Essen. Der OGS-Ausbau geht voran, ab 2026 gilt der Rechtsanspruch. Doch oft sind die Räume voll, laut und eng. Was Eltern und Lehrer in NRW fordern.
Es ist voll, laut und eng in der Nachmittagsbetreuung der Essener Grundschule. 100 Kinder teilen sich im Offenen Ganztag eine Toilette. Mittags laufen sie in kleinen Gruppen zur Mensa. Sie müssen in Schichten essen, denn für alle ist hier kein Platz. Viel Zeit bleibt ihnen dafür nicht. Auch draußen können nicht alle gleichzeitig toben. Bälle, Hula-Hoop-Reifen und Kreide holen sie aus dem Container, der auf dem Schulhof steht. Eine eigene Turnhalle hat die Schule nicht, bis zur nächsten Halle müssen die Kinder erst mehrere Stationen mit dem Bus fahren.
Das erzählt eine Mutter der Redaktion, deren Sohn in die erste Klasse geht. Ihren Namen möchte sie nicht öffentlich nennen. „Ich habe so sehr auf einen OGS-Platz für meinen Sohn gehofft. Aber dann musste ich feststellen, dass die Betreuung nicht auf die Bedürfnisse der Kinder ausgelegt ist. Alles ist aus der Not heraus geboren“, sagt sie. Schon öfter hat sie darüber nachgedacht, ihren Sohn wieder aus der OGS zu nehmen – und dafür in ihrem Job kürzer zu treten.
Trotz des voranschreitenden Ausbaus sind OGS-Plätze an Rhein und Ruhr rar. Viele Eltern kämpfen noch immer um Plätze für ihre Kinder. Und wenn sie dann Glück haben, kommt häufig die Ernüchterung: Oft leidet die Qualität, kritisieren Lehrkräfte, Eltern und Bildungsexperten. Sie berichten von Kindern, die den ganzen Tag im Klassenraum verbringen, auch zum Mittagessen. Oder von Schülern, die nachmittags zum Malen und Basteln ihre eigenen Schulsachen aus dem Unterricht nutzen müssen, weil es keine Materialien gibt. Und von Konflikten, die auf engem Raum entstehen, und Kindern, die sich daraufhin zurückziehen oder sich selbst aggressiv verhalten.
„Mit dem Rechtsanspruch auf einen OGS-Platz stellt sich zunehmend die Frage nach der Qualität“
„Mit dem Rechtsanspruch auf einen OGS-Platz, den wir dringend brauchen, stellt sich zunehmend die Frage nach der Qualität“, sagt Birgit Völxen von der Landeselternschaft der Grundschulen in NRW. Schon jetzt sind viele Schulen mit der Betreuung überfordert. Mit mehr Kindern in der Nachmittagsbetreuung dürfte sich die Situation zuspitzen. Vom ersten August 2026 an steht bundesweit allen neuen Grundschülern ein OGS-Platz zu. Ab 2029 ist die Nachmittagsbetreuung dann für alle Grundschuljahrgänge obligatorisch, wenn Eltern für ihre Kinder einen Platz wünschen.
Ab dem kommenden Jahr soll die Zahl der Plätze in NRW Schritt für Schritt erhöht werden, von etwa 430.000 auf 480.000. Zum Schuljahr 2028/29 sollen schließlich mehr als 600.000 Plätze zur Verfügung stehen. Dies genügt nach Berechnungen des Schulministeriums, um den Rechtsanspruch garantieren zu können. Ab 2027 werde das Land mehr als eine Milliarde Euro jährlich in den OGS-Ausbau stecken, heißt es.
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Das allein sei jedoch noch lange keine Garantie für eine gute Betreuungsqualität, warnt Birgit Völxen. So müssten der unterrichtliche Teil und der außerunterrichtliche Teil häufig noch besser zusammenwirken, die Betreuung ganzheitlich betrachtet werden. Im OGS-Bereich brauche es mehr Vollzeitstellen, die zudem besser bezahlt werden müssten. „Durch den Fachkräftemangel kann es für das Personal und die Kinder schwierig werden, eine Bindung aufzubauen“, sagt Völxen.
Eine mobile Einrichtung hilft bei wenig Platz an den Schulen
Wie kann die Betreuung trotz vieler Kindern und wenig Platz besser werden? In NRW werden bereits an mehreren Stellen Konzepte ausgearbeitet, unter anderem vom Projekt Serviceagentur Ganztagsbildung NRW vom Institut für Soziale Arbeit (ISA), das seinen Sitz in Münster hat. „Weil die Gegebenheiten vor Ort in den Schulen so unterschiedlich sind, gibt es keine Standardlösungen“ sagt André Altermann vom ISA. Wichtig sei, bei der Planung alle relevanten Akteure einzubeziehen – sprich Schulverwaltungsämter, Lehrkräfte, die Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe, die den OGS-Bereich betreuen, Eltern und die Kinder selbst.
Um Räume unterschiedlich nutzen zu können, brauche es eine mobile Einrichtung, die sich schnell austauschen lässt. Aus Räumen, die sich nicht für den Unterricht eignen, könne man Kreativräume erschaffen, in denen die Kinder nachmittags musizieren, basteln oder turnen können. „Und wir müssen Flächenkonzepte mitdenken“, sagt Altermann. „Wenn der Schulhof klein ist, ist es sinnvoll, sich mit anderen Akteuren zusammenzutun und Freiflächen in der Nähe des Schulgeländes zu nutzen. Auch die Mensa kann für Nachmittagsbetreuung genutzt werden, wenn es der Platz hergibt.“
Gut durchdachte Konzepte wünscht sich auch die Mutter aus Essen für ihren Sohn. „Das, was Jahrzehnte lang verschlafen wurde, muss jetzt schnell aufgeholt werden“, sagt sie. „Damit die Kinder nicht mehr untergehen, die nicht so ein dickes Fell haben.“
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