Gevelsberg. Aylin Elstner ist die einzige Mütterpflegerin im EN-Kreis. Was es mit diesem noch unbekannten Beruf auf sich hat.
Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen. Wer kennt es nicht, dieses alte afrikanische Sprichwort? Immer weniger Frauen in Deutschland haben aber die Unterstützung eines Dorfs. Oftmals gibt es keine Verwandten in der Nähe oder sonst ein enges Netzwerk, auf das sie nach der Geburt und auch generell während der Kindererziehung bauen können. Mütterpflegerinnen wie Aylin Elstner aus Gevelsberg wollen Abhilfe schaffen und in schwierigen Situationen die Frauen entlasten. Noch ist es ein neuer und unbekannter Beruf, aber einer, der in Zukunft immer wichtiger werden könnte.
Eine Mütterpflegerin ersetzt keine Hebamme
„Meine Arbeit beginnt da, wo die der Hebamme endet“, erklärt Aylin Elstner. Ihr Beruf decke keinerlei medizinische Leistungen ab. Dafür habe sie in der Regel mehr Zeit und ein höheres Stundenkontingent, als Hebammen, die oft lediglich 20 Minuten bei einer Patientin verbringen können, bevor sie weiter müssen. Wie viel Zeit genau sie in der Woche für ihre Klientinnen zur Verfügung hat, hängt von der Bewilligung der Krankenkassen ab. Über eine ärztliche Notwendigkeitsbescheinigung kann ihre Tätigkeit über die Krankenversicherungen der Mütter abgerechnet werden.
„Meine Arbeit beginnt da, wo die der Hebamme endet.“
Für so eine Bescheinigung könne es viele Gründe geben. Psychische Belastung der Mutter, Bettlägerigkeit in der Schwangerschaft, eine komplizierte Geburt und gesundheitliche Folgen, Mehrlingsgeburten oder eine alleinerziehende Frau. Grundsätzlich kann man eine Mütterpflegerin in Anspruch nehmen, bis das jüngste Kind zwölf Jahre alt ist. Das würde dann Mütter in Krankheit, zum Beispiel Krebspatientinnen, betreffen. Vor allem aber sind es Mütter vor der Geburt, im Wochenbett und während des ersten Jahres mit Baby, die sich bei ihr melden. Wichtig für die Beantragung sei es, dass niemand mit im Haushalt lebt, der tagsüber unterstützen kann. Das betreffe aber nicht nur Alleinerziehende, sondern auch Frauen, deren Partner schlichtweg berufstätig sind. Familien, die es sich leisten können, haben aber auch die Möglichkeit, ihre Dienste privat zu zahlen.
Mehr als nur eine Haushaltshilfe
Einen eigenen Antrag für Mütterpflege gibt es nicht - noch nicht, wie Aylin Elstner hofft. Zurzeit läuft es als Antrag für eine Haushaltshilfe, dabei sei sie viel mehr als das. „Die Unterstützung, die ich gebe, ist komplett unterschiedlich von Familie zu Familie“, sagt die 35-Jährige. Sie würde zwar auch viel im Haushalt helfen, Einkäufe mitbringen und Essen kochen, mal schnell die Küche aufräumen oder das Bett neu beziehen. Sie könne aber auch Raum dafür schaffen, dass die Mutter mal kurz etwas Zeit für sich hat und beispielsweise in Ruhe duschen kann, während sie das Baby in die Trage nimmt.
Auch Hilfestellungen bei der Rückbildung oder beim Stillen sind möglich. Ein Fußbad, Massagen, emotionale Gespräche von Frau zu Frau, Unterstützung bei der Alltagsbewältigung, kurzzeitige Betreuung von Geschwisterkindern. Ihr Arbeitsalltag kann ganz verschieden aussehen, je nach Bedarf der entsprechenden Mutter und ihrer individuellen Situation. Zu Beginn jedes Besuchs führt Aylin Elstner immer ein kurzes Gespräch und fragt: „Was brauchst du heute am meisten?“ Sie habe aber auch persönliche Grenzen, die sie klar kommuniziere. Um als Reinigungskraft für das persönliche Chaos ausgenutzt zu werden, sei sie nicht da.
Im Zuhause der Familien, die sie betreut, darf sie sich in der Regel frei bewegen. „Ich darf jede Schublade öffnen und weiß, wo alles zu finden ist.“ Oft guckt sie einfach selbstständig, was gerade zu tun ist. „Ich frage nicht ständig, was kann ich machen. Ich mache einfach.“ Sie habe auch schonmal einen Ikea-Schrank aufgebaut. „Weil es sich einfach so ergeben hat“, erzählt sie lachend. „Ich bin die beste Freundin auf Zeit. Vor der man kein schlechtes Gewissen haben muss oder sich schämen muss, mit der man ganz offen reden kann“, so beschreibt sie ihre Tätigkeit selbst.
Traumjob gefunden
Wie es sich anfühlt, nach der Geburt größtenteils alles alleine managen zu müssen, weiß Aylin Elstner nur zu gut. Die 35-Jährige hat selbst drei Kinder und einen Mann, der mit eigenem Tattoo-Studio in Gevelsberg beruflich sehr eingespannt ist. „Ich hätte dreimal eine Mütterpflegerin in Anspruch genommen“, sagt sie in Bezug auf ihre eigene Situation. Sie ist zugezogen und hat in der näheren Umgebung keine Familie, die sie damals unterstützen konnte.
Der Bedarf scheint hoch. Aktuell arbeitet sie aufgrund der eigenen Kinder nur halbtags als Mütterpflegerin, betreue aber seit Mai 2023, wo sie mit ihrem ersten Auftrag in die Selbstständigkeit startete, durchgehend ein bis drei Klientinnen die Woche. Für sie ist es ein Traumjob. Gelernt hat sie ursprünglich Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte, die vergangenen zehn Jahre hat sie aber, wenn sie nicht in Elternzeit war, im Tattoo-Studio ihres Mannes mitgearbeitet. Beide Jobs haben sie nicht erfüllt. Jetzt fühlt sie sich beruflich angekommen und hat dafür auch mehrere Tausend Euro in die eigene Ausbildung gesteckt.
Mütterpflege und Geburtsbegleitung
Neben der Ausbildung zur Mütterpflegerin, hat sich Aylin Elstner dazu entschlossen auch eine Ausbildung zur Doula zu absolvieren. Als Doula begleitet sie Frauen als emotionale Stütze während der Geburt. Das sei eine rein privat buchbare Leistung. „Das ersetzt natürlich nicht Arzt oder Hebamme“, betont sie auch hier. Sie sieht auch dieses Feld als Ergänzung zur medizinischen Betreuung. Sie würde die gesamte Zeit der Geburt nicht von der Seite der Frauen weichen, anders als das medizinische Personal, das im Kreißsaal in der Regel mehrere Patienten gleichzeitig betreuen muss.
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Ausgerechnet dem medizinischen Personal, so ihre Erfahrung, fehle es aber oft an Verständnis für ihren Beruf. „Ich weiß nicht, wie oft ich mit Ärzten, Hebammen und Krankenkassen herumdiskutiert habe.“ Auch hier wäre der Job noch gar nicht wirklich bekannt und oft würden sie nicht verstehen, was das überhaupt soll. „Gleichzeitig sehe ich dann die Mütter, die ich betreue. Die sind fix und fertig, haben Tränen in den Augen. Dann bin ich ein paar Tage da und die blühen richtig auf.“
Früher hätten die Frauen es schließlich auch so geschafft, würde sie oft hören. Früher wohnte man aber auch noch häufiger nah an der Familie dran, waren Mehrgenerationenhäuser üblicher, die Frauen mussten nicht möglichst schnell wieder arbeiten gehen und auch Großeltern waren früher in Rente und hatten mehr Zeit, zu helfen. Alles Faktoren, die sich stark verändert haben in der heutigen Gesellschaft.
Wünsche für die Zukunft
Laut MDEV, dem Verband für Mütterpflege, gibt es aktuell nur zwischen 200 und 300 Mütterpflegerinnen in ganz Deutschland. Aylin Elstner ist laut Verband die einzige im Ennepe-Ruhr-Kreis. Sie hofft, dass es in Zukunft mehr von ihrer Sorte gibt und dass die Kommunikation zwischen Hebammen, Ärzten und Mütterpflegerinnen besser klappt. Ein unkomplizierteres Antragsverfahren bei den Krankenkassen ist aber ihr größtes Anliegen. „Die Mütter brauchen sofort Hilfe, wenn sie mich kontaktieren.“ Der Prozess der Antragsbewilligung würde aber oft lange dauern. Zudem wünscht sie sich einen eigenen Antrag auf Mütterpflege mit einem einheitlichen Stundensatz, der ihre wichtige Arbeit anerkennt und wertschätzt.