Ennepetal/Hagen. 30-Jähriger soll eine Scheinfirma in Ennepetal geführt und an einem „Umsatzsteuer-Karussell“ beteiligt gewesen sein. Jetzt steht er vor Gericht.
Auf dem Papier war die Firma in Ennepetal am Breslauer Platz tätig. Ihr angebliches Geschäftsmodell war der legale Handel mit Kraftfahrzeugen, Kfz-Teilen und Zubehör. Tatsächlich soll dies aber nur eine Scheinfirma gewesen sein, die an einem kriminellen Umsatzsteuer-Karussell beteiligt war. Dadurch seien im großen Stil Steuern verkürzt worden: auf den Cent genau 618.638,41 Euro, so der Vorwurf. Der Ex-Geschäftsführer (30) aus Halver sitzt deshalb seit Monaten in Untersuchungshaft und steht nun vor Gericht.
Der Angeklagte ist ledig, im Zuschauerraum verfolgen seine Angehörigen den Prozess im Landgericht Hagen. Interessiert hören sie zu, als Staatsanwalt Dr. Marco Klein die umfangreiche Anklageschrift verliest. 17 Taten sind darin aufgelistet, neben Steuerverkürzungen und Steuerhinterziehungen auch Insolvenzverschleppung und Subventionsbetrug. Alle begangen zwischen Februar 2020 und Ende September 2021.
Rechtsgespräch bringt keine Einigung
Verteidigerin Sonka Mehner bat den Anklagevertreter und die Richter der Wirtschaftsstrafkammer gleich zu Beginn der Verhandlung um ein Rechtsgespräch. Dieses dauerte allerdings deutlich länger als die vom Vorsitzenden Andreas Behrens angekündigten „15 Minuten“. Eine Verständigung über ein zu erwartendes Strafmaß kam hinter den Kulissen dennoch nicht zustande. Gut möglich, dass sich die Beweisaufnahme nun wie geplant über acht Verhandlungstage bis zum 13. November hinzieht.
Die Anklageschrift geht davon aus, dass der 30-Jährige bereits bei der Firmengründung Anfang Januar 2020 „den Plan verfolgte, sich in möglichst großem Umfang an einem europaweit betriebenen Umsatzsteuerkarussell im Kfz-Handel zu beteiligen“. Eigens zu diesem Zweck habe er eine Unternehmergesellschaft (UG) haftungsbeschränkt mit einem geringen Stammkapital von 1000 Euro gegründet.
Bande verschleierte Geschäftsablauf
„Innerhalb einer auf Dauer angelegten Gruppierung“, auch Bande genannt, soll die Gesellschaft dann als sogenannter „Buffer“ installiert worden sein. Ihre Aufgabe sei es gewesen, die anderen Beteiligten zu schützen, indem sie die Spuren der bereits erhaltenen Vorsteuer verwischte, selbst auch Vorsteuer kassierte und den tatsächlichen Geschäftsablauf verschleierte. Die Ennepetaler UG habe bei jeder Transaktion innerhalb der Kette die Vorsteuer aus den angeblich gelieferten Fahrzeugen gezogen. Dabei sei allen am Umsatzsteuer-Karussell Beteiligten klar gewesen, dass tatsächlich zu keinem Zeitpunkt die anfallende Umsatzsteuer von weiteren Abnehmern abgeführt werden würde.
Karussellgeschäft
Als Karussellgeschäft, Karussellbetrug oder Karussellbetrugsgeschäft bezeichnet man eine in der EU weit verbreitete Form des Steuerbetrugs. Dabei wirken mehrere Unternehmen in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten zusammen, wobei einer der Händler der Lieferkette die von seinen Abnehmern bezahlte Umsatzsteuer nicht an das Finanzamt abführt. Die Abnehmer machen hingegen die Vorsteuer geltend und erhalten diese vom Finanzamt zurück beziehungsweise ausgezahlt.
Da in weiteren Teilen der Kette eine Lieferung über Binnengrenzen erfolgt und nach dem Bestimmungslandprinzip die Umsatzsteuer nicht im Ursprungsland (Sitzland des Verkäufers), sondern im Bestimmungsland (Sitzland des Käufers) anfällt, erfolgt keine Verrechnung mit der Vor- oder Umsatzsteuer aus weiteren Teilen der Lieferkette; außerdem wird die Aufdeckung erschwert.
Die Bezeichnung „Umsatzsteuerkarussell“ ergibt sich daraus, dass ein Käufer, der die Ware vom Zwischenhändler im Bestimmungsland kauft, diese wieder an den ursprünglichen Verkäufer verkaufen und das betrügerische Geschäft von vorne starten kann.
Der Gewinn des Karussellgeschäfts (und gleichzeitig der fiskalische Schaden der Steuerkasse) rührt daher, dass der Käufer sich ständig die Umsatzsteuer vom Finanzamt erstatten lässt und der einzige Umsatzsteuerschuldner, der Zwischenhändler, seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommt. Im Regelfall verschwindet dieser Zwischenhändler vor Fälligkeit der Umsatzsteuer spurlos vom Markt und wird daher im Englischen als „missing trader“ bezeichnet. Es können übrigens auch weitere Zwischenhändler einbezogen werden, die nicht unbedingt von dem Betrug wissen müssen.
Durch diese Art von Steuerbetrug gehen dem Fiskus der EU-Länder nach offiziellen Schätzungen jährlich ca. 50 Milliarden Euro Steuergelder verloren –, davon allein in Deutschland schätzungsweise 5 bis 14 Milliarden Euro.
(Quelle: Wikipedia).
Als Geschäftsführer und Alleingesellschafter seiner UG soll sich der Mann aus Halver zudem 9000 Euro Corona-Förderung erschlichen haben, indem er falsche Angaben über den Wegfall von Aufträgen machte (Subventionsbetrug). Auch soll er, nachdem seine Firmenräume im März 2021 von der Polizei durchsucht worden waren und festgestanden hatte, dass sein „Geschäftsmodell“ gescheitert war, zunächst keinen Insolvenzantrag gestellt haben (Insolvenzverschleppung). Am nächsten Verhandlungstag will sich der Angeklagte zu den Vorwürfen äußern.
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