Ruhrgebiet. Um kriminelle Einkünfte zu verschicken, nutzen Clans das uralte Hawala-System. Doch zuletzt feierten die Behörden immer wieder Erfolge.

„Heute stirbst Du, das ist dein letzter Tag“, sagte der Angreifer und hielt ihm eine Waffe an den Kopf. Ein anderer sprühte dem Steuerbetriebswirt Pfefferspray ins Gesicht. Der dritte Mann versuchte, den 36-Jährigen in ein Auto zu ziehen. Doch der konnte sich losreißen und den drei Syrern davonlaufen in die Düsseldorfer Julinacht. Das Opfer soll eine halbe Million Euro unterschlagen haben, die ihm ein Mann aus Wuppertal gegeben hatte, um sie in den Firmen des Opfers zu „waschen“.

Der Fall wurde vor zwei Jahren am Düsseldorfer Landgericht verhandelt und zeigt: Selbstjustiz und Gewalt gehören zum Hawala-System dazu. Das Wort Hawala kommt aus dem Arabischen und bedeutet „Scheck“ oder „Vertrauen“. Doch anders als bei modernen Banken gibt es in diesem Jahrhunderte alten System keine Belege – und es werden keine Fragen gestellt.

Für ausländische Arbeiter in Saudi-Arabien kann es die günstigste Methode sein, ihren Lohn zur Familie nach Indien zu schicken. Sogar das Bundesaußenministerium hat schon mal Hawaladare genutzt, um humanitären Projekten in Afghanistan Geld zu senden – weil dort einfach Zugänge zum Bankensystem fehlen. Doch größere Beträge stammen meist aus kriminellen Geschäften, manchmal dienen sie der Terrorfinanzierung. Und dann ist Hawala einfach: Geldwäsche.

Vom Vater zum Sohn

Wenn zum Beispiel ein Clan-Mitglied im Ruhrgebiet klandestin 50.000 Euro nach Dubai schicken möchte, dann wird er sicher einen Hawaladar in Essen oder Duisburg finden – wahrscheinlich sogar in der eigenen Familie, erklärt Oliver Huth. Der Landeschef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter hat selbst große Ermittlungen zur Organisierten Kriminalität geleitet. „Der ,Beruf‘ Hawaladar wird oft auch von Vätern an ihre Kinder weitergegeben, inklusive Kundenstamm.“

Manchmal hält ein Gemüseladen als Tarnung her, ein Reisebüro, ein Juweliergeschäft oder eine Handels-Firma. Im Hinterzimmer erklärt der Hawaladar die Konditionen: Wegen des Wechselkurses bekommt der Empfänger von den 50.000 Euro nur 48.500. Ein bis drei Prozent – also 1500 Euro – sind die Provision für den Schattenbanker. Der Kunde lässt das Bargeld im Laden und erhält einen Code, zum Beispiel 754. Den gibt er an den Empfänger in Dubai weiter. Damit kann dieser sich das Geld anonym auszahlen lassen bei einem Hawala-Agenten aus dem gleichen Netzwerk.

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Hawala Banking: Zahlungen gehen ohne Spuren zwischen Ländern hin und her und werden verrechnet, aber irgendwann müssen die „Konten“ ausgeglichen werden. © funkegrafiik nrw | Miriam Konopka

Banker mit Waffen

Es ist ein bisschen wie bei Western Union. Nur dass es keine Belege oder Konten gibt – außer den handschriftlichen Notizbüchern oder Chat-Protokollen der Geldwäscher, die manchmal in die Hände der Ermittler gelangen. „Es ist bei diesen Geldgeschäften viel Vertrauen im Spiel“, sagt Huth. „Aber weil Vertrauen bei Geldgeschäften nicht ausreicht, ersetzt das System Quittungen durch Gewaltandrohung. „Ich habe zum Beispiel mal bei einem Gold-Hawaladar zwei scharfe Schusswaffen gefunden, denn das Leben dieser „Banker“ ist mitunter gefährlich.“

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Zahlungen gehen ohne Spuren zwischen verschiedenen Ländern hin und her und werden verrechnet. „Auch in den arabischen Ländern gibt es viele Kunden, die Bargeld außer Landes bringen möchten“, sagt Oliver Huth. „Es kommt auch vor, dass eine Summe Bargeld mit Waren verrechnet wird.“ Aber irgendwann entstehen doch Fehlbeträge und die „Töpfe“ müssen ausgeglichen werden. Zum Beispiel mit Scheinrechnungen wie im Wuppertaler Fall, manchmal auch mit Gold oder überteuerten Waren. Dies sind die vier Wege, wie ein Hawala-System auffliegen kann: Über Gewaltverbrechen, über die Ausgleichsgeschäfte, über gezielte Ermittlungen und – über Zufall.

