Schwelm. Die Aufarbeitung der DDR-Zeit geht auch uns in Schwelm, weit weg vom Osten, etwas an. Warum es gerade für junge Menschen wichtig ist.

Eines der einschneidendsten Ereignisse der jüngeren deutschen Geschichte jährt sich am 9. November zum 35. Mal. Als durch die friedliche Revolution 1989 die Mauer fiel, bedeutete das ein Ende des geteilten Deutschlands. Dennoch sind die Nachwirkungen bis heute zu spüren. Unterschiede in Einkommen, Vermögen, Wahlergebnissen oder auch in Identität und Mentalität. Die Gräben zwischen Ost und West sind nach wie vor tief. Die Mauer scheint in vielen Köpfen weiterzuleben. Auch hier in Schwelm – weit weg vom Osten – geht uns die Aufarbeitung der DDR-Geschichte etwas an. Die Evangelische Kirchengemeinde und die Stadtbücherei Schwelm wollen mit einer Ausstellungsreihe ihren Teil dazu beitragen.

Geschichte darf nicht in Vergessenheit geraten

Wie wichtig die Beschäftigung mit der Zeitgeschichte des eigenen Landes ist, zeigt ein Blick auf aktuelle Wahlergebnisse. Und das nicht nur im Osten. „In der jungen Bevölkerung, 24 und darunter, gibt es anteilig viel mehr Menschen, die antidemokratische Wahlentscheidungen treffen“, beobachtet auch Frank Behr vom Schulreferat der Evangelischen Kirche in Schwelm. Er sieht einen Zusammenhang, dass gerade Menschen, die nie selbst repressive Systeme erlebt haben, sich der Gefahren nicht bewusst seien. „Denen ist oft nicht klar, dass wenn sie antidemokratisch wählen, sie auch einen Verlust von Freiheit und Lebenschancen wählen.“

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Eigentlich ist die neuere Zeitgeschichte Teil des Curriculums der Schulen. Die Realität sieht oft anders aus. „Die Äußerungen aus den Schulen sind, dass sie häufig gar nicht dazu kommen“, so Frank Behr. Besonders wenn man, wie die meisten Jugendlichen in Schwelm, keine Berührungspunkte mit der DDR hat, sei es umso wichtiger, sich damit auseinanderzusetzen. „Die Demokratie steht aktuell in der gesamtpolitischen Lage durchaus auf dem Prüfstand.“

Einen kritischen Blick auf solche Entwicklungen könne man leichter haben, wenn man sich vor Augen führt, was auf dem Spiel steht und sich erinnert, dass Freiheit keine Selbstverständlichkeit ist. Auch wenn Frank Behr im Westen aufgewachsen ist, weiß er durch die eigenen Eltern, die aus dem Osten stammen, was es für sie hieß, in vielen Bereichen des Lebens beschnitten zu werden.

Aufwachsen in einem repressiven System

Auch Matthias Kriese von der Evangelischen Erwachsenenbildung Ennepe-Ruhr, der die Ausstellung mitorganisiert, hat einen eigenen Bezug zur DDR. Er ist dort aufgewachsen, ging kurz nach dem Mauerfall mit Anfang 20 nach Kassel und lebt heute in Hattingen. Das repressive System, von dem auch Frank Behr spricht, hat er am eigenen Leib erfahren.

„Ich habe mehr oder weniger offene Repressalien in der Berufsfindung gehabt“, erzählt er. Der Grund: Er verweigerte den Militärdienst; wollte mit Waffen nichts zu tun haben. Obwohl Matthias Kriese sehr gut in der Schule war, „hat man dadurch kaum eine Chance gehabt, einen Studienplatz zu kriegen.“ Auch für eine Berufsausbildung mit Abitur wurde er trotz eines Notendurchschnitts von 1,2 abgelehnt. Die beruflichen Chancen wurden als Druckmittel eingesetzt. Sein Studium holte er im wiedervereinigten Deutschland später nach.

Das Programm im Überblick

Ausstellung „Die DDR in der Erinnerungskultur“ Die Friedliche Revolution 1989 und der Umgang mit der DDR-Geschichte bis heute Montag, 28.10.2024 bis Freitag, 15.11.2024 Mo - Do: 10 Uhr bis 13 Uhr & 15 Uhr bis 18 Uhr Fr: 10 Uhr bis 13 Uhr Stadtbücherei Schwelm, Römerstr. 10, 58332 Schwelm

Ungleiche Schwestern - Vom Leben in der DDR und in der BRD Lesung, Zeitzeuginnengespräch und Ausstellungseröffnung Montag, 28.10.2024 um 16 Uhr Stadtbücherei Schwelm, Römerstr. 10, 58332 Schwelm

Kirche in der DDR - „Kirche im Sozialismus“ Das Verhältnis von Kirche und Staat in repressiven Systemen - Fortbildung Dienstag, 29.10.2024 von 15 bis 18 Uhr Haus der Kirche, Potthofstr. 40, 58332 Schwelm

Als Pfarrer in der DDR Kirchliches Leben und staatliche Repressionen 1949 bis 1989 - Zeitzeugengespräch Mittwoch, 30.10.2024 von 11.35 Uhr bis 13.10 Uhr Märkisches Gymnasium, Präsidentenstr. 1, 58332 Schwelm

Gittersee - ein Roman über das Leben in der DDR Lesung mit der Autorin Charlotte Gneuß Mittwoch, 06.11.2024 von 19 Uhr bis 21 Uhr Kulturhaus Schwelm, Römerstr. 10, 58332 Schwelm

Bei Matthias Kriese und seiner Frau ist die gedankliche Trennung zwischen Westen und Osten kein Thema mehr. Als sie vor kurzem eine alte Bekannte in Kassel wiedertrafen, fiel aber schnell auf: Insbesondere für Menschen, die heute weiter im Osten leben, ist es noch sehr präsent. „Vom Vokabular her war es immer noch ‚Die da aus dem Westen‘. Das fand ich erschreckend.“ Viele Leute würden immer noch in dieser Blase leben und, so Krieses Befürchtung, diese Denkweise auch an die Kinder übertragen, die die DDR selbst gar nicht erlebt haben.

Highlights der Ausstellung

Matthias Kriese hat schon einige Ausstellungen organisiert, stehe in der Erwachsenenbildung „mit einem Bein in der Kirche und mit einem Bein in der Gesellschaft.“ Ihm war es besonders wichtig, über die feste Ausstellung mit Bildtafeln in der Schwelmer Stadtbücherei hinaus auch ein Begleitprogramm anzubieten. Highlight dieses Programmes sei eine Lesung mit der Autorin Charlotte Gneuß, die aus ihrem Roman „Gittersee“ lesen wird. In dem Buch wird thematisiert, wie insbesondere junge Menschen in einem Überwachungsstaat manipuliert und ausgenutzt werden können.

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Aber auch Zeitzeugengespräche bilden einen wichtigen Teil des Programmes. Eines dieser Gespräche wird bewusst am Märkischen Gymnasium stattfinden und die gesamte Oberstufe der Schule in der Aula versammeln. „Dieser unmittelbare Kontakt mit Menschen, die ihre eigene Geschichte erzählen, ist schon sehr prägend für das eigene Verständnis“, betont Frank Behr. So ein Gespräch könne zwar immer nur einen kleinen Ausschnitt darlegen, der nicht unbedingt repräsentativ sein muss, stelle aber, vor allem für Menschen ohne eigene Bezüge zur DDR, die beste Möglichkeit dar, sich dem Thema zu nähern.