Ruhrgebiet. Druck ist nicht dasselbe wie Stress: Der Psychologe Sebastian Altfeld kennt die Symptome und hat Rezepte, was bei Nervosität zu tun ist.

Die Hände schwitzen. Der Bauch grummelt. Die Gedanken rasen. Die Stimme versagt. Kennen Sie das auch? Vor Prüfungen, Auftritten, in Zeitnot, beim Gespräch mit dem Chef? „Völlig normal“, sagt der Psychologe Dr. Sebastian Altfeld. Und weiß auch, warum in Drucksituationen der richtige Umgang mit den Gefühlen der erste Schritt zur Besserung ist.

Das Lampenfieber kommt, die Nervosität, manchmal sogar die nackte Angst. Eine Geigerin, die vor einer Jury vorspielen muss, um den Platz im Orchester zu bekommen. Ein Abiturient, bei dem es auf die Punkte in Mathe ankommt. Eine Fahrschülerin, die beim ersten Versuch das Steuer verrissen hat. Ein Student, der noch genau diese eine Chance hat, den Statistikschein zu machen oder den in Latein – sonst ist Schluss an der Uni. (Oder, wie hier, eine Journalistin, der der Redaktionsschluss im Nacken sitzt.)

Wie man lernen kann, mit dem Druck umzugehen

Drucksituationen wie diese, sagt Sebastian Altfeld, ließen sich im Leben nicht verhindern. „Aber man kann lernen, mit dem Druck umzugehen.“ Das ist die gute Nachricht. Die „schlechte“ ist zunächst: Der Druck geht davon nicht weg, dass man ihn kennt und erwartet. Doch der psychologische Psychotherapeut weiß, welche Techniken helfen, ihm tapfer zu begegnen – und die Prüfung trotzdem souverän zu schaffen.

Bereitet Sportler auf Olympia vor: Sportpsychologe Sebastian Altfeld.
Bereitet Sportler auf Olympia vor: Sportpsychologe Sebastian Altfeld. © WP | Michael Kleinrensing

Altfeld, der in Iserlohn arbeitet, kennt die angespannte Lage natürlich auch von sich selbst und von seinem Wirken im Sport. Der Sportpsychologe bereitet Leistungssportlerinnen und -sportler auf Olympia vor, zuletzt die deutschen Rollstuhlbasketballer auf die Paralympics. Er unterstützt zudem medizinisches Personal, Rettungskräfte, Feuerwehrleute oder die Polizei: damit sie „abliefern können, wenn es darauf ankommt“.

Er hat die „Rollis“ geschult, die in Paris vor 14.000 Menschen in der Halle spielen sollten und vor Millionen vor den Fernsehschirmen. Im Schatten des Eiffelturms und begleitet vom ohrenbetäubenden Jubel der französischen Fans (es ging gegen Frankreich). Wie soll man da nicht aufgeregt sein?

Bewerbungsgespräch: eine dieser Situationen, in denen der innere Druck Menschen ein Schnippchen schlagen kann.
Bewerbungsgespräch: eine dieser Situationen, in denen der innere Druck Menschen ein Schnippchen schlagen kann. © Shutterstock / Indypendenz | Indypendenz

Das Druckgefühl kommt von allein: „Der Kopf springt automatisch an“

Er kennt die Situation von Einsatzkräften, die Lagen hundertfach geübt hatten und im Ernstfall gegen die Angst kämpften: Was wäre, wenn... Was kann mir passieren? Hoffentlich mache ich alles richtig! „Normale menschliche Reaktionen.“ Das Schlimme aber ist: Je entscheidender die Situation, desto größer die Herausforderung, besonders gut zu performen. Und umso lähmender womöglich die Anspannung, die Furcht, die geforderte Leistung nicht bringen zu können. „Der Kopf springt automatisch an und lenkt von dem ab, was gerade wichtig ist.“

Studien, sagt Altfeld, bewiesen, dass selbst Stars ihrer Sportart bei herausragenden Ereignissen ihre tatsächlichen Stärken nicht vollständig zeigen konnten. Und das sei auch gar nicht schlimm, sondern ein Mythos, „dass man denkt: Heute muss ich besonders gut sein. Das stimmt gar nicht. Ich muss nur so nah wie möglich daran kommen, was ich heute in der Lage bin zu leisten.“

Fast Dreiviertel der Musiker schlucken Beruhigungsmittel

Mehr von sich selbst zu erwarten, sei sogar ungesund, weiß der ausgebildete Therapeut. „Diese Zustände können auch gesundheitliche Folgen haben.“ Manche Menschen müssten sich übergeben, andere griffen zu fraglichen Methoden, um ihre Nervosität zu unterdrücken, etwa zu Alkohol oder Medikamenten. Altfeld zitiert eine Studie der International Conference for Symphony Orchestra Musicians (Internationale Konferenz der Sinfonieorchester-Musiker). Danach schlucken 72 Prozent der Befragten, also deutlich mehr als zwei Drittel der Musiker Betablocker und Beruhigungsmittel, um vor Auftritten ihr Lampenfieber zu bekämpfen.

