Ennepe-Ruhr. Kinderbetreuungseinrichtungen sind am Limit. Erzieher, Träger und Einrichtungsleitungen warnen vor dem Kollaps, wenn nichts passiert.
In den Kitas wird es eng – zumindest wenn es um Betreuungsplätze für Kinder geht, die jünger als drei Jahre alt sind. Darauf hat die heimische SPD-Landtagsabgeordnete Ina Blumenthal schon vor Wochen hingewiesen. Sie berief sich auf eine Erhebung der Bertelsmann-Stiftung, nach der mehr als 90.000 Betreuungsplätze für Unterdreijährige in Nordrhein-Westfalen fehlen. Trotzdem sollen im nächsten Kindergartenjahr 2024/25 landesweit gerade einmal 466 neue Plätze geschaffen werden, wie sie erklärt. Das sei der mit Abstand niedrigste Wert, den es seit Bestehen des Rechtsanspruches auf einen Betreuungsplatz gegeben hat.
Sie und Kirsten Stich, ebenfalls SPD-Landtagsabgeordnete, sehen aber noch mehr Probleme in den Kitas: Fachkräftemangel, zunehmende Arbeitsverdichtung und fehlende Unterstützung für die Einrichtungen. Deshalb haben sie Träger, Einrichtungsleitungen und Erziehende aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis zu einem Kita-Gipfel nach Schwelm eingeladen.
Beim DRK am Ochsenkamp sprachen sie gemeinsam über die aktuelle Lage in der Kita-Betreuungslandschaft und darüber, dass ein drohender Kita-Kollaps verhindert werden muss.
Sorge um Bildungsauftrag in Kitas
Ina Blumenthal bringt es zu Beginn der Veranstaltung direkt auf den Punkt: „Die Realität vielerorts zeigt die große Not vieler Mitarbeitenden in den Kitas. Fehlende Fachkräfte, zu wenig finanzielle Unterstützung und der stagnierende Ausbau von Kita-Plätzen im Land.“ Hinzu kämen noch die Sorgen und Nöte der Eltern. Der Personalmangel sei landauf und landab ein Problem. Oftmals würden Kitas wegen Personalmangel geschlossen bleiben. Was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf tagtäglich für die Betroffenen vor enorme Herausforderungen stelle.
Die verbleibenden Erzieherinnen und Erzieher vor Ort seien am Limit. So berichtete eine Fachkraft während des Kita-Gipfels in Schwelm, dass der Bildungsauftrag in den Kitas enorm auf der Strecke bliebe, da man schlichtweg keine Zeit habe, um den Kindern vorzulesen oder mit ihnen zu spielen. Aktuell ginge es nur noch wie in einer „Abfertigung“ zu – man wickelt, man füttert, man dokumentiert. Mehr sei nicht drin.
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Der Beruf der Erzieherin und des Erziehers habe sich verändert, sei schon lange kein Traumjob mehr. Die Träger bemängelten die fehlende Unterstützung seitens der schwarz-grünen NRW-Landesregierung, wie die SPD-Abgeordneten vom Kita-Gipfel berichten. Die kürzlichen Lohnkostensteigerungen könnten nicht gänzlich von den Trägern aufgefangen werden. Die Gelder, die seitens des Landes geflossen sind, seien lediglich ein Tropfen auf dem heißen Stein. Kirsten Stich ergänzt: „Wenn keine weiteren Finanzspritzen seitens des Landes folgen, wird es eine solche Trägervielfalt, wie wir sie aktuell noch haben, bald nicht mehr geben.“
Warnung vor U3-Unterdeckung
„Wenn das passiert, werden noch mehr Kita-Plätze wegbrechen. Bereits jetzt fehlen in NRW 110.000. Das liegt unter anderem an zu wenig Fachkräften in den Kitas. Kinder können in den Einrichtungen nicht mehr aufgenommen werden, weil das Personal fehlt“, erklärt auch Dr. Dennis Maelzer, der Familienpolitische Sprecher der SPD-Landesfraktion, ebenfalls Besucher des Kita-Gipfels. Ob Träger, Einrichtungsleitung oder Mitarbeitende, sie fordern gemeinsam: Es muss gehandelt werden. Es braucht Lösungsansätze, die kurzfristig greifen, um schnellstmöglich diese Krise zu überwinden. Andernfalls drohe der Kita-Kollaps.
„Die Realität vielerorts zeigt die große Not vieler Mitarbeitenden in den Kitas. Fehlende Fachkräfte, zu wenig finanzielle Unterstützung und der stagnierende Ausbau von Kita-Plätzen im Land.“
Träger, die nicht wissen, wie sie heute ihre Erzieherinnen und Erzieher bezahlen sollen, bauen verständlicherweise keine neuen Kitas oder weiten ihr Angebot aus, hatte Ina Blumenthal vor ein paar Wochen erklärt. So sinke im Ennepe-Ruhr-Kreis im nächsten Kindergartenjahr 2024/25 die Zahl der Plätze für Unterdreijährige um 31 auf dann nur noch auf 835. Für Familien, die auf einen Kita-Platz angewiesen seien, sei diese Fehlentwicklung eine Hiobsbotschaft.
In Gevelsberg war über Jahre hinweg ein neuer Kindergarten nach dem nächsten entstanden. Mit einer Übergangseinrichtung sind es derzeit 17 an der Zahl. Der Bedarf an Betreuungsplätzen wuchs stetig. Zwar rechnet die Stadt damit, dass die Nachfrage in den kommenden Jahren insgesamt sinkt. Dafür ausschlaggebend sind die Geburtenzahlen. Im u3-Bereich deuteten die Zahlen im Frühjahr aber noch darauf hin, dass es künftig weitere Plätze braucht – auch wenn die Situation laut Stadt Gevelsberg aktuell gut sei und lediglich zwei u3-Kinder aktuell keinen Platz hätten.
In Ennepetal war der Stand im Frühjahr 2024 so, dass die Stadt mit Ausbau von Kita-Plätzen kaum hinterherkam. Selbst unter Berücksichtigung der neu entstehenden Plätze im Familienzentrum/MGH „fehlen konkret und aktuell 136 Betreuungsplätze für Kinder über drei Jahren, sowie 286 Plätze ab dem ersten Lebensjahr“, hatte es damals vonseiten der Stadt geheißen. Würde für alle Kinder der bestehende Rechtsanspruch (ab einem Jahr) eingefordert, fehlten insgesamt 400 Betreuungsplätze.