Bochum. Die Angst vor der A40-Sperrung war groß. Nun kommen manche Autofahrer sogar besser durch als vorher. Wie kann das sein? Ein Stauforscher erklärt.
Noch bis November herrscht auf der A40 bei Bochum Stillstand: Seit August ist die Autobahn wegen eines Brückenneubaus in beide Fahrtrichtungen komplett gesperrt. Es ist eine der folgenschwersten Straßensperrungen der vergangenen Jahrzehnte im Ruhrgebiet. Autofahrerinnen und Autofahrer fürchteten Dauerstaus – doch die blieben bisher aus, selbst jetzt zum Schulstart in Nordrhein-Westfalen. Viele Pendlerinnen und Pendler freuen sich sogar darüber, dass der Verkehr flüssiger zu laufen scheint.
Wie kann das sein? Kommt das Ruhrgebiet tatsächlich um ein Verkehrschaos drumherum? Und wie sollten sich Autofahrerinnen und Autofahrer jetzt am besten verhalten? Darüber hat Sophie Sommer mit dem Stauforscher Justin Geistefeldt von der Ruhr Universität Bochum gesprochen.
Herr Geistefeldt, die Autofahrerinnen und Autofahrer haben sich auf stundenlange Staus eingestellt. Wieso läuft der Verkehr trotz Sperrung nun doch so unerwartet flüssig?
Justin Geistefeldt: Wenn alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer sehr schlechte Zustände erwarten, wird es in der Regel nie so schlimm, wie man denkt. Das ist ein Phänomen, das wir in der Verkehrsforschung schon lange kennen. Das hat einen einfachen Grund: Weil sich alle Autofahrerinnen und Autofahrer frühzeitig auf die Sperrung einstellen konnten, hatten sie die Chance, sich über andere Routen zu informieren, alternative Verkehrsmittel zu finden oder so umzuplanen, dass sie ihre Fahrt vielleicht erst gar nicht antreten müssen.
>>> Hier finden Sie unseren Newsblog rund um die A40-Sperrung
Es war demnach richtig, dass die Sperrung so früh und ausführlich kommuniziert worden ist?
Auf jeden Fall. Das zeigen auch Beispiele aus der Vergangenheit. Im Jahr 2012 war die A40 schon mal für mehrere Monate gesperrt, damals in Essen. Viele dachten, das wird im Chaos enden. Und natürlich gab es auch erhebliche Einschränkungen. Aber weil alle aufgrund der deutlichen Ankündigung der Maßnahme ein Verkehrschaos erwartet hatten, ist das Verkehrschaos letztendlich ausgeblieben.
Sie sind also optimistisch, dass es relativ ruhig bleiben wird auf den Straßen?
Zu optimistisch darf man nicht sein. Dass es bisher kaum Staus gab, liegt auch daran, dass viele Pendlerinnen und Pendler noch im Urlaub sind oder bei gutem Wetter mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren. Zwar sind die Schulferien gerade vorbei, aber Familien mit kleinen Kindern oder Menschen ohne Kinder verreisen vielleicht gerade jetzt. Wenn sie zurück sind, wird die Stauwahrscheinlichkeit deutlich steigen. Denn schon ein wenig mehr Verkehr kann zu erheblich mehr Staus führen.
Inwiefern?
Dazu muss man wissen, dass eine Verdopplung der Verkehrsmenge nicht automatisch eine Verdopplung der Staus mit sich bringt. Solange die Auslastung des Verkehrsnetzes noch deutlich unter 100 Prozent liegt, sind die Fahrzeiten in der Regel immer erträglich. Aber kommt man in den Bereich, in dem die Kapazität erreicht oder sogar überschritten wird, steigt das Ausmaß der Staus sehr stark an. Das heißt: Zehn oder 20 Prozent mehr Verkehr können dann um 100 oder sogar 200 Prozent höhere Fahrtzeiten aufgrund von Staus mit sich bringen.
Viele hatten erwartet, dass nicht nur Autos die Straßen verstopfen, sondern auch Lkws. Schließlich können die wegen der Sperrung bei Bottrop schon nicht mehr über die A42 fahren.
Lkw-Fahrer erbringen eine hohe Fahrleistung und kennen sich meist gut im Straßennetz aus. Teilweise werden sie auch von Logistikmanagern unterstützt, deren Aufgabe es ist, die beste – oder die am wenigsten schlechte – Route zu suchen. Trotzdem verursacht die Sperrung erhebliche Kosten, weil die Fahrtwege und -zeiten zwangsweise länger werden.
>>> Lesen Sie auch: Gesperrte A40: Wo sind bloß all‘ die Autos geblieben?
Noch berichten viele Autofahrerinnen und Autofahrer, dass sie seit der A40-Sperrung sogar schneller durchkommen als zuvor. Wie kann das sein?
Das mag auch daran liegen, dass der Verkehr jetzt im Sommer noch nicht in voller Stärke zurück auf den Straßen ist. Generell ist es aber schwierig, selbst zu beurteilen, wie voll es auf den Straßen tatsächlich ist. Die subjektiven Erfahrungen von Autofahrerinnen und Autofahrern decken sich nicht immer mit den Messergebnissen von Detektoren. Gerade das Verkehrsnetz im Ruhrgebiet ist zu komplex, um anhand punktueller Beobachtungen beurteilen zu können, wie groß das Ausmaß der Überlastungen tatsächlich ist. Unabhängig von besonderen Maßnahmen wie der Sperrung der A40 kann die Fahrzeit durch zufällige Einflüsse von Tag zu Tag stark schwanken.
Stauforscher: Das aktuelle Nadelöhr der A40 in Bildern
Im Ruhrgebiet pendeln besonders viele Menschen. Wird das im Zuge der Sperrung zum Problem?
Im Gegenteil. In Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet verhalten sich die Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer generell effizienter, weil sie täglich dieselben Strecken fahren. Sie können sich auf mögliche Beeinträchtigungen im Verkehr besser einstellen, kennen die Schleichwege.
Und wenn man doch in einen Stau gerät, wie sollte man sich dann am besten verhalten?
Am wichtigsten ist es, möglichst wenig hektische Fahrmanöver durchzuführen, um den Verkehr im Fluss zu halten. Ob ein Stau entsteht und wie schnell er sich wieder auflöst, hängt auch davon ab, wie effizient sich das Fahrkollektiv verhält. Wenn alle sehr große Lücken lassen oder hektisch den Fahrstreifen hin und her wechseln, sinkt die Kapazität einer Autobahn. Meist ist es ein Trugschluss zu denken, dass es auf dem Fahrstreifen nebenan schneller vorangeht. Da steckt aber ein psychologisches Problem hinter: Wenn man selbst gerade stehen muss, die Fahrzeuge auf der Spur nebenan aber fahren können, empfindet man das als Verlust. Und Verluste nimmt man immer stärker wahr als Gewinne. Hier gilt dann: Ruhe bewahren.
Mehr zur mehrmonatigen A40-Sperrung in Bochum lesen Sie hier
- Newsblog: Alle Updates zur Sperrung
- Umleitungen: Die Alternativen
- Hintergrund: Darum wird die Brücke abgerissen
- Ausblick: So geht es nach der Sperrung weiter