Schwelm/Gevelsberg/Ennepetal. Die Sanierung des Kreishauses in Schwelm müssen die neun EN-Städte zahlen - mindestens 141 Millionen Euro. Sie wollen die Pläne sofort stoppen.
Jetzt wird der Ton rauer beim Streit darum, ob das Schwelmer Kreishaus für mindestens 141 Millionen Euro so schnell wie möglich saniert werden muss. In seltener Einigkeit steigen die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aller neun Städte des Ennepe-Ruhr-Kreises Landrat Olaf Schade auf das - zugegebenermaßen marode - Dach. Sie fordern einen Planungsstopp für mindestens ein halbes Jahr, weil sie darum fürchten, dass die Kreisverwaltung sie mit ihren teuren Plänen in die Pleite treibt. Denn: Am Ende werden die gesamten Sanierungskosten auf die Kommunen umgelegt und deren Kämmereien haben keine andere Chance, als die Millionen-Summen zu überweisen.
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Diese Verbrüderung der städtischen Verwaltungsspitzen gegen das Millionen-Projekt ist dabei der neue Höhepunkt einer seit Jahren währenden Auseinandersetzung, die zuletzt von einem großen Hin und Her geprägt war. Die Ausgangslage ist dabei eindeutig: Das 50 Jahre alte Kreishaus ist über all die Dekaden baulich kaum saniert worden. Die Substanz ist statisch beim Parkhaus bedenklich, die Elektrik muss dringend erneuert werden, es tropft durch das Dach, das Trinkwasser hat schlechte Qualität, der Brandschutz ist nicht mehr gewährleistet, PCB und Asbest sind als Giftstoffe verbaut worden.
Mindestens 100 Millionen Euro sollte das Gesamtprojekt nach groben Schätzungen vor der Corona-Pandemie kosten. Das ist längst überholt. Gleichzeitig haben vor allem die Flüchtlingskosten nach dem Ukraine-Krieg, die Inflation und ihre eigene marode Infrastruktur die kommunalen Kämmereien in schwere finanzielle Krisen gestürzt. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zählten mit ihren Beigeordneten und Kämmerern den Landrat zunächst in der Runde der Hauptverwaltungsbeamten deutlich an, dass sie dieses Projekt finanziell nicht stemmen können.
Olaf Schade und sein zuständiger Fachbereichsleiter Christian Kappenhagen, reagierten. „Mit Blick auf die große finanzielle Belastung der Kommunen wollen wir die Sanierung nun einige Jahre in die Zukunft schieben“, teilte Olaf Schade Ende Juli mit. Da lief gerade noch die Prüfung, ob Gebäude und Parkdeck noch fünf bis zehn Jahre mit Flickschusterei durchhalten.
Beruhigung hielt nicht lange an
Die Beruhigung, die daraufhin zunächst in den Chefetagen der Rathäuser eingesetzt hatte, war jedoch nur von kurzer Dauer. Denn exakt einen Monat später lag das Gutachten vor und kommt zu dem Schluss, dass alles andere als eine sofortige Sanierung die Kosten nur noch weiter in die Höhe treiben wird. Generalplaner SSP AG und die Verfasser der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung PSPC, agieren dabei mit gigantischen Zahlen und starken Worten. „Die Sanierung ist notwendig, um das Gebäude sicher und ohne Gefährdungen für Leib und Leben weiter betreiben zu können“, heißt es in der Vorlage an die Politik. Der angedachte Aufschub würde die Kosten auf 273 Millionen Euro treiben und damit nahezu verdoppeln, im Vergleich zu einem Baubeginn im Jahr 2027.
Die Entscheidung liegt bei den Politikern des Kreistags, der in seiner Sitzung am 30. September darüber befinden wird. Das allerdings möchten die Rathaus-Spitzen aus Schwelm, Gevelsberg, Ennepetal, Breckerfeld, Sprockhövel, Wetter, Herdecke, Witten und Hattingen nun verhindern. Mit dem Aussetzen der Planungen wollen sie neuerliche Beratungen erreichen, in denen eine „von allen kreisangehörigen Städten konsensuell mitgetragene Variante einer Kreishaussanierung zu erarbeiten“ ist. Deutlich machen sie, dass sie in jedem Fall die 141 Millionen nicht mittragen werden. „Diese Variante muss kostenmäßig deutlich unterhalb des Betrages der jetzt von der Kreisverwaltung favorisierten Sanierungslösung liegen.“
Sie fordern zudem, „innerhalb der Budgetierung des Projekts jeden Kostenansatz zu vermeiden, der über die unabdingbaren Sanierungs- und Bestandssicherungsmaßnahmen hinausgeht.“ Insbesondere sehen sie die Kosten für die Parkplatzsanierung als deutlich zu hoch an: 32,5 Millionen Euro setzt PSPC allein dafür an. Zur Einordnung: Der gesamte Neubau der Gevelsberger Hauptfeuerwache, die im Jahr 2021 in Betrieb ging, kostete weniger als 20 Millionen Euro. Ein weiterer Knackpunkt: Den Städten fehlen ein schlüssiges Raumkonzept und eine Berechnung der Kosten für einen langfristigen Betriebserhalt ohne Kernsanierung.
Sie machen deutlich: „Die Städte im Ennepe-Ruhr-Kreis werden sich im Prognosezeitraum der nächsten fünf Jahre in der schwersten Finanzkrise der letzten Jahrzehnte befinden.“ Gleichwohl stünden sie selbst vor immensen Herausforderungen, was den gesetzlich vorgeschriebenen Ausbau des Ganztags, die eigenen Gebäude, die weit entfernt von klimafreundlich sind, sowie eine marode Infrastruktur anbelangt.
Durch die Blume werfen sie Landrat Olaf Schade und seinen Leuten vor, auf Kosten der Bürger unnötig luxuriös zu planen, was sich in dem Schreiben wie folgt liest: „In diesem Spannungsverhältnis darf sich ein Landkreis, dessen vornehme Aufgabe unter anderem ein Ausgleich der Lebensverhältnisse in den kreisangehörigen Kommunen ist, keine Standards leisten, die alles übersteigen, was die Städte sich selbst für ihre Bürgerinnen und Bürger sowie ihre Beschäftigten zu leisten imstande sind.“ Nicht zuletzt als kommunale Finanzaufsicht, die über die geordneten Verhältnisse in den Stadtkassen wacht, dürfe der Kreis diese nicht selbst über Gebühr belasten.
Sie hoffen darauf, dass der Kreistag ihrer Bitte nachkommt. Spannend: Eine große Anzahl der Kreistagsmitglieder ist parallel auch Mitglied in den Räten der neun Kommunen. Teilgenommen an dem Treffen in Gevelsberg haben: Bürgermeister André Dahlhaus (Breckerfeld), Bürgermeister Lars König (Witten), Bürgermeister Claus Jacobi (Gevelsberg), Beigeordneter Dennis Osberg (Herdecke), Bürgermeister Stephan Langhard (Schwelm), Bürgermeisterin Sabine Noll (Sprockhövel), Bürgermeister Frank Hasenberg (Wetter). Digital zugeschaltet waren der Zusammenkunft außerdem Bürgermeisterin Dr. Katja Strauss-Köster (Herdecke), Bürgermeisterin Imke Heymann (Ennepetal) sowie Kämmerer Frank Mielke (Hattingen, in Vertretung von Bürgermeister Dirk Glaser).