Mit einem Wäschekorb voller Scheine

Ein Groß-Hawaladar aus Mönchengladbach wollte fast 300.000 Euro aus den Niederlanden nach Deutschland bringen, als ihn der Sekundenschlaf übermannte. Mit einem Wäschekorb und einer Jutetasche voller 50-Euro-Scheine versuchte der Syrer noch zu flüchten. Das war ziemlich viel Bargeld für einen Arbeitslosen, der auch noch Stütze bezog. Die Ermittlungen gegen Khaled A., von seinen Schergen „Scheich“ genannt, führten zu einer Großrazzia an mehr als 80 Orten und Verfahren gegen 67 Verdächtige, darunter zehn Deutsche, fünf Jordanier und vier Libanesen. Aufgedecktes Transfervolumen: 140 Millionen Euro.

Dem Bundesfinanzministerium zufolge fließen jährlich weltweit 200 Milliarden Dollar über das Hawala-System. Das erscheint sehr konservativ geschätzt, da schon bei einzelnen Fällen in Deutschland sehr hohe Summen erreicht wurden. Einige Experten schätzen das Volumen grob auf das Siebenfache: auf vier Milliarden Dollar täglich, also gut 1500 Milliarden Dollar insgesamt.

Die Fahnder hatten schwer zu schleppen am 19. November 2019 in Duisburg. Sie stellten mehrere Kisten mit Gold und Bargeld sicher. Beteiligt: auch ein Juwelier in der Innenstadt.
Die Fahnder hatten schwer zu schleppen am 19. November 2019 in Duisburg. Sie stellten mehrere Kisten mit Gold und Bargeld sicher. Beteiligt: auch ein Juwelier in der Innenstadt. © dpa | Christoph Reichwein

Allein 1,6 Milliarden Euro soll eine Bande aus Köln in die Türkei verschoben haben. Ein Teil des Geldes soll von deutschen Rentnern stammen, die mit der Masche „falsche Polizisten“ von einem Call-Center in Izmir aus geprellt worden sind. Die Beute zahlten die Betrüger an zwei Gold-Hawaladare an der Kölner Keupstraße, wo sich ein türkischer Juwelier an den nächsten reiht. In Istanbul bekamen die Gangster das Geld wieder ausgezahlt, minus einer Provision von einem Prozent. Um ihr Saldo auszugleichen, soll die Hawala-Bande 75 Tonnen Gold in die Türkei geschmuggelt haben. Die Prozesse gegen 53 Beschuldigte fanden ab 2021 statt, der Istanbuler Boss der Bande war jedoch abgetaucht.

Mord vor dem Hawala-Büro

„Die geheimste Bank der Welt“ wird Hawala oft genannt, aber die Geldwäscher gelangen in Deutschland zunehmend auf die Anklagebank. Erst im September hat das Landgericht Bochum einen syrischen Vater und seine zwei Söhne zu lebenslanger Haft verurteilt, weil sie einen Kunden vor ihrem Hawala-Büro in Recklinghausen getötet haben. Sie hatten den 31-Jährigen um 600 Euro geprellt, die für seine Eltern in Syrien bestimmt waren. Als er sie zur Rede stellte und damit ihr Betrug an weiteren Kunden aufzufliegen drohte, erstachen sie ihn auf der Straße mit zwei Messern.

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Auch aktuell steht wieder ein Hawala-Juwelier aus der Keupstraße in Köln vor Gericht. Als er in eine Fahrzeugkontrolle geriet, hatte er eine geladene Maschinenpistole im Auto. Er gab an, er habe sich gegen Schutzgelderpresser schützen wollen, die durch Presseberichte auf die Hawala-Szene an der Keupstraße aufmerksam geworden waren.

Vom Aktienbetrug zum Gold-Hawaladar

In Duisburg, unter anderem an der Brautmodenmeile in Marxloh, ging es um 210 Millionen Euro. Rund ein Zehntel davon fanden die Ermittler in Gold und in bar bei Schmuckhändler Yalcin K. Dass seine siebenköpfige Bande 2019 aufflog, galt als Erfolg für die ein Jahr zuvor eingerichtete „Task Force NRW“. Bei einem Betrugsfall mit wertlosen Aktien folgten die Ermittler der Spur des Geldes und stießen auf die Marxloher Hawala-Bank. Die Haftstrafen allerdings fielen nicht nur hier sehr milde aus.

Das Höchstmaß für die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung liegt bei fünf Jahren, in besonders schweren Fällen von Geldwäsche können Gerichte zehn Jahre verhängen. Doch das wird selten ausgeschöpft, schon weil die Beweisführung so schwierig ist. Weil er geständig war, bekam der Marxloher Bandenboss vier Jahre und zwei Monate. Seine Mittäter kamen zum Teil mit Bewährungsstrafen davon. Weil er als Kronzeuge gilt, darf auch der Kölner Juwelier mit nur zwei bis drei Jahren rechnen – ohne die Maschinenpistole wäre es ebenfalls Bewährung geworden. Der Wuppertaler Hawala-Banker muss immerhin sechseinhalb Jahre ins Gefängnis, aber nur weil gefährliche Körperverletzung, Geiselnahme und räuberischer Erpressung hinzukamen.

