Dortmund. Viele Schulen in NRW sind ohne Leitung. Eine Dortmunder Schulleiterin zeigt ihren Alltag – und verrät, warum der Job so unbeliebt ist.
- In NRW vielen Hunderte Schulleiterinnen und Schulleiter. Besonders groß ist das Problem an Grundschulen.
- Gleichzeitig zeigt eine neue Studie: Fast die Hälfte aller Schulleitungen in NRW würde ihren Job nicht mehr weiterempfehlen.
- Vor welchen Herausforderungen stehen die Schulleitungen hierzulande? Andrea Heil zeigt ihren Arbeitsalltag.
Andrea Heils Telefon klingelt im Minutentakt. „Guten Morgen. Ja, die Kollegin ist krank und fällt erstmal aus. Aber wir kriegen das schon hin“, sagt sie, als sie dieses Mal den Hörer abnimmt. Dann notiert sie „Vertretungsplan überarbeiten“ auf ihrer To-Do-Liste. Die umfasst jetzt, um gerade mal 8.30 Uhr, schon weit mehr als zehn Punkte. Heil ist im Landesvorstand des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) und leitet die Comenius Grundschule in Dortmund. 330 Schülerinnen und Schüler werden hier von 24 Lehrkräften unterrichtet. Seit vier Jahren ist die 46-Jährige als Rektorin für so ziemlich alles vor Ort verantwortlich.
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Aber viel Zeit, ihre Aufgaben abzuarbeiten, bleibt ihr nicht. Vor der Tür warten bereits die ersten Kolleginnen und Kollegen. Eine Lehrerin erzählt, dass zwei Schüler ihrer Klasse sich mal wieder gestritten haben. Eine OGS-Mitarbeiterin will den Plan fürs nächste Halbjahr durchgehen. Und der Hausmeister braucht Hilfe, weil er die Reinigungsfirma nicht erreichen kann. Alle wollen etwas von Heil. Mal Lob, mal Trost, mal eine Idee. Vor allem aber Entscheidungen. Und das den ganzen Tag über.
Viele Schulleitungsposten in NRW sind unbesetzt
Menschen wie Andrea Heil werden in NRW dringend gesucht. An knapp neun Prozent aller Schulen ist hierzulande keine Schulleiterin oder kein Schulleiter tätig. Das zeigen aktuelle Zahlen des Landesschulministeriums. Besonders betroffen sind Grundschulen: An 229 von insgesamt 2719 Grundschulen fehlt aktuell eine Schulleitung.
Wer Andrea Heil einen Vormittag lang begleitet, versteht, wie wichtig Schul leiterinnen und Schulleiter für das gesamte Bildungssystem sind – und warum immer weniger Menschen den Job übernehmen wollen.
9 Uhr: Als Heil den Klassenraum betritt, winkt sie den Drittklässlern kurz zu. Dann setzt sie sich auf den Stuhl in der Ecke. Lehramtsprüfung. Während die Referendarin mit den Kindern Matheaufgaben löst, notiert sich Heil, was gut im Unterricht läuft und was nicht. Sie hält das rote Klemmbrett fest in der Hand, trägt eine weiße Bluse und eine grüne Weste, „denn die Heizung geht erst um sieben Uhr an, also ziehe ich mich morgens warm an.“
Andrea Heil ist immer die Erste, die kommt. Auch, um Kaffee für das Kollegium zu kochen und ihnen einen guten Start in den Schultag zu ermöglichen. Für eine gute Arbeitsatmosphäre zu sorgen, sei eine ihrer wichtigsten Aufgaben.
