Gelsenkirchen/Düsseldorf. Ein normaler 21-Jähriger, sagen seine Freunde. Doch der Tadschike steht vor Gericht, weil er mit sechs anderen Anschläge geplant haben soll.
Wer ist Mukhammadshujo A.? Für den Staatsschutz ein Terrorverdächtiger aus Tadschikistan, der Anschläge plante im Namen des „Islamischen Staates“. Für seine Freunde in Gelsenkirchen „Maga“, ihr 21-jähriger Kumpel, hilfsbereit, fröhlich, „normal“. Und keiner, „der anderen Menschen etwas Schlechtes tun kann“. Weil er aber genau das vorgehabt haben soll, sitzt A. seit Ende Juli auf der Anklagebank des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Als jüngster von sieben Männern einer mutmaßlichen Terrorzelle. Gehörte er wirklich dazu?
Anna lernte Mukhammadshujo kennen, da war der russische Krieg gegen ihre ukrainische Heimat gerade zwei Wochen alt. In Charkiw fielen Bomben, die Flucht dauerte viele Tage, Anna war 17 Jahre alt. Über Bochum kam ihre Familie nach Gelsenkirchen, in einer ehemaligen Schule, heute eine Flüchtlingsunterkunft, traf die Studentin den damals 19-Jährigen zum ersten Mal. „Sehr freundlich, sehr kommunikativ“ sei Mukhammadshujo gewesen, im Freundeskreis nannten sie ihn Mohammed, oder noch einfacher: Maga.
Sie selbst heißt auch nicht wirklich Anna; dass sie hier einen anderen Namen trägt, geschieht zu ihrem Schutz. Sie ist Zeugin im Prozess, die Ermittler hatten sie auf dem Schirm, womöglich haben sie das noch. Zudem soll sie geschützt werden vor den Kreisen, mit denen sich ihr Freund laut Anklage eingelassen hat. Was Anna für undenkbar hält: „Ich sehe keinen Grund dafür, warum sollte er das machen? Es ist vollkommen sinnlos.“ Die 19-Jährige will erzählen, wer Mukhammadshujo A. wirklich ist, aus ihrer Sicht; sie hofft, ihm damit zu helfen.
Kamen sie als Studenten aus der Ukraine und planten Terror in Deutschland?
Maga nämlich soll studiert haben in der Ukraine, Zahnmedizin, hat er erzählt. Die Ermittler sagen über alle sieben Angeklagten, sie seien offiziell als Studenten und Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine eingereist – fünf stammen aus Tadschikistan, einer ist Turkmene, einer Kirgise. Ein zweiter Tadschike, ebenfalls in Gelsenkirchen verhaftet, ist der Schwager von Mohammed, verheiratet mit dessen Schwester, zehn Jahre älter. Zusammen hat das Paar zwei kleine Kinder. Seit 2017 habe die Familie in Kiew gewohnt, sagt Anna, vorher in der Türkei.
Anna, Mukhammadshujo und ein paar andere freundeten sich an in der Sprachschule; die Wirtschaftsstudentin hat dort gerade ihre C1-Prüfung geschafft. Sie spricht fließend, sucht nur selten nach Wörtern, aber „Bundeskriminalamt“ und „JVA“ kommen ihr leicht über die Lippen. Ihr Kumpel aus Tadschikistan habe fünf Sprachen gesprochen, Persisch, Russisch, Türkisch, Englisch, etwas Arabisch, nun mehr und mehr Deutsch.
Sie wusste, dass Mohammed Moslem ist, „aber ich sah das nicht“. Sah ihn nicht beten, nicht in der Moschee, keinen Koran in seiner Wohnung, die er im Stadtteil Schalke alsbald bezog. „Die Wohnung eines normalen Menschen.“ Er hörte Musik und traf sich mit Mädchen wie ihr: Anna trägt ihr langes Haar offen, im Sommer über ärmellosem Kleid. Ja, er hat einen Bart, immer schon, aber nicht den eines Islamisten: „Er findet, das sieht männlich aus.“ Sie gingen spazieren, besuchten sich gegenseitig, aßen zusammen mit mehreren Leuten, „was man so macht“. Anna zuckt mit den Schultern. Der Freund habe auch Tiktok genutzt und Instagram, „wie alle Menschen“.