Steueroase Deutschland

Steueroasen sind nicht nur die karibischen Cayman-Inseln, die freilich auf Platz 1 im Schattenfinanzindex der Organisation „Tax Justice Network“ landen. Auf Platz zwei landen die USA (noch vor der Schweiz), weil sich einzelne Bundesstaaten wie Delaware auf das Anlocken von Steuervermeidern und Geldwäschern spezialisiert haben.

Aber auch Deutschland gilt im internationalen Maßstab als Steueroase. Erst 2020 sind wir aus den Top Ten des Schattenfinanzindex herausgefallen und liegen noch auf Platz 14 – noch vor Panama, Jersey oder Zypern. Wesentliche Kriterien sind der automatische Informationsaustausch (um den es bekanntlich eher schlecht bestellt ist in Deutschland) und die Registrierung des wirtschaftlichen Eigentums, bei denen Deutschland hinter europäischer Norm zurückbleibt.

Allerdings gibt es auch positive Entwicklungen:

2025 soll das „Bundesamt zur Bekämpfung von Finanzkriminalität“ (BBF) an den Start gehen, das mehrere Institutionen zusammenführt, die bislang parallel gearbeitet haben.

2020 wurde auch das Geldwäschegesetz geändert, so dass auch Notare zur Meldung gewisser Verdachtsfälle verpflichtet sind.

Seit April 2023 darf man Immobilien nicht mehr in bar bezahlen.

Ein großer Kritikpunkt

Schlagzeilen machte es, als das Landgericht Düsseldorf im Duisburger Fall 174 Millionen Euro einziehen ließ. Aus dem Urteil von 2021 kann man das Bemühen der Richter herauslesen, nicht nur die Provision der Hawala-Banker als „Tatertrag“ zu definieren, sondern auch die mutmaßlich kriminell erlangten Kundengelder. Die machen immerhin 99 Prozent des von den Ermittlern sichergestellten Geldes aus. Es geht dabei um die formale Frage, ob die Geldwäscher „Verfügungsgewalt“ hatten und die Kundengelder nicht nur übergangsweise handhabten: „Die Kundengelder wurden zur Anlegung und Erhaltung eines Liquiditätsvorrats genutzt und erst im Rahmen von Rückwärtsgeschäften oder zum Ankauf von Edelmetallen ausgezahlt.“

Prozess um Millionentransfers startet
Beschlagnahmte Geldbündel im Landeskriminalamt NRW. Die Ermittler fanden das Geld bei der Massenrazzia im November 2019 – und mussten das meiste davon wieder abgeben. © picture alliance/dpa/Landeskriminalamt NRW | -

Doch der Bundesgerichtshof kassierte dieses Urteil – und ließ den kriminellen Hawala-Bankern mehr als 170 Millionen Euro zurückerstatten. Sie müssen nur ihre Provisionen zahlen, also zusammen rund 1,6 Millionen Euro. Die Kundengelder seien nur „Tatmittel“ – also Werkzeug, nicht Beute. Und auch die Einziehung nach Ermessen (§74 StGB) kommt nicht in Frage – weil es an einer Spezialgesetzgebung fehlt.

Man bräuchte eine Beweislastumkehr

Das weiß der Gesetzgeber schon lange, dennoch tut sich bislang ... nichts. Erst vor rund einem Monat hat NRW-Justizminister Benjamin Limbach die Bundesregierung aufgefordert, diese „Gesetzeslücke“ zu schließen. „Die Beißhemmung des Staates ist hier groß, obwohl es dafür keinen vernünftigen Grund gibt“, sagte er. „Wer in Deutschland in Juwelierläden oder Hinterstuben Geld einzahlt, das Vertrauensleute im Ausland dann per Zuruf oder SMS auszahlen, will die Aufsicht und die Kontrollen des Staates bewusst umgehen.“

„Das ist eine Katastrophe!“, kommentiert auch Oliver Huth und lobt den Vorstoß von Limbach: „Künftig müssten auch die Kundengelder abgeschöpft werden können. Egal, wo dieses Geld herkommt, es ist in jedem Fall am Fiskus vorbei geschoben worden.“ Er empfiehlt den Blick nach Italien: „Dort gibt es ein Zugriffsrecht des Staates auf Vermögen der organisierten Kriminalität. Wenn jemand als Mafia-Mitglied verurteilt wurde, muss er fortan beweisen, dass er Vermögen legal erworben hat. Das ist die Beweislastumkehr, die wir hierzulande dringend im Kampf gegen die organisierte Kriminalität benötigen.“

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