Schwelm. Irmgard Rauhaus aus Schwelm wurde gleich zweimal Opfer von dreisten Taschendieben. Über die Scham und Schuldgefühle danach.
„Es war ein bisschen auch meine eigene Dummheit“, gibt Irmgard Rauhaus offen zu. Solche Schuldgefühle sind bei Opfern von Taschendieben keine Seltenheit. Die 86-jährige Schwelmerin ist ihnen in der Vergangenheit bereits zweimal zum Opfer gefallen. An diesem sonnigen, aber kühlen Vormittag bleibt sie daher ganz bewusst am Stand der Polizei in der Schwelmer Innenstadt stehen und lässt sich Tipps geben. Mittlerweile geht Irmgard Rauhaus ohnehin wachsamer durch die Straßen, hält ihre Tasche dicht am Körper, besonders wenn ihr eine fremde Person zu nahe kommt.
Taschendiebstahl in Bus und Bahn
In Wuppertal, als sie gerade in den Bus einstieg, wurde sie vor vielen Jahren das erste Mal bestohlen. „Das war ganz furchtbar“, sagt Irmgard Rauhaus über den Moment, in dem ihr klar wurde, dass das Portmonee weg war. Ein junges Pärchen habe sich, als der Bus kam, dicht hinter sie gedrängt. „Die haben so getan, als ob sie auch einsteigen wollen.“ Aber als die Tür zuging und der Bus losfuhr, war das Paar schon nicht mehr zu sehen. „Die machen das so geschickt.“ Obwohl sie laut eigener Aussage die Täterin und den Täter bei der Wuppertaler Polizei genau beschreiben konnte, wurden sie nie gefasst. Ihre Anzeige lief ins Leere.
„Als ich gesehen habe, dass mein Rucksack offen ist, habe ich geschrien.“
Als es ihr 2019 in Berlin nochmal passierte, war das für die 86-Jährige erneut ein großer Schock. „Es war mir peinlich“, gibt sie zu. Ihr Sohn habe damals auch mit ihr gemeckert: „Du wusstest das doch!“ Aber der erste Fall lag da schon längere Zeit zurück und die Vorsicht war wieder weniger geworden. „Ich hätte aufmerksamer sein müssen“, sagt sie rückblickend. Die Scham und die Schuldgefühle kann sie bis heute nicht ganz abschütteln. Die Situation war eine ähnliche wie in Wuppertal: Diesmal stieg sie gerade in den Zug ein. Eine Frau um die 40 sei mit ihr am Berliner Hauptbahnhof eingestiegen, aber direkt wieder ausgestiegen. „Als ich gesehen habe, dass mein Rucksack offen ist, habe ich geschrien“, erinnert sich Irmgard Rauhaus. Die Frau habe sie im Vorfeld genau beobachtet.
Hohe Dunkelziffer bei Taschendiebstählen
Irmgard Rauhaus handelte geistesgegenwärtig, führte noch im Zug Telefonate, um ihre Karten sperren zu lassen. „Das Handy war zum Glück nicht weg.“ Dafür aber 150 Euro Bargeld und alle Papiere. „Das war das allerschlimmste“, sagt sie über den Verlust ihrer Ausweisdokumente. Auch diesen Fall brachte sie zur Anzeige – wieder ohne Erfolg. Peter Lobeck, Bezirksbeamter der Polizei in Schwelm, ist sich sicher, dass es eine hohe Dunkelziffer bei Taschendiebstählen gibt. „Viele trauen sich gar nicht, das zur Anzeige zu bringen, weil sie sich schämen, dass es Ihnen passiert ist.“ Sein Kollege Frank Gronemann klärt Irmgard Rauhaus auch darüber auf, dass die EC-Karte bei der Bank zu sperren allein nicht ausreiche: „Das Lastschriftverfahren kann nur bei der Polizei gesperrt werden.“ Vielen sei das nicht bewusst.
Die Polizei betont, dass es einem nicht peinlich sein muss, wenn man von einem Taschendieb ausgetrickst wurde: „Das kriegt man wirklich nicht mit, das kann auch jungen Leuten passieren.“ Trotzdem seien besonders ältere Leute potenzielle Opfer und wurden daher auch am vergangenen Freitag von der Polizei gezielt in der Innenstadt angesprochen. Mit Infomaterial und persönlichen Gesprächen wollen sie die Menschen für die Gefahren sensibilisieren. Egal ob Großstadt oder Kleinstadt, Taschendiebstahl sei überall ein Thema. „Örtliche Einzeltäter sind hier in Schwelm eher die Ausnahme“, sagt Peter Lobeck. Es handele sich in der Regel um überregionale Banden, die von Stadt zu Stadt ziehen.
Ein weiteres Opfer berichtet
Auch Walter Schöngart ist schon Opfer eines dreisten Taschendiebs geworden. Der 87-Jährige fährt regelmäßig von Schwelm nach Berlin, da seine Kinder dort wohnen. In diesem Jahr sprach ihn plötzlich ein Mann auf der Straße an. „Können Sie mir zwei Euro wechseln?“, habe er ihn gefragt. Walter Schöngart guckte nach, hatte aber kein Kleingeld. „Der Dieb kam ganz nah“, erzählt er.
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Gerade noch rechtzeitig bemerkte er, dass sich der Unbekannte an seinem Geldbeutel bedient hatte. „Ich hab zu ihm gesagt: ‚Wenn Sie mir meine Papiere und mein Geld wiedergeben, rufe ich nicht die Polizei‘“. Der Taschendieb knickte ein. In diesem Fall war es nochmal gut gegangen. „Ich wäre sonst essen gegangen und hätte wahrscheinlich erst beim Bezahlen gemerkt, dass ich gar kein Geld mehr in der Tasche habe.“ Das Kuriose: Als Walter Schöngart fünf Wochen später erneut in Berlin war, traf er auf denselben Taschendieb. „Ich habe ihn schon von weitem erkannt und er mich auch.“ Sie sind sich aus dem Weg gegangen.