NRW-Terrorzelle mit Unterstützung aus Gladbeck, Gelsenkirchen, Düsseldorf
Laut Anklage nutzte A. aber auch Messengerdienste wie Telegram, für den Kontakt mit den anderen Zentralasiaten. Die sollen sich schon in der Ukraine gekannt haben, heißt es von Prozessbeteiligten, angeblich wurden sie bereits dort beobachtet. Gleich nach der Einreise, von Gladbeck, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Ennepetal aus, sollen sie sich erneut vernetzt haben, um den Terror des IS zu unterstützen. Mehr als ein Jahr lang hörten deutsche Ermittler Telefone ab, lasen nach einer Razzia Anfang Juli 2023 die Daten aus, observierten einzelne Treffen. Der Essener Rechtsanwalt André Waldmüller, der vor dem Oberlandesgericht den Schwager Nuriddin K. vertritt und auch Anna kennt, hält die Beweislage in der umfangreichen Akte trotzdem für „dünn“. Wenig Zweifel hat der Verteidiger aber am Gedankengut der Angeklagten: „Sie unterlagen einer Ideologie.“
Anna kann sich das vorstellen, aber nicht bei Maga. Was indes stimme: „Er war immerzu am Handy.“ Deshalb machte sie sich gleich Sorgen, als der Freund am 5. Juli 2023 plötzlich nicht mehr zu erreichen war. Sie war unterwegs, stand im Stau, schrieb aus Langeweile mit Maga hin und her. Bis dieser plötzlich schwieg. Keine Antwort mehr, keine Nachricht, kein blaues Häkchen als Beleg, dass er ihre App gelesen hatte. Es war fünf Uhr nachmittags, erst war Anna „überrascht“, dann hatte sie Angst. „Ist er im Krankenhaus? Gestorben?“ Auch Schwester und Schwager waren nicht zu erreichen. In Gelsenkirchen eilte Anna voller Sorge sofort zu seiner Wohnung in der Grillostraße: „Die Tür war kaputt.“ Ein Einbruch? Eine Verhaftung.
Nachbarn in Schalke bekamen von der Festnahme nichts mit
Ein gutes Jahr später ist das Appartement längst leergeräumt, wo der Name an der Klingel stand, ist jetzt ein Loch. Anna schaut zum ersten Mal wieder an der Fassade hoch, dort oben hat er gewohnt, zweite Etage, dritte? Sie kann sich nicht mehr erinnern, es sind zehn Parteien in diesem äußerlich eher ungepflegten Eckhaus. Keine gute Gegend, fand sie immer schon, in einem Schaukasten hängt ein verblichenes Schild: „Gott sieht alles, unsere Nachbarin sieht mehr.“ Die Nachbarn aber, die sie fragte am Tag von Magas Verschwinden, wussten nichts über die zerbrochene Tür, nichts von der Festnahme nebenan.
Erst bei Mohammeds Schwester erfuhr Anna davon. Sie sagt, in der Nacht zuvor hätte einer der anderen Angeklagten beim Schwager übernachtet, die Frau habe nicht gewusst, wer. „Die Kinder waren verstört, die Familie hat nichts verstanden.“ Anna auch nicht. Seitdem hat sie dieses „Gefühl, etwas tun zu müssen“. Mehr als 13 Monate nun schon.
Wenn sie den Freund besucht in der JVA Wuppertal, und das tut sie oft, dann trifft sie dort einen „sehr, sehr traurigen“ jungen Mann. Dem es schlecht geht, der stark abgenommen hat, der nicht versteht, warum er im Gefängnis sitzt. „Ich habe doch nichts gemacht“, sagt er zu Anna. Da ist womöglich sogar etwas dran: An den Geldsammlungen für IS-Leute in Flüchtlingslagern soll Mukhammadshujo A. als Einziger nicht beteiligt gewesen sein – obwohl eine Spende für Anna sogar vorstellbar gewesen wäre, „er wollte immer allen helfen“. Konkrete Anschlagspläne, Orte, Daten wirft nicht einmal der Generalbundesanwalt den Angeklagten vor. „Maga weiß, dass er nichts vorgehabt hat“, sagt Anna.
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Mukhammadshujo würde gern arbeiten im Gefängnis, Fußball spielen wie die anderen, aber das erlaubten sie ihm nicht, sagt Anna. Man sage ihm, er sei „zu gefährlich“. Aber, das kann auch Anna nicht begreifen, diese „Anderen“ hätten doch Menschen geschlagen oder getötet... Der Freund hadere mit seiner Entscheidung, nach Deutschland zu gehen. „Warum bin ich gekommen? In der Ukraine, selbst im Krieg, wäre alles gut.“ Über die Anklage sprechen dürfen die beiden nicht. Aber so viel weiß Anna: „Er hasst die anderen Männer, alle. Das hat bestimmt einen Grund.“
Maga wollte „immer cool sein“. Begriff er den Ernst der Lage nicht?
