Essen. Tattoos sind Stilbotschaften. Aber den richtigen Künstler zu suchen, ist eine Kunst für sich. Tätowierer erklären, wie es gelingt.
Ein Schmetterling. Schwarzweiß mit Schattierungen. So hat ihn Charlene auf Instagram gesehen, so einen möchte sie nun im Nacken tragen als Tätowierung. Die 18-Jährige zeigt das Motiv auf ihrem Handy und Katja Gerke nickt. Sie ist der Mensch, dem die junge Frau diese Lebensentscheidung anvertraut. Aber wie findet man diesen Menschen? Einen Tätowierer, der mich versteht? Der mir vielleicht sogar hilft, meinen Stil zu finden? Charlene sagt: „Meine Mutter war auch schon bei dir.“ Also, eine Empfehlung von höchster Stelle.
Bewertungen und Bilder
Andere verbringen Jahre mit der Suche. Denn es gibt kein Siegel, keine offizielle Ausbildung, jeder kann ein Studio eröffnen. Man ist auf Empfehlungen angewiesen: von der Mutter oder Freunden, von Google oder Bewertungsportalen. Spezialisierte Seiten sind zum Beispiel Feelfarbig, Inksearch oder MyTattoo, die Portfolios von Künstlern zeigen – aber auch hier muss man graben. Bei einigen kann sich jeder eintragen, andere Seiten zeigen eine Auswahl, die vielleicht fein ist, aber vielleicht auch zu klein.
Katja Gerke zum Beispiel sticht unter ihrem Label „Blake Lumen Art“ im „Hashtag Tattoo Studio“ in Essen. Man könnte sie zum Beispiel über solche Portale finden, aber das wäre eher Zufall. Wie soll man dort nach ihrem Stil suchen, der sich an Kupferstiche anlehnt? Feine Linie, schwarz auf Haut. Praktisch kommen also die meisten Kunden über Empfehlungen, sagt sie. „Menschen vertrauen Menschen.“ Das schließt Bewertungen auf Google ein. „Viele gucken einfach nach Tattoo Essen und auf die Bewertung. Ich glaube, das ist auch kein schlechtes Konzept. Den Rest machen Social Media und Messen.“ Vor allem Instagram, wo man sich von Künstler zu Künstler hangeln kann.
Um das Wühlen durch Bilder und Bewertungen kommt man kaum herum. „Womöglich funktioniert die Tattoo-Branche wie eine Shopping-Meile“, sagt Katja Gerke. „Die Leute bewegen sich durchs Netz, sehen ein Bild von einem Tattoo oder ein Motiv, und dann kaufen sie es.“
Welche Tattoo-Stile gibt es?
Ein guter Startpunkt kann sein, sich einen Überblick über die verschiedenen Tattoo-Stile zu verschaffen und sich für einen zu entscheiden. Das filtert die Auswahl ungemein – und man kann gezielt nach Tätowierern suchen, die auf diesen Stil spezialisiert sind. Das empfiehlt auch Maik Frey, Sprecher der „Deutschen Organisierten Tätowierer“ (DOT). Man könne auch in ein Tattoo-Studio gehen und dort fragen, rät Frey. In aller Regel wüssten die Kollegen um ihr Können und ihre Grenzen und würden passende Kollegen empfehlen. „Wenn ich mir einen japanischen Rücken machen lassen will, ist das was anderes, als wenn ich mir den Namen meines Kindes Kevin auf den Arm schreiben lasse. Man braucht nicht immer die Champions League, für viele Sachen reicht auch die Regionalliga. Aber ein Tattoo ist fürs Leben, da muss man eben ausreichend recherchieren. Es gibt nicht den perfekten Weg.“
Es komme natürlich vor, dass sich Tätowierer übernehmen oder gar in ihren digitalen Arbeitsmappen mit fremden Bildern schmücken, weiß Frey auch aus seiner Tätigkeit als gerichtlicher Gutachter. Wer auf Nummer sicher gehen will, kann auf Mitgliedschaften achten. Der DOT ist „ein ziemlich elitärer Verein“, sagt Frey. Hier wird auf hohem Niveau gestochen, aber einige sehr gute Tätowierer sind trotzdem nicht Mitglied. Der Bundesverband Tattoo (BVT) dagegen nimmt jeden auf, aber eine Mitgliedschaft ist ein Indiz: Da betreibt jemand sein Geschäft professionell. Auch den Verein Münsteraner Verein „Tätowierkunst“ empfiehlt Frey als Anlaufpunkt für Recherchen.
Der Eindruck zählt
„Ich empfehle, zu Tätowierern persönlich zu gehen und mit denen zu reden“, sagt Katja Gerke. „Niemand wird schräg angeguckt. Das Gefühl, dass der Tätowierer vermittelt, ist ohnehin entscheidend. Denn der Hersteller wird immer mit dem Motiv verbunden bleiben. Und es ist ein intimer Eingriff, Nadeln dringen in den Körper ein. Wenn der Tätowierer einem unsympathisch ist, sollte man es lassen.“ Man sollte mehrere Vorgespräche führen, schlägt Katja Gerke vor. 15 Minuten bis eine halbe Stunde dauert eines – und niemand erwartet, dass daraus sofort ein Auftrag wird.
Zum Eindruck zählt die Hygiene. Die ist vielleicht schwer einzuschätzen. Die Studio-Kette Wildcats gibt dazu folgende Hinweise:
- Tätowierende tragen bei der Arbeit Einmalhandschuhe.
- Nadeln müssen steril verpackt sein und dürfen auch nur so herumliegen.
- Tiere und Besucher haben in den Behandlungsräumen nichts verloren, zumindest solange behandelt wird.
- Maschinen und Geräte sind hygienisch in Kunststoff verpackt.
- Die Liegen müssen regelmäßig desinfiziert werden.
Gerke ergänzt: „Ist es ein professionelles Studio oder nutzt jemand sein Wohnzimmer? Wie viele Jahre ist sie oder er schon im Beruf? Und: Gute Tätowierer erkennt man auch an ihren Preisen. Wenn man Geld spart, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass man ein schlechteres Tattoo bekommt.“
Andererseits: Allein vom Schaufenster aus kann man einen Laden kaum beurteilen, glaubt Gerke. „Es gibt Top-Meister, die arbeiten schon so lange im Geschäft und haben eine solche Stammkundschaft, die brauchen nicht mehr viel Wert auf Außenwerbung legen. Und auch die Läden, die nach Ramsch aussehen, bedienen eine bestimmte Zielgruppe.“
Aber wenn man so gar nicht weiß, was man möchte?
„Wenn die Kunden nicht wissen, welchen Style sie wollen“, sagt Katja Gerke, „dann versuche ich mich an die Persönlichkeit durch Fragen und Bilder heranzutasten. Zeigen ist besser als reden. Auch wenn Menschen gar nicht wissen, was für einen Geschmack sie selber haben, können sie empfinden. Anhand ihrer Reaktionen versuche ich, mich vorzutasten.“
Und dann gibt es natürlich Kunden, die möchten exakt das, was sie gesehen haben. „Hier ist dieser Künstler aus den USA, der auf fünf Jahre ausgebucht ist, kannst du das irgendwie nachmachen?“ Oder auch das Gegenteil: ein absichtlich krakeliges Tattoo im „Ignorant Style“. Am Ende ist die Kundin natürlich Königin. Aber eine Beratung sollte dennoch hinterfragen.
„Es wäre ein Alptraum für mich, wenn eine Person ein Tattoo später bereuen würde“, sagt Katja Gerke. Meist macht sie einen Gegenvorschlag: „Ich versuche, den Kunden Schönheit unterzujubeln. Das heißt: Ich orientiere mich an der Vorlage des Kunden, aber ich kopiere nicht. Dabei versuche ich, das Motiv schön zu machen. Es ist sehr selten, dass ich damit nicht durchkomme. Wenn es ein ästhetisches Gefühl auslöst, dann diskutiert keiner dagegen.“
Den Schmetterling von Charlene wird Gerke also nicht in ihrem eigenen Kupferstich-Stil tätowieren. Charlene waren die Schattierungen wichtig, sie zeichnet selbst mit Bleistift. Katja Gerke wird einen ähnlichen Schmetterling neu schöpfen. Einen, von dem sie glaubt, dass die Kundin damit auch noch in zehn Jahren glücklich sein wird.