Dortmund. Crack macht aggressiv und paranoid. Ein Ex-Konsument erzählt, wie die Droge ihn veränderte und warum er das irgendwann nicht mehr aushielt.
Fast sein halbes Leben lang stand Jason im Bann der Droge Crack. Der Stoff ist tückisch, macht so schnell und stark abhängig wie kaum ein anderes Rauschgift. Die Folge: Aggressivität, Depression, Verwahrlosung, Gefängnis. All das hat Jason selbst erlebt, hat Menschen in seinem Umfeld verletzt und verloren. Und obwohl Versuche, vom Crack wegzukommen, in der Vergangenheit scheiterten, hat er jetzt neuen Mut gefasst.
Crack wird eher nicht von Neueinsteigern geraucht, die meisten Konsumenten sind bereits vorher süchtig. Auch Jason war Alkoholiker und nahm Kokain, bevor er die Droge probierte: „Ich hatte eine scheiß Kindheit und viel Gewalt erlebt. Mein Vater war Alkoholiker, meine Mutter war Alkoholikerin. Das prägt.“
Crack macht schnell abhängig: „Danach ging gar nichts mehr“
An den ersten Kick kann sich der Mittvierziger aus der Nähe von Dortmund gut erinnern. Sofort habe er gespürt: „Es ist viel intensiver als bei Koks. Ich habe eingeatmet, ausgepustet, und als der Kick abgeklungen war, wollte ich mehr.“ Das ist rund 20 Jahre her, und die Droge hat sein Leben seitdem stark beeinflusst: „Danach ging gar nichts mehr.“
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Zum Beispiel Arbeiten. „Ich habe zwischendurch versucht aufzuhören und mein Leben über Arbeit in den Griff zu kriegen. Das hat drei, vier Wochen funktioniert, dann fing alles wieder von vorne an.“ Einmal habe er innerhalb von drei Jahren acht verschiedene Arbeitgeber gehabt.
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Durch Crack werde man ein völlig anderer Mensch, sagt Jason: „Du wirst richtig asozial anderen gegenüber, bist nur noch auf deinen Vorteil fixiert, tust fast alles, um an Kohle zu kommen.“ Zwischenzeitlich musste er für einen schweren Diebstahl für 17 Monate ins Gefängnis. „Das war auch gut so – ich weiß nicht, wie weit ich noch gegangen wäre.“ Jason erinnert sich an die Aggressivität, die er damals empfand: „Wenn man kein Geld kriegt, rastet man richtig aus.“
Basis von Crack: Kokain ist in Dortmund ständig verfügbar
Er berichtet von starker körperlicher Verwahrlosung: „Waschen, umziehen, man macht halt nichts mehr. Wichtig ist nur der Konsum.“ Vier, fünf Tage lang habe er manchmal durchgefeiert. Eine Zeit lang habe er viel Kontakt zu anderen Konsumenten gehabt, „eine Zweckgemeinschaft“, wie Jason sagt. Irgendwann habe er sich zurückgezogen: „Jeder schiebt einen anderen paranoiden Film. Der eine steht mit Messer am Türspion, der andere nimmt die Akkus aus den Handys. Das hat mich fertig gemacht.“
Das Crack stellen die Konsumenten meist selbst her: „Wir haben Koks gekauft und das dann aufgekocht mit Natron oder Ammoniak.“ Kokain sei in und um Dortmund ständig verfügbar, falle ein Dealer weg, bekomme man innerhalb weniger Tage drei neue Handynummern.
In den 20 Jahren gab es längere Phasen, in denen Jason clean war. Einmal hätte er es fast geschafft, ganz vom Crack wegzukommen: „Nach dem Knast war ich mehr als anderthalb Jahre lang clean. Ich hatte einen Therapieplatz und ein Praktikum und danach sofort eine Stelle als Stahlbauschlosser.“ Dann der Rückfall: „Ich hatte einen Bandscheibenvorfall, konnte nicht mehr arbeiten und keinen Sport mehr machen.“ Langeweile und Zukunftsängste hätten ihn wieder aus der Bahn geworfen.
„Meine Tochter wollte mit mir nicht mehr sprechen“
In der Folge entwickelte Jason immer stärkere Depressionen. „Ich bin gar nicht mehr raus, hatte Panikattacken und wollte nur noch konsumieren.“ Zwischen den Kicks kamen Suizidgedanken auf, „weil alles über einen einbricht“. Auch Jasons im Ausland lebende kleine Tochter habe bei Videotelefonaten gemerkt, „dass mit Papa irgendwas nicht stimmt. Die wollte mit mir nicht mehr sprechen“.
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Mitte 2023 habe er diesen Zustand nicht mehr ausgehalten: „Ich will vernünftig leben, nicht nur dahinvegetieren.“ Er ging zur Suchtberatung und beantragte den Platz in einer Therapieeinrichtung. Sechs Monate Wartezeit überbrückte Jason dennoch mit Crack.
Am 28. Januar, das weiß Jason genau, habe er zum letzten Mal Crack geraucht. Am Tag darauf ging es für 14 Tage in die Entgiftung. Seitdem befindet er sich in Hagen in stationärer Therapie, habe in die Einrichtung und ihre Mitarbeiter großes Vertrauen: „Dort habe ich das Gefühl, dass ich es schaffe. Die ganzen Probleme, die traumatischen Dinge, die ich erlebt habe, die fange ich jetzt an aufzuarbeiten.“
Café Kick in Dortmund: Wichtiger Anlaufpunkt für Süchtige
Und danach? In seinen Heimatort in unmittelbarer Nähe von Dortmund will Jason auf keinen Fall zurück: „Das ist verbrannte Erde, zu viele Erinnerungen an Konsum, da wäre der Rückfall vorprogrammiert.“ Am liebsten wäre ihm Wald um sich herum. Nach der Therapie soll er jedenfalls ambulante Nachsorge erhalten, will dann zu einer Selbsthilfegruppe gehen. Mut und Freude machen ihm auch die Videogespräche mit der siebenjährigen Tochter, die wieder täglich stattfinden: „Es macht mich glücklich, wenn sie singt und tanzt.“
Über die eigene Geschichte hinaus hofft Jason, dass sich der gesellschaftliche Umgang mit Drogensucht verändert. Beispielhaft nennt er Ordnungsamt und Polizei, die mitunter sehr rabiat mit Abhängigen umgehen würden. „Aber das sind kranke Menschen! Leider ist die Suchtkrankheit in der Gesellschaft nicht so anerkannt wie andere Krankheiten.“
Auch die von der Stadt Dortmund geplante Verlegung des Drogenkonsumraums Café Kick sieht er kritisch. Abhängige könnten das letzte bisschen Halt verlieren, sollte sich der neue Standort als weniger günstig erweisen: „Das Café Kick ist ein zentraler Anlaufpunkt, da kommen Leute aus vielen Stadtteilen hin. Das ist auch eine Gemeinschaft, wie wenn ein Mensch in die Kneipe geht und sich mit seinen Kumpels trifft.“
Anmerkung: Der Name Jason ist ein Pseudonym. Der richtige Name des Mannes ist der Redaktion bekannt.