Bevor sie Rektorin wurde, war sie ebenso lange Stellvertreterin. Lange Arbeitstage, viel Bürokratie und noch mehr Verantwortung: Sie wusste, was auf sie zukommen würde. „Als ich vor der Entscheidung stand, ob ich Schulleiterin werden will, habe ich mich gefragt: Will ich den Weg wirklich gehen oder nicht? Ich wollte und will Schule gestalten. Aber ohne mein tolles Team hätte ich es nicht gemacht.“
Dortmunder Schulleiterin wünscht sich mehr Anerkennung
9.45 Uhr: Es klingelt zur großen Pause. Das Kollegium versammelt sich im Lehrerzimmer. „Andrea, muss ich die Kopien der Förderempfehlungen im zweiten Schuljahr Donnerstag oder Freitag rausgeben ?“, fragt eine Lehrerin. Und eine andere: „Ich könnte die sechste Stunde Mathe vertretungsweise übernehmen. Wäre das für dich in Ordnung?“
Eigentlich, so Heil, wollte sie neue Ideen für den Unterricht entwickeln, Innovationen anstoßen, schulische Prozesse verbessern. Nun besteht ihr Tag vor allem aus Organisieren und Verwalten. Sie kann verstehen, dass deshalb viele Lehrkräfte nicht in die Leitung wollen.
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Um den Beruf wieder attraktiver zu machen, brauche es zum einen dringend Entlastung, etwa durch mehr Verwaltungs- und Sekretariatsstunden. Zum anderen wünscht sie sich mehr Anerkennung und Wertschätzung, auch durch eine bessere Bezahlung.
Mehr Geld für Schulleitungen in NRW gefordert
„Eine Reformierung des Besoldungsgefüges ist unerlässlich“, sagt auch Wolfgang Siebeck, Vorsitzender der Schulleitungsvereinigung in NRW. Er betont, dass Schulleitungen heute deutlich mehr Aufgaben und damit auch Verantwortung übernehmen müssten als früher. Eine Herausforderung, vor allem in Zeiten des Lehrermangels. „Kollegien nehmen wahr, dass Schulleitungen zwischen Bürokratie und pädagogischem Anspruch aufgerieben werden, viele geradezu ,verheizt‘ werden“, sagt er. Gleichzeitig verdienten Schulleitungen teilweise nur wenige Hundert Euro mehr im Monat als reguläre Lehrkräfte.
Das Problem habe auch die Regierung erkannt. Dort setze man neben Coaching- und Mentorenprogrammen nun auf den direkten Austausch. „Das Ministerium hat begonnen, mit Schulleiterinnen und Schulleitern Gespräche zu führen, um herauszufinden, wie sich die Aufgaben und Arbeitsbedingungen verändert haben und sie noch besser unterstützt werden können“, heißt es dazu vom Schulministerium.
10.30 Uhr: Zurück im Büro, zurück am Telefonhörer. „Okay, verstehe. Ich kümmere mich drum“, sagt Heil am Telefon zu ihrer Sekretärin. „Eltern haben sich beschwert, die werde ich gleich anrufen“, erzählt sie. Gespräche wie diese seien ihr Tagesgeschäft, oft werde sie dabei von Eltern persönlich angegriffen. „Da muss man ein breites Kreuz haben und professionelle Distanz schaffen. Aber es kann trotzdem manchmal sehr belastend sein.“
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11.30 Uhr: Heil kommt zum ersten Mal dazu, ihr Postfach zu öffnen: fast 150 ungelesene Mails. Dann klopft es an der Tür. „Kann ich reinkommen?“, fragt eine Schülerin. „Natürlich, setz dich“, sagt Heil. Das Mädchen hatte Probleme in der Schule, um die sich die Schulleiterin persönlich gekümmert hat. „Danke, dass du mir geholfen hast“, sagt die Schülerin. Sie beugt sich vor und streckt die Arme aus. Heil drückt sie.
60-Stunden-Woche, keine Pausen, immer erreichbar sein für Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrkräfte: Warum Andrea Heil sich das antut? Die Antwort findet sich in Momenten wie diesen. „Die Kinder sind es wert“, sagt sie. „Deshalb brenne ich auch so für den Beruf.“
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