Schwitzige, verkrampfte Hände, Herzklopfen, weiche Knie: Das sind Symptome von Nervosität und Aufregung.
Schwitzige, verkrampfte Hände, Herzklopfen, weiche Knie: Das sind Symptome von Nervosität und Aufregung. © Shutterstock / PeopleImages.com - Yuri A | PeopleImages.com - Yuri A

Übrigens macht Altfeld dabei einen Unterschied zwischen Druck und Stress. Bei Stress, etwa dem Zustand, viel zu tun zu haben, könnten Pausen helfen. In Drucksituationen indes „hilft kein Yoga“, da gebe es keine Alternative, als die körperlichen Reaktionen des Moments zu akzeptieren.

Das hilft gegen den Druck: die eigene Reaktion zu verstehen

Was also tun? Für Altfeld sind es zwei Schritte, um dem Druck zu begegnen: „Erstens, dass ich weiß, welche Gefühle da aufkommen.“ Das heißt, ein Mensch muss seine Reaktion verstehen und akzeptieren, dass sie normal sind. Sie nicht wegdrücken, nicht mit ihnen hadern. „Gefühle sind nicht falsch oder schlecht.“ Wenn ich Angst nicht haben will, dann kommt sie erst recht.“ Zwar weiß man schon aus der Evolutionsforschung: Wenn Gefahr droht, weglaufen! So ist der Mensch gestrickt, „das kriegt man nicht weg“. Wenn aber im Sport Ruhe und Gelassenheit statt Nervosität ein Kriterium wären, „wären die Startblöcke leer“.

Schritt zwei ist dann, „die Kompetenzen zu besitzen, diese Reaktionen einzuordnen und wieder ins Jetzt zurückzukommen“. Sich nicht mit der Angst an sich zu intensiv zu beschäftigen, sondern sie anzunehmen und den Fokus neu auszurichten. Es gehe um Achtsamkeit, Selbstvertrauen, Reflexion, darum, mit Fehlern umgehen zu können, realistische Erwartungen zu haben. Weil das leichter gesagt als getan ist, hat der gelernte Sportpsychologe gemeinsam mit seinem Kollegen Christian Luthardt vom FC Bayern einen Online-Kurs entwickelt, der mit Trainingseinheiten, mehr als 30 Videos und in fünf Modulen auf acht Wochen angelegt ist. Der Titel: „Ready2Perform“, zu Deutsch etwa „Bereit abzuliefern“.

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Ginge es im Sport um Ruhe und Gelassenheit, sagt der Experte, wären die Startblöcke leer. © imago images/Westend61 | imago premium

Hier sei so viel verraten: Es reicht leider nicht, auf die Inhalte einer Prüfung gut vorbereitet zu sein. Also ausreichend Körbe trainiert zu haben, Matheaufgaben oder Geige geübt, die Vorfahrtsregeln verinnerlicht zu haben. Man muss auch den Umgang mit dem Druck gelernt haben, sonst ist alles Wissen wenig. Altfeld vergleicht das mit einem Fahrrad: Das Hinterrad ist das Können, aber es braucht das Vorderrad, um allem eine Richtung geben zu können. Das Vorderrad trägt das Wissen zum Umgang mit dem Druck. So dass der Druck die Leistung gar nicht mehr einschränken kann.

Das hilft: Atemtechniken, Gesten, Selbstgespräche

Gute Ratschläge à la „Bleib einfach ruhig“ oder „Du brauchst keine Angst zu haben“ helfen da wenig, sagt Altfeld: „Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich im wichtigsten Moment meines Lebens ruhig bleibe?“ Die von ihm betreuten Menschen lernen Strategien: Atemtechniken, Gesten oder sogar Selbstgespräche, die in die Konzentration zurückführen. Und mit dem inneren „Affen“ umzugehen: Das ist der Teil der Psyche, der für die Gefühle verantwortlich ist. Der helfen will, aber leider Fehler macht, impulsiv und schnell. Der Versagensängsten gern mit Flucht begegnet. Bloß sagt Altfeld: „Die allererste Reaktion ist nicht immer richtig“ – und auch nicht ratsam, wenn der Professor gerade die nächste Prüfungsfrage stellt.

Denn nicht zu „performen“, hat unmittelbare Konsequenzen: Wer dem Druck nicht standhält, aufgibt oder keinen Ton mehr herausbringt – der könnte am Ende durch die Prüfung rasseln, das sportliche Duell verlieren. Oder den Job nicht kriegen.