Die verborgene Welt von Schwalbe 1: Ein Nazi-Stollenkomplex
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Balve/Menden/Hemer. Der LWL dokumentiert mit einem 3D-Scanner Hohlräume, Infrastruktur der Flugabwehr sowie Zwangseinrichtungen für Häftlinge
Im Mai 2025 jährt sich das Ende des Zweiten Weltkrieges zum achtzigsten Mal. Neun Monate vor seinem Ende begann noch in letzter Minute ein gigantomanisches Projekt, um im Hönnetal die Produktion von Flugzeugbenzin aus Kohle in einem Hydrierverfahren unter Tage aufzunehmen.
Dieses Projekt mit dem Decknamen „Schwalbe I“ war eines der größten geheimen Bauprojekte der Untertage-Verlagerung des Dritten Reiches. Der Bau mit dem ursprünglichen Decknamen „Eisenkies“ ist eine der größten Stollenanlagen im Sauerland und berührt heute die Stadtgebiete von Hemer, Menden und Balve.
Um die kriegsrelevante Mineralölindustrie vor der völligen Zerstörung durch alliierte Luftangriffe zu schützen, begann man Ende August 1944, also vor 80 Jahren, im versteckt liegenden Hönnetal im Steinbruch Emil 1 der Rheinisch-Westfälischen Kalkwerke mit dem Ausbau einer gigantischen Stollenanlage. Im Dezember 1943 war mit Führerbefehl die Untertage-Verlagerung der kriegswichtigen Industrien angeordnet worden. Die Inbetriebnahme der Anlage war für September 1945 geplant. Als die Amerikaner am 14. und 15. April in das Hönnetal einrückten, waren die Arbeiten bereits eingestellt worden.
Die Archäologie des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) dokumentiert seit 2020 unter der Leitung von Dr. Manuel Zeiler, wissenschaftlicher Referent der LWL-Archäologie für Westfalen, zusammen mit der Speläogruppe Sauerland e.V. die Untertage-Verlagerung. „Anlass für unsere Arbeit ist das Fehlen aussagekräftiger Karten aller untertägigen und übertägigen Elemente der Untertage-Verlagerung“, erklärte Zeiler.
Zu diesen Elementen zählten neben den Hohlräumen, in denen der Aufstellungsort des Hydrierwerks geplant war, auch Außenanlagen der Infrastruktur, der Flugabwehr sowie Zwangseinrichtungen für politische Häftlinge und Zwangsarbeiter.
Abschluss der Erfassung bis Ende November
„Da sich die LWL-Archäologie für Westfalen für dieses Projekt 2022 mit einem 3D-Scanner ausrüsten konnte, gelang es uns mittlerweile sogar, fast alle Hohlräume derart zu dokumentieren“, konnte Zeiler berichten.
„Der Komplex ‚Schwalbe I‘ wird dann diejenige Untertage-Verlagerung in der Bundesrepublik sein, die am umfassendsten archäologisch dokumentiert wurde.“
„Bis Ende November dieses Jahres planen wir die Erfassungsarbeiten abzuschließen und haben dann auch auf Grundlage alliierter Luftbilder neue wichtige Bestandteile ermittelt. Der Komplex ‚Schwalbe I‘ wird dann diejenige Untertage-Verlagerung in der Bundesrepublik sein, die am umfassendsten archäologisch dokumentiert wurde“, so Dr. Zeiler.
Daran werde sich die archäologische Erforschung der Dokumentationsergebnisse anschließen, die interdisziplinär mit Kooperationspartnern, insbesondere aus den historischen Wissenschaften, ausgeführt werden wird. „Ziel ist die Gesamtbeschreibung des Komplexes in seinem historischen Kontext als national bedeutender Erinnerungsort der NS-Gewaltherrschaft“, verdeutlichte Zeiler.
Zwangsarbeiterlager gab es in Lendringsen, Asbeck, Sanssouci und Oberrödinghausen
Körperliche und psychische Gewalt waren auf den Baustellen und in den Lagern alltäglich. Straflager und Zwangsarbeiterlager gab es in Lendringsen, Asbeck, Sanssouci und Oberrödinghausen. Grabstätten, Gedenksteine und ein Mahnmal auf dem Lendringser Friedhof mit den Namen von Menschen aus zehn Nationen erinnern an die Sinnlosigkeit ihres Todes, die Gewalt, die Grausamkeit und das Leiden. Die Namen berichten aber auch von den Auswirkungen einer größenwahnsinnigen, menschenverachtenden Diktatur.
Drei Hinrichtungen am Galgen
Das Kriegstagebuch der Oberbauleitung Schwalbe I gibt für den 30. November 1944 eine Gesamtarbeiterzahl von 6664 Personen an, die unter schlimmsten Bedingungen Stollen in den Fels schlugen, eine Wasserleitung von der Ruhr in das Hönnetal bauten und Gleise verlegten. Hunderte kamen ums Leben. Kai Olaf Arzinger schreibt dazu in seinem Buch „Stollen im Fels und Öl fürs Reich“: „Manch Toter wurde gar nicht erst amtlich registriert. Noch heute finden sich auf dem Beckumer Friedhof Grabsteine mit russischen Namen. Sie sollen aber nicht nur durch Hunger zu Tode gekommen sein. Mancher fiel der Brutalität seiner Bewacher zum Opfer. Zeugen belegen aus dem Lager mindestens drei Hinrichtungen am Galgen...“
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Der Verein Speläogruppe Sauerland (SGS) wurde im Jahr 1978 gegründet. Sein Ziel ist es, die wissenschaftliche Erforschung der sauerländischen Höhlen und historischen Bergwerke zu fördern und gute Kontakte zu den Grundeigentümern und zuständigen Behörden zu pflegen.
Im Text verwendete Quellen: „Kein Düsenjägersprit aus ‚Schwalbe I‘“, Horst Hassel und Horst Klötzer, Zimmermann Druck und Verlag GmbH, Balve sowie „Stollen im Fels und Öl fürs Reich“, Kai Olaf Arzinger, Hans Herbert Mönnig Verlag, Iserlohn.
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