Essen. Christiane Gühmann erhält den Talentaward. In jedem Kind steckt etwas, sagt die Altenessenerin. Zwei Hunde helfen ihr, es „herauszukitzeln“.

Hier spricht man Albanisch, Arabisch, Bosnisch, Chinesisch, Griechisch, Kurdisch, Italienisch, Rumänisch, Ukrainisch – und ein knappes Dutzend weiterer Sprachen, darunter: Deutsch. So steht es an einer Klassentür. Willkommen an der Essener Karlschule, einer städtischen Grundschule in Norden der Stadt. 60 Prozent der Kinder hätten Migrationshintergrund, zwölf offiziell ausgewiesenen Unterstützungsbedarf, weit mehr andere Einschränkungen, viele Familien lebten von staatlicher Unterstützung, erzählt Schulleiterin Christiane Gühmann. Sie schickte einst auch ihre eigenen drei Kinder auf die Karlschule und sagt: „Wir sind bunt hier, und das ist gut so.“ Denn es stecke „genug“ in jedem Kind drin. „Man muss es nur herauskitzeln.“ Von ihr können andere lernen, wie das geht: Die Talentmetropole Ruhr zeichnet die 51-Jährige in diesem Jahr als vorbildliche Talentförderin aus.

  • Lesen Sie hier die Kurzporträts der weiteren Talentaward-Preisträger:
    Maik Ikert
    Mechthild Schroeter-Rupieper
    Milad Tabesch & Selvican Sahin

Sie habe „das Kümmer-Gen“, erzählt die Altenessener Grundschul-Lehrerin, die selbst in Altenessen aufgewachsen ist, „in der Metzgerei meines Opas“. Und die noch immer hier lebt, fünf Minuten Radweg von der Schule entfernt. „Ich bin nicht weit gekommen“, meint sie. „Aber ich kann weder die Füße still halten, noch den Mund.“

Seit 2011 leitet sie die zweizügige Grundschule, die 220 Kinder besuchen, verteilt auf acht „Lerngruppen“. Die beiden ersten Jahrgänge werden klassenübergreifend unterrichtet. 34 Lehrer gehören zum Kollegium; Gühmann holte zudem drei sozial- und sonderpädagogische Fachkräfte, zwei Studierende, einen Sozialarbeiter, eine Alltagshelferin, eine „Lernförderin“ und zwei Hunde an die Schule – sowie die RAG-Stiftung als Sponsor für die Lernförder-Projektstelle mit an Bord.

Maßgeschneiderte Lernförderung für jeden Schüler, jede Schülerin

Das multiprofessionelle Team ermögliche es, jedes Kind an der Karlschule, „wirklich jedes“, betont Gühmann, „maßgeschneidert genau so zu fördern, wie es das braucht.“ Egal, ob es Probleme mit Mathe, der deutschen Sprache oder dem Lernen an sich habe. An zwei Nachmittagen in der Woche findet die Förderung statt, in kleinen Gruppen oder gezielt nur für einzelne Schüler. Auch die Ferien nutzt man. „Und wer sagt, dass man beim Lernen keinen Spaß haben darf?“, fragt Gühmann. Schließlich müssten auch beim Waffelbacken Rezepte gelesen und umgerechnet werden; oder beim Drachenbau zentimetergenau gemessen und sorgsam konstruiert werden.

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„In jedem Kind steckt Talent. Und jeder Lehrer ist Talentförderer. Unsere Aufgabe ist es ja, diese Rohdiamanten zu schleifen.“

Christiane Gühmann

Dass Mädchen das genauso gut können wie Jungs und dass MINT-Fächer richtig spannend sind – das lernen die Schüler und Schülerinnen im Übrigen hier „ganz nebenbei“. Kinder früh ans Thema „Geschlechtergerechtigkeit“ heranzuführen sei in einem Stadtteil wie Altenessen wichtig, sagt Gühmann. Sie habe schon mehr als einem Vater erst einmal klarmachen müssen, dass an dieser Schule eine Frau das Sagen habe.

Auch „die Inklusionsidee“ werde an der Karlschule gelebt, sagt die Schulleiterin – und sie versteht darunter nicht nur den Umgang mit Behinderungen. „Jeder ist anders, aber jeder hat das Recht auf eine gute Schule. Vielfalt ist Inklusion.“ Schließlich: Hält man an der Karlschule auch Grundschüler und -schülerinnen nicht für zu jung, um sich mit Demokratie zu befassen. Sogar ein von allen gewähltes Kinderparlament gibt es hier. Zuletzt beschloss es: einen Ausflug zum Kettler Hof.

„Wir sind keine Traumschule, aber die Kinder sind hier glücklich“

Fee und Theo übrigens, zwei Golden Retriever, tragen ihren Teil zum Gelingen des Ganzen bei. Zweimal pro Woche sind sie in der Schule, es gibt sogar eine „Hunde AG“. Die beiden Vierbeiner seien „Motivationsschub“ oder „Belohnung“ in den Fördergruppen, und erstaunlicherweise sorgten sie auch dafür, dass die Kinder im Unterricht konzentrierter und stiller sind. „Die Schüler wissen, der Hund erschreckt sich, wenn sie laut oder unruhig werden“, erklärt Gühmann, Theos Frauchen – überzeugt davon, dass Tiere auf Kinder emotional ausgleichend wirken, Stress mindern und Ängste abbauen können.

Gühmann sagt, sie sei längst mehr Sozialarbeiterin als Lehrerin sei, aber „definitiv am richtigen Platz“. „Wir sind keine Traumschule“, erklärt sie, „aber schon ein bisschen Bullerbü, die Kinder sind hier glücklich.“ Dass acht bis zehn der Viertklässler die Karlschule mit einer Empfehlung fürs Gymnasium verlassen, erwähnt sie nur nebenbei. Dabei sind das „gar nicht wenige“, wie sie findet.

Wichtiger sind der Schulleiterin andere Erfolge: Dass einer Schülerin, die sich in Deutsch lange schwertat, dank Lernförderung plötzlich ein toller Aufsatz gelinge. Dass sie sich mit einem Kind, das ausschließlich arabisch sprach, als es an die Schule kam, heute genau so unterhalten könne, wie mit einem, das in Altenessen geboren wurde. Dass die Mutter, die sich neuerdings ehrenamtlich an der Schule sehr engagiere, eben die ist, die ihr Kind eigentlich gar nicht zur Lernförderung hatte anmelden wollen. Weil sie das als „Niederlage“ empfand. Heute sieht sie das anders. „Und das tut richtig gut“, findet Gühmann.

Frühere Talentaward-Preisträger

Der Talentaward

Einmal im Jahr vergibt die Talentmetropole Ruhr, eine Tochter der Bildungsmetropole Ruhr, ihren Talentaward – die bundesweit erste  Auszeichnung für Menschen, die sich in besonderem Maße für die Entdeckung und Entwicklung von Begabungen bei jungen Menschen einsetzen.
Am heutigen Donnerstag (31. Oktober) werden die vier Talentawards für 2024 vergeben.
Seit 2013 wurden bereits 75 vorbildliche Talentförderer und 46 Projekte geehrt. Der Preis ist mit 5.000 Euro dotiert und projektgebunden einzusetzen.