Anna glaubt, dieser Grund ist, dass Maga zu jung war, zu naiv. Dabei ist sie die Jüngere. Aber „im Vergleich zu den anderen Männern war er ein Kind“. Ein Typ, „der immer cool sein wollte“, so cool wie die anderen Angeklagten, von denen Anna durchaus glaubt, dass sie schuldig sein könnten: „Zu viele Beweise.“ Möglich, dass Mukhammadshujo „stolz war, dass sie sich mit ihm umgaben“. Jetzt sucht sie doch nach den richtigen Wörtern, muss ihren kleinen Bruder fragen: Er hat „sich aufgespielt“, sie haben ihn „hereingelegt“. Hat er wirklich „nicht begriffen, dass das alles kein Scherz war“?
Auch Anwalt Waldmüller in Essen hält A. nicht für einen „abgebrühten Schwerkriminellen“. Dessen eigener Verteidiger, ein Rechtsanwalt aus Karlsruhe, wo auch der ermittelnde Generalbundesanwalt sitzt, wollte sich gegenüber dieser Zeitung nicht äußern. Der Vorwurf, „Mitglied einer terroristischen Vereinigung“ zu sein, wird sich auch für den Jüngsten der Gruppe womöglich nicht entkräften lassen. Das deutsche Sprichwort „Dummheit schützt vor Strafe nicht“, kannte Anna bisher nicht. Sollte Mukhammadshujo A. also tatsächlich in Haft müssen, irgendwann im Jahr 2025, wenn der Prozess zu Ende geht, ist es wahrscheinlich, dass er nach Verbüßen der Hälfte der Strafe abgeschoben und mit einer Wiedereinreisesperre belegt wird.
Stadt Gelsenkirchen hatte Abschiebung schon vorbereitet
Eine Abschiebung drohte ihm offenbar aber auch ohne den Prozess: Nach Informationen dieser Zeitung war die Stadt Gelsenkirchen über die Ermittlungen informiert, bereitete – für den Fall, dass die Ermittlungen für eine Anklage nicht ausreichen würden – bereits alles für die Rückführung der beiden Verdächtigen nach Tadschikistan vor. Auch die anderen fünf Angeklagten, ist von Prozessbeteiligten zu vernehmen, hatten in Deutschland wohl keine Bleibeperspektive. Zusätzlich verdächtig soll sich auch die Mutter von Mukhammadshujo A. gemacht haben: Sie reiste, das weiß auch Anna, kurz vor der Festnahme ihres Sohnes nach Tadschikistan.
Anlass sei Mohammeds Bruder gewesen, sagt Anna. Der sei vergangenes Jahr in Polen festgenommen und ausgewiesen worden, warum, wissen die Freunde nicht. Wohl aber, dass der Bruder nun in Tadschikistan im Gefängnis sitze: ohne Verfahren, für 30 Jahre. Anna schaudert bei dem Gedanken. „Das ist Magas größte Angst. Dass es ihm auch so geht.“
>>INFO: SCHWESTER SOLL IM PROZESS ALS ZEUGIN AUSSAGEN
Das wirft der Generalbundesanwalt in Karlsruhe den sieben in NRW verhafteten Männern aus Zentralasien vor: Sie sollen (Gründungs-)Mitglieder einer terroristischen Vereinigung sein und als solche Geld für Anschläge gesammelt und Attentate auf „Ungläubige“ geplant haben. Sie sollen zum IS-Ableger „Provinz Khorasan“ gehören, der den Behörden zuletzt mit den Drohungen gegen den Kölner Dom und die Fußball-EM Sorgen bereitete. Im Visier sollen diesmal eine liberale Moschee gewesen sein, eine Kirmes in Köln, das deutsche Judentum. Konkrete Pläne hatten die Angeklagten aber offenbar (noch) nicht. Ein Anführer soll in den Niederlanden sitzen, der dort gesondert verfolgt wird.
Für den dritten Prozesstag vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf ist für Dienstag, 20. August, die Frau von Nuriddin K. geladen, Schwester des jüngsten mutmaßlichen Mitstreiters Mukhammadshujo A. Ob sie tatsächlich als Zeugin aussagt, ist aber unklar: Wegen ihrer Verwandtschaft zu dem jüngsten Angeklagten hätte sie womöglich das Recht zu schweigen. Auch wenn sie zudem mit K. offenbar lediglich nach islamischem Recht verheiratet ist, könnte die Verbindung als Eheversprechen gelten und ebenfalls zu einem Zeugnisverweigerungsrecht führen.