Gevelsberg. Gutachter bescheinigt Gevelsberger Richterin volle Schuldfähigkeit. Staatsanwaltschaft will lange Haft, Verteidigung einen Freispruch.
Sollte das Gericht der Staatsanwaltschaft folgen, wären die Karriere beendet und die 37-jährige Richterin würde für geraume Zeit ins Gefängnis gehen. Drei Jahre und zehn Monate Haft forderte Anklagevertreterin Mareike zur Heiden als Strafe dafür, dass die Gevelsbergerin Akten manipuliert und versteckt haben soll, um ihre Verfehlungen zu verschleiern. Viele Gründe für eine milde Strafe waren ihr nicht eingefallen und der psychiatrische Gutachter Dr. Nikolaus Grünherz hatte der Frau volle Schuldfähigkeit bescheinigt. Auf recht verlorenem Posten befindet sich hingegen Verteidiger Torsten Giesecke, der zwar Freispruch für seine Mandantin forderte, zuvor jedoch in einem Rechtsgespräch mit seiner Bitte um ein Urteil unter einem Jahr auf taube Ohren bei der Staatsanwaltschaft stieß.
Die Biografie
Gutachter Grünherz befasste sich auch mit dem Leben der Gevelsbergerin, um zu ergründen, ob sich dort Spuren ergeben, die ihr Verhalten erklären. 1984 geboren wuchs sie mit einer jüngeren Schwester in Gevelsberg auf. Die Mutter ein Putzteufel, der Vater eher unordentlich, eine behütete Kindheit, ein liebevolles Elternhaus – so beschrieb sie im Gespräch ihr Aufwachsen. Sie selbst sei stets Mitläuferin gewesen, habe nie Blödsinn gemacht, sei langweilig, schüchtern gewesen, immer darauf bedacht, von anderen gut bewertet zu werden, sich richtig zu verhalten. Die Schule erledigte sie ohne Probleme, das Studium absolvierte sie ebenso glatt. Die Richterkarriere verlief gradlinig, sie verdiente sich Wertschätzung und Respekt der Kollegen, wie auch der Anwaltschaft.
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Als sie 20 Jahre alt war, trennten sich die Eltern, ab hier beschrieb sie im Gespräch mit dem Gutachter einen zunehmenden Druck durch die Mutter, die sie „für unangenehme Dinge instrumentalisiert habe“, wie Dr. Nikolaus Grünherz sagt. Dies habe zugenommen, als der Lebensgefährte der Mutter im Jahr 2016 plötzlich verstorben sei – das Jahr, in dem sie die ersten Akten nicht mehr weiterbearbeitet hatte. In ihrem letzten Wort sagte sie. „Ich bin selbst erschrocken über mein Unterbewusstsein. Es tut mir leid.“
Das Gutachten
Was am Ende bei der Strafzumessung zählt, ist die volle Schuldfähigkeit, die der Sachverständige Dr. Nikolaus Grünherz der Frau bescheinigte. Zwar liege bei ihr eine Prokrastination vor. Heißt: Betroffene erledigen ohne Rücksicht auf Konsequenzen Aufgaben fortwährend nicht. Dies reiche im Fall der 37-Jährigen allerdings nicht aus, um juristisch relevante Einschränkungen zu bescheinigen, denn abseits der 14 Straf- und Familienfälle, die die Anklage auflistet, erledigte sie mehr als 95 Prozent ihrer Aufgaben absolut fehlerfrei, oft sogar vorbildlich. Einen wirklichen Grund, warum sie diese Arbeitsblockade bei ganz bestimmten Akten entwickelte, konnte auch der Psychiater nicht herausarbeiten. Angst, Scham, der Drang Konflikten aus dem Weg zu gehen, könnten Gründe sein, warum sie auch unter größtem Druck nicht begonnen hatte, die Fälle abzuschließen, so der Fachmann.
Die Staatsanwaltschaft
Drei Jahre und zehn Monate soll die 37-Jährige nach Meinung der Staatsanwaltschaft für ihre Taten ins Gefängnis gehen. Die Verschleierungsversuche, die Manipulationen und die Versuche, ihre Versäumnisse anderen in die Schuhe zu schieben, hätten eines deutlich gemacht: „Ihre kriminelle Energie ist erheblich gewesen, sie handelte in allen Fällen vorsätzlich. Ohne Skrupel war ihr daran gelegen, ihre Taten zu vertuschen.“ Aus den Taten hätten sich einerseits erhebliche Folgen für die Beteiligten der Verfahren ergeben. Unter anderem saß ein Mann lange im Gefängnis, ein Vater hat fast zwei Jahre seine Kinder nicht sehen dürfen. Andererseits hätten ihre Taten dafür gesorgt, „das Ansehen der Justiz zu schädigen und das Vertrauen in die Justiz erheblich zu erschüttern.“
Die Verteidigung
Verteidiger Torsten Giesecke hatte offenkundig mit einem besseren Ausgang dieses Prozesstages für seine Mandantin gerechnet. Zunächst legte er Hoffnung in ein Rechtsgespräch mit Gericht und Staatsanwaltschaft hinter verschlossenen Türen. Seine Ziel: elf Monate auf Bewährung. Damit hätte die Gevelsbergerin ihren Beamtenstatus behalten. Doch das lehnte die Staatsanwaltschaft ab.
Sein Plädoyer eröffnete er anschließend mit den Worten: „Ich bin erschlagen worden von der Staatsanwaltschaft.“ In seinem Abschlussvortrag drängte er darauf, dass Beweise, die im Büro der Richterin gefunden wurden, nicht verwertet werden dürfen, dass keine Beweise dafür vorliegen, dass eine Mandantin eine Akte am Amtsgericht falsch eingeordnet habe. Entscheidend für ihn ist zudem, dass seiner Mandantin kein Vorsatz unterstellt werden könne. Dies habe zur Folge, dass die Rechtsbeugung nicht vorliege. Seine Forderung: Freispruch.
Das Urteil
Das Urteil fällt die Kammer um den Vorsitzenden Richter am Landgericht, Christian Potthast, am kommenden Donnerstag, 18. November. Bereits jetzt ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dieses Urteil in die Revision vor den Bundesgerichtshof gehen wird.