Dortmund. Ob groß, schrill oder mit Fehler: alles schon dagewesen, sagt Experte Dirk-Boris Rödel auf der TattooCon in Dortmund. Doch es gibt auch No-Gos.
Seit mehr als 35 Jahren ist Dirk-Boris Rödel in der Tattoo-Szene unterwegs. 20 Jahre lang war er Chefredakteur des Tätowier-Magazins und auch auf seiner eigenen Haut sind nicht mehr viele Stellen frei. Auf der TattooCon in den Dortmunder Westfalenhallen hat der 55-Jährige uns erklärt, warum selbst ein blöder Fehler im Motiv noch etwas Gutes hat, wieso man heute auch mit noch so krassen Motiven eigentlich niemanden mehr schocken kann und was für ihn trotzdem ein No-Go wäre.
Sie begleiten die Tattoo-Szene ja schon seit Jahrzehnten. Was hat sich in dieser Zeit verändert?
Dirk-Boris Rödel: Alles. Alles hat sich verändert. Damals gab es kaum Studios, in ganz Baden-Württemberg, wo ich herkomme, waren es vielleicht fünf oder sechs. Jetzt gibt es in jeder Kleinstadt mehrere. Die Technik, die Farben, das ist heute alles kein Vergleich zu damals. Vor allem aber hat sich die Akzeptanz geändert. Vor 20, 30 Jahren hat man in der Öffentlichkeit keine Tattoos gesehen, nicht in der Werbung, nicht im Sport. Heute ist das etwas ganz Normales.
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Ist es das wirklich? Haben Sie den Eindruck, dass Tätowierungen gesellschaftlich wirklich akzeptiert sind?
Auf jeden Fall. Denn wenn ich hier in einem Vier-Sterne-Hotel einchecke und die Rezeptionistin hat Tattoos an den Händen, dann kann man sagen: Ja, Tätowierungen sind kein Tabu mehr.
Damit haben sie aber auch einen Zweck verloren: Man kann mit einem Tattoo nicht mehr wirklich rebellieren, oder?
Nein, das ist tatsächlich vorbei. Und selbst mit dem verrücktesten Motiv kann man nicht mehr schocken, es ist alles schon dagewesen. Früher war es ein billiger Witz, wenn es hieß, das chinesische Schriftzeichen auf der Schulter bedeutet bestimmt „Schweinefleisch süß-sauer“. Heute lassen sich die Leute das extra so stechen. Es gibt einfach nichts Krasses mehr. Vor ein paar Jahren schickte mir jemand ein Bild von seinem Tattoo für unser Magazin und schrieb dazu: „So was haben Sie noch nicht gesehen!“ Es war eine Kuh. Ich hab dann nur zurückgeschrieben: „Wir haben hier eine ganze Schublade mit Kuh-Motiven.“
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Witzig, bei Schweinefleisch süß-sauer ist der Fehler also tatsächlich zum Programm geworden?
Ja, und warum auch nicht. Ich kannte einen, der hat sich seinen Hochzeitstag stechen lassen und sich dabei leider mit dem Jahr vertan. Na und? Dann hatte er eben einmal kurz Ärger mit seiner Frau – und dann sein ganzes Leben lang eine coole Geschichte zu erzählen.
Apropos Frau: Wer kann das Tätowieren denn nun besser ertragen?
Studien zeigen, dass Frauen tatsächlich schmerz-toleranter sind. Aber das Empfinden hängt immer von vielen Faktoren ab. Von der Körperstelle, vom Alter, vom Adrenalin. In der Aufregung beim ersten Tattoo tut es vielleicht gar nicht so weh. Doch wenn der Kitzel weg ist, bleibt der Schmerz. Aber man erträgt ihn ja freiwillig, deshalb geht‘s. Wäre es aber eine andere Situation, sähe die Sache schon ganz anders aus. Ich hab mir mal was auf die Rippen stechen lassen und dachte dabei: Wenn das hier ein Foltergefängnis wär, hätte ich schon alles ausgequatscht.
An Ihrem Körper sind auch nicht mehr viele Stellen frei. Das Gesicht aber schon. Ist das für Sie ein No-Go?
Nein, das ist einfach nicht meine Art der Ästhetik. Aber wer sich das machen lassen will: Bitte schön! Die Grundlage der Szene ist die Toleranz. Aber ein paar No-Gos gibt es trotzdem. Alle faschistischen Motive gehören dazu, Hakenkreuze und Runen etwa. Zum Glück kann da heute jeder, der aus der rechten Ecke raus will, ein Cover-Up – also anderes Motiv – drüber stechen lassen. In Leipzig gibt es sogar einen Tätowierer, der geht regelmäßig in den Knast, um Häftlingen mit solchen Cover-Ups auf den Weg zurück in die Gesellschaft zu helfen.
Gesichts-Tattoos sind also unter Umständen okay. Und was ist mit Tätowierungen in den Augen? Auch das sieht man hier auf der Messe bei den Besuchern ja ab und zu.
Ich persönlich würde dringend davon abraten, sich Farbe in die Augäpfel stechen zu lassen. Es bleibt bei jedem Eingriff immer ein geringes Restrisiko von Allergien und Infektionen. Denen ist in der Haut beizukommen, in den Augen aber nicht. Ich kenne Menschen, die haben dabei tatsächlich ihr Augenlicht verloren.
Und haben Sie persönlich je eins ihrer Tattoos bereut?
Ach, wenn ich sehe, was es heute für super Tattoos gibt – anders als vor 30 Jahren – dann hätte ich manchmal schon gerne einen magischen Radierer. Aber andererseits auch wieder nicht. Denn so ist das nun einmal mit den Tätowierungen: Sie erzählen Geschichten aus dem eigenen Leben.
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