bundesweit Schlagzeilen gemacht. So geht die Polizei im EN-Kreis mit dem brisanten Thema um.

Die Polizei ist Freund und Helfer, vertritt Recht und Ordnung – und das gegenüber jedem Menschen, egal welcher Herkunft, Hautfarbe, Religion oder welchen Geschlechts. So weit die Idealvorstellung und auch der Anspruch, den die Behörden an sich selbst stellen. Freiheitlich-demokratische Grundordnung ist hier das Stichwort. Was aber, wenn Beamtinnen und Beamte diese Ordnung gar nicht vertreten?

Eine Frage, die sich spätestens seit den Vorfällen rund um rechtsextremistische Chatgruppen in mehreren Polizeibehörden – zum Beispiel bei der Frankfurter Polizei, aber auch in Essen und Mülheim – nicht wenige stellen. Das ist ein paar Jahre her. NRW-Innenminister Herbert Reul versprach seinerzeit lückenlose Aufklärung.

Um Extremismus innerhalb der Behörden zu bekämpfen, führte Nordrhein-Westfalen 2020 sogenannte Extremismusbeauftragte ein. Von ihnen sitzt mindestens einer oder eine in jeder der etwa 50 NRW-Polizeibehörden nebst einer Vertretung. Bei der Kreispolizeibehörde Ennepe-Ruhr heißt dieser Beauftragte Karsten Jochheim. Der 55-jährige Polizeihauptkommissar ist unter seinen Kolleginnen und Kollegen gut vernetzt und weiß genau, auf welche Warnzeichen sie achten müssen.

Vom kruden Profilbild zur rassistischen Beleidigung

Ein Stahlhelm als Profilbild, krude Postings auf Facebook oder in Internetforen, aber auch rassistische Beleidigungen während eines Einsatzes – das sind nur ein paar allgemeine Beispiele, die Karsten Jochheim aufzählt. Hier sollten Polizistinnen und Polizisten, aber auch alle anderen im Dienste einer Polizeibehörde hellhörig werden, wenn sie derartige Feststellungen innerhalb ihres Teams machen. Meistens bewegten sich diese Fälle im rechten Spektrum, natürlich hätten die Beauftragten aber alle Formen vom Extremismus im Blick, erklärt Jochheim. Oft ist es eine Grauzone, innerhalb derer ein Verdacht liegt. Er kann in solchen Fälle eine genauere Einschätzung geben, wie etwas zu bewerten ist, ob es Grund zur Sorge geben muss oder unbedenklich ist. „Wir sind alle entsprechend ausgebildet, wenn es um extremistische Zeichen geht“, sagt Jochheim.

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Hat jemand einfach nur eine krude Meinung, ist etwas dienstrechtlich oder vielleicht sogar strafrechtlich relevant? Gerade zur Zeit von Corona-Pandemie und Querdenker-Bewegung sei das mitunter schwierig zu bewerten gewesen. Es sind Nuancen, die den Ausschlag geben können. Ein offensichtlicher Neonazi würde zum Beispiel gar nicht erst eingestellt. „Und wenn man nach dem Auswahlverfahren merkt, dass jemand auffällig ist, gehe ich davon aus, dass er das Studium dann nicht mehr beendet“, schätzt Karsten Jochheim. Es geht um Meinungen und Einstellungen, die sich plötzlich oder vielleicht auch schleichend wandeln.

Der Extremismusbeauftragte fungiert als Schnittstelle. „Wir versuchen, für jeden in der Behörde ansprechbar zu sein“, erklärt der 55-Jährige. „Man muss dafür keinen Dienstweg einhalten.“ Das Angebot soll niedrigschwellig sein. Er selbst ist im Herbst 2020 auf den damaligen Extremismusbeauftragten gefolgt, war zuvor dessen Stellvertretung. Auch Jochheim hat heute eine Stellvertretung. Gemeinsam sind sie Ansprechpartner für insgesamt 364 Mitarbeitende in der Kreispolizeibehörde Ennepe-Ruhr und sind unmittelbar dem Landrat als Behördenchef unterstellt.

Verweis auf das Vertrauen in der Bevölkerung

Schlägt jemand bei ihm auf, der einen Extremismusverdacht hat, führt Karsten Jochheim Gespräche, prüft und sichert Hinweise, informiert gegebenenfalls die Behördenleitung, sollte sich ein Verdacht erhärten. Die entscheidet schließlich über das weitere Vorgehen. „Wir haben als Polizeivollzugsbeamte grundsätzlich einen Strafverfolgungszwang“, erklärt Jochheim, der nicht ausschließt, dass sich jemand aus Verbundenheit zu einem Kollegen oder einer Kollegin deshalb auch scheuen könnte, etwas zu melden. Vor diesem Hintergrund macht der Polizeihauptkommissar ganz klar deutlich, dass es nicht gegen die gehe, die auf Auffälligkeiten hinweisen, sondern gegen die, die sich falsch verhalten.

Miniserie

Land auf, Land ab, europaweit und weltweit rückt gefühlt grad alles nach rechts. Viele Menschen treibt die Sorge vorm Rechtsextremismus um. In Gevelsberg findet in jedem Jahr – so wie jetzt kürzlich wieder – zum Beispiel eine Aktionswoche gegen rechte Gewalt und für Zivilcourage statt, die sich genau damit auseinandersetzt.

Auch die Redaktion möchte das aufgreifen und beschäftigt sich in den kommenden Wochen mit der Thematik aus verschiedenen Blickwinkeln. Wie schützt sich zum Beispiel eine Polizeibehörde vor Extremismus? Wie empfinden junge Erwachsene Rassismus und Diskriminierung? Würden wirklich immer mehr junge Menschen die AfD wählen und wenn ja, warum?

Wenn Sie Anregungen oder Hinweise dazu haben, melden Sie sich gerne unter schwelm@westfalenpost.de

„Kleine Behörden sind vermutlich präsenter in der lokalen, öffentlichen Wahrnehmung“, sagt Karsten Jochheim. „Deshalb haben wir ein großes Interesse daran, frühzeitig über Auffälligkeiten informiert zu werden.“ Tatsächliche Hinweise, mit denen er sich als Extremismusbeauftragter beschäftigen musste, habe es bei der Kreispolizeibehörde Ennepe-Ruhr in den vergangenen vier Jahren wenige gegeben, eine kleine Zahl, die sich laut Jochheim im einstelligen Bereich bewegt.

Damit das so bleibt, sensibilisiert der Extremismusbeauftragte seine Kolleginnen und Kollegen, arbeitet vor allem mit den Neuzugängen präventiv. Exkursionen, Fortbildungen oder Besuche im Dienstunterricht stehen dabei auf dem Plan. Es geht dabei oftmals um historische Polizeiarbeit im Kontext der NS-Zeit, den Umgang mit damals als gesellschaftliche Randgruppen gesehenen Bevölkerungsteile wie zum Beispiel den Sinti und Roma, allgemein das Leben anderer Kulturen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Alles, damit die Sensibilisierung der Mitarbeitenden zu dieser Thematik gegenwärtig bleibt und Extremismus in der Polizeibehörde erst gar nicht Fuß fassen kann. Für Karsten Jochheim geht es dabei letztlich auch um das Vertrauen der Bevölkerung. „Extremismus ist immer mal ein Vorwurf, der der Polizei gemacht wird“, weiß er und sagt ganz klar: „Wir stehen für Recht und Ordnung, deshalb geht es nicht, wenn jemand diese mit Füßen